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Homosexualität als revolutionäre Verpflichtung

Der Che Guevara der chilenischen Schwulenbewegung

Er zieht die Blicke auf sich, eckt an und provoziert. Mit grellrot geschminkten Lippen und einer schwarzen Baskenmütze erregt er auf Demonstrationen gegen Pinochet, in den chilenischen Medien und innerhalb der schwul-lesbischen Bewegung in Chile Aufmerksamkeit und ist Ausgangspunkt vieler Kontroversen.

Nina Küster

Der Film „El Che de los Gay“ (Der Che der Schwulen) von Arturo Álvarez stellt den homosexuellen Aktivisten Víctor Hugo Robles vor, der sich selber als „Maricón (Schwuler), Kommunist, Anarchist und Revolutionär“ bezeichnet. Der Film wurde auf verschiedenen internationalen Filmfestivals in Chile und Spanien und dem 27. Festival Internacional del Nuevo Cine Latinoamericano auf Cuba gezeigt und gewann als einziger lateinamerikanischer Beitrag beim Internationalen Schwul-lesbischen Filmfestival in Bilbao 2005 den Publikumspreis als bester Dokumentarfilm. Nun ist der Film in spanischer Originalfassung im Internet zu sehen. 

Bei Víctor Hugo, der mit zwei Brüdern und einer Schwester in einem Arbeiterviertel in Santiago de Chile aufwächst, ist schon früh zu erkennen, dass er „anders“ ist – so beschreibt ihn seine Großmutter Luzmira, mit der er zusammenlebt und die als einzige seiner Familie zu ihm steht. Er ist das schwarze Schaf der Familie, ein Schaf „mit rosa Flecken“, so sagt er. Die enge Beziehung zwischen dem schrillen Paradiesvogel und seiner Großmutter, einer einfachen Frau aus konservativen Verhältnissen, bildet den Ausgangspunkt dieses Porträts. Im katholischen Chile, wo schon allein die Tatsache, homosexuell zu sein, ausreicht, um Scham und Empörung hervorzurufen, bildet Luzmira den Fels in der Brandung. Sie  toleriert stoisch die öffentlichen Protestaktionen ihres Enkels, der mal in Frauenkleidern, mal nackt, mal als schwuler Jesus Christus auf die Straße geht, um seine „Botschaft“ zu übermitteln. 

Gelassen und humorvoll erzählt Víctor Hugo seine Geschichte, davon, wie ihn damals die Kinder in der Nachbarschaft hänselten, von seiner ersten erotischen Erfahrung, seinem Outing und davon, wie sich sein politisches Bewusstsein und sein Engagement entwickelten. Fernsehausschnitte, Zeitungsartikel und Fotos dokumentieren seinen Werdegang als Schwulenaktivist und politischer Provokateur. Sein Image und seinen Bekanntheitsgrad als „Che de los Gay“ erlangt Víctor Hugo bei verschiedenen öffentlichen Auftritten und Performances: bei einem „politischen Striptease“ auf einer 1. Mai-Kundgebung oder als er bei der Einweihung der Internationalen Buchmesse in Santiago zur Nationalhymne vor hoch dekoriertem Publikum eine cueca tanzt und dabei „Pinochet vor Gericht“ singt. So erntet er über die Zeit viel Bewunderung und Respekt von angesehenen Persönlichkeiten. Zu seinen FreundInnen zählt er u.a. Gladys Marín, die mittlerweile verstorbene Vorsitzende der Kommunistischen Partei Chiles, der er den Film gewidmet hat. Doch er hat auch viele GegnerInnen und erntet böse Kritik – sogar innerhalb der eigenen Reihen.

Seine Botschaft und sein Engagement verfolgen nicht nur ein einziges Ziel. Er möchte alle Menschen ansprechen, nicht nur Homosexuelle. Zwar ist er aktives Mitglied der chilenischen „Bewegung für die Integration und Befreiung Homosexueller“ (MOVILH), doch auch dort stößt er auf Widerstände und muss für einige Zeit „ins Exil gehen“, nachdem er sich gegen einen schwulen Kandidaten bei den Bezirkswahlen ausgesprochen hat. Aus Protest besetzt er daraufhin mit einer befreundeten Transvestitin symbolisch den Hauptsitz von MOVILH. Ihr Vorwurf lautet, die Wahlen seien eine Farce, denn der homosexuelle Kampf sei auch ein kultureller Kampf, der alle sexuellen Minderheiten sowie HIV-positive Menschen berücksichtigen sollte. Er fordert sogar, dass sich die Bewegung mit der Gewerkschafts- und Arbeiterbewegung vereinigen solle. Dadurch, dass Homosexuelle nicht der gesellschaftlichen Norm entsprächen, habe die Homosexualität für ihn eine politische Komponente und beinhalte so etwas wie eine „revolutionäre Verpflichtung“. Sein Engagement, erklärt er, sei eine Arbeit, der er nachgehen müsse. Hierbei legt er großen Wert darauf, nicht als Künstler verstanden zu werden, sondern als Aktivist. 

Verschiedene Personen kommen in dem Film zu Wort, so auch der chilenische Soziologe Tomás Moulián, der im Che der Schwulen eine interessante Figur sieht – einen zwar wenig realistischen, dafür aber idealistischen, gar „pathetischen Che“. Ein Che, der mit der Zeit ruhiger wird und sich um seine Großmutter kümmert. Er fühlt sich ihr gegenüber verantwortlich, denn würde er sie alleine lassen, ja dann wäre er wirklich ein maricón, sagt er.

Víctor Hugo sorgt für Widersprüche, selbst seine Person ist widersprüchlich: Er ist der nette und sympathische Nachbar von nebenan, wirkt verletzlich und sanft, dann verwandelt er sich zum Vamp und Provokateur, geleitet von seinem Idealismus und Kampfesgeist, ist offensiv und herausfordernd. Auf die Frage, was für Pläne er für die Zukunft habe, reagiert er unentschlossen. So könne er jedenfalls nicht ewig weitermachen, der Che sei „etwas müde geworden“. Er möchte „seriöser“ werden und hat sich seinem eigentlichen Beruf, dem Journalismus, zugewandt. „Ich weiß nicht“, sagt er mit einem Lächeln, „vielleicht werde ich Prinzessin“, und wirft neckisch seine schulterlangen Locken zurück.

Der Film „El Che de los Gay“ (Chile 2004, 35 Min.) kann im Internet als Originalfassung auf der Seite 
www.carlaantonelli.com kostenlos heruntergeladen und angesehen werden.