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Queere Ikone oder raffinierter PR-Stratege?

Interview mit Professor Nate Rodríguez über das Phänomen Bad Bunny

Um sie ist schon immer viel Kult betrieben worden: Popstars. Sie erreichen ein Riesenpublikum, befeuern Träume, bedienen romantische Phantasien, machen Identifikationsangebote. Manche nutzen ihre Popularität und ihre gescheffelte Kohle, um „Gutes zu tun“ und damit ihren Vorbildcharakter weiter auszubauen: Sie unterstützen Charity-Projekte oder pushen bestimmte Inhalte. Einer der aktuellen Latino-Popsuperstars ist Benito Antonio Martínez Ocasio aus Puerto Rico, besser bekannt unter seinem Künstlernamen Bad Bunny. Der 29-jährige Latin-Trap- und Reggaeton-Sänger war 2022 das dritte Jahr in Folge der auf Spotify weltweit am meisten gestreamte Musiker, auf Instagram und YouTube folgen ihm jeweils über 45 Millionen Menschen. Er hat mehrere Latin Grammys und dieses Jahr für „Un verano sin ti“ eine Nominierung für das „Album des Jahres“ in der Hauptkategorie eingeheimst. Auch Bad Bunny versucht, Gutes zu tun. Aber das Beste ist wohl seine ziemlich geile Musik, die Jung wie Alt auf Tanzflächen und gigantische Konzerte treibt. Über das Phänomen Bad Bunny unterhielt sich Britt Weyde mit dem US-amerikanischen Medienwissenschaftler Nate Rodríguez, der dieses Jahr an der Uni von San Diego ein Seminar über Bad Bunny hielt.

Britt Weyde

Wie kam es zu Ihrem Uni-Kurs über Bad Bunny?

Ich bin ein Riesenfan von Selena Gómez. Sie zeigt, dass es viele Wege gibt, Mexican-American zu sein, sie spricht zum Beispiel nicht besonders gut Spanisch. An der Uni merkte ich, dass es in den Medienwissenschaften für Latinx-Studierende kaum Kurse über ihre Kultur gibt. Deswegen rief ich ein Seminar über Selena Gómez ins Leben, um zu untersuchen, wie in den Medien Identitäten und Stereotype verhandelt werden. Das kam bei den Studierenden sehr gut an. Dann bekam ich mit, wie Bad Bunny immer bekannter wurde. Er ist auf seine eigene Art politisch, verhandelt Identitäten und vermarktet dabei seine Kunst. Deswegen sollte mein nächstes Seminar über Bad Bunny sein. Wir untersuchen den Weg der Musik vom Süden in den Norden und wie Bad Bunny als Vehikel für Werbung genutzt wird. Ein weiteres Thema ist, wie er mit Männlichkeit spielt, sein Gender Bending.1

Haben Sie einen Lieblingstrack von Bad Bunny?

Sein erster Song, in den ich mich verliebte, war „Calla’ita“. (Darin geht es um ein „stilles Mädchen“. Sie macht gerne Party und lebt ihre Sexualität freizügig aus, d. Red.) Heute ist mein Favorit „Tití me preguntó“. Der Song hat einen besonderen Beat, den man sofort erkennt. Auf den ersten Blick geht es um einen Typen, der mit seinen vielen verschiedenen Freundinnen in den Club geht, Selfies macht, mit ihnen angibt. Typisch Macho eben. Ich lese das anders: Hier gibt jemand vor, Frauen zu lieben. Als jemand, der in einer mexikanisch-machistischen Kultur schwul aufgewachsen ist, kann ich mich in alle hineinversetzen, die ein heterosexuelles Liebesleben performen müssen. Mir wurde ständig gesagt: Bring doch mal deine Freundin mit! Ich stand immer unter Druck, Fotos von meinen „Freundinnen“ zu veröffentlichen, damit keiner vermutet, dass ich schwul bin. Das ist meine queere Lesart des Songs.

Welcher Song hat Ihrer Meinung nach am meisten bewirkt?

Sein Song „El apagón“ hat die stärkste soziopolitische Wirkung: Puerto-Ricaner*innen können sich damit identifizieren, Leute von außerhalb können nachvollziehen, was auf der Insel, die formal US-Territorium ist, aber von den Bewohner*innen als eigenständiges Land angesehen wird, infolge von Kolonialismus, westlicher Einflussnahme und Gentrifizierung passiert. In dem Song ist Bad Bunnys Liebe zu Puerto Rico zu spüren.

 

Das Video zum Song ist eingebettet in eine TV-Dokumentation, die über Stromausfälle, Steuervorteile für Auswärtige, über privatisierte Strände, den Protest dagegen, über explodierende Mieten und die Vertreibung alteingesessener Einwohner*innen berichtet. Wie glaubwürdig ist Bad Bunny mit dieser Gesellschaftskritik? Er hat nicht nur Anfang 2023 ein Anwesen für knapp neun Millionen Dollar in LA erworben. In Puerto Rico hat der Millionär mit seiner Freundin auf großem Fuß in einer Luxusvilla gewohnt.

Der Unterschied zwischen Bad Bunny und beispielsweise Jake Paul2 besteht darin, dass Bad Bunny in Puerto Rico geboren und aufgewachsen ist, er ist kein westlicher Kolonisator, der den Leuten etwas wegnimmt oder sie vertreibt. Er steckt sehr viel Geld in die Insel, in Infrastrukturprojekte, spendet an verschiedene Organisationen, er gibt Gratiskonzerte. Aber ja, seitdem er reich ist, ist es eine legitime Frage: Bist du nicht zu weit entfernt vom Alltag der normalen Leute?

Das Seminar über Bad Bunny erntete Kritik. Worin bestand sie?

Viele Konservative sind von „Wokeness“3 genervt und wollen nicht, dass Steuergelder in Seminare fließen, in denen es um einen Musiker geht, dessen Musik sie nicht mögen. Sie denken, ich plaudere in dem Seminar über Bad Bunnys Musik und alle tanzen dazu. Die Ablehnung rührt auch daher, dass es sich um einen spanischsprachigen Latino-Musiker handelt. Aber die meckernden Leute sind eine Minderheit. Viele andere haben verstanden, wie wichtig Bad Bunny für die Repräsentation von Latinxs ist. Bad Bunny spielt in ausverkauften Stadien, er bekommt Millionen dafür, dass er für Cheeto-Snacks und Schuhe von Crocs wirbt. Bad Bunny wird dieses Jahr Haupt-Act auf dem Coachella-Festival sein, als erster Latino in der Geschichte; er spielt in Filmen mit Brad Pitt mit und ist im Wrestling-Kanal WWE zu sehen, wo er ein Jahr lang gekämpft hat, weswegen er im neuen WWE-Computerspiel eine Figur darstellen wird. Außerdem ist er in Netflixserien (etwa der letzten Staffel von „Narcos“, d. Red.) zu sehen und wird nächstes Jahr im neuen Marvel-Film der erste Latino-Superheld sein. Bad Bunny ist einfach überall! Was muss eine braune, spanischsprachige Person noch tun, um zu beweisen, dass sie ein relevantes Studienobjekt ist? Dadurch lernen die Studierenden, wie Musikbusiness, Marketing und Großevents funktionieren.

Wie ist in dem Seminar die Kritik an Bad Bunny wegen Queerbaitings4 diskutiert worden?

Eine Fragestellung des Kurses war, wie Bad Bunny Männlichkeit performt, wie er das machistische Rollenverständnis herausfordert. In einigen Videos oder Shows zieht er Frauen- oder genderfluide Kleider an, lackiert sich die Fingernägel, hat aufwändige Frisuren. Des Weiteren ist sein Einfluss auf die LGBTIQ-Community untersucht worden, vor allem mit der Frage: Ist seine Performance hilfreich, oder behindert sie die Anliegen der LGBTIQ?

Als schwuler cisgeschlechtlicher5 Mann denke ich, dass er hilfreich ist. Leute aus der LGBTIQ-Community haben einen erschwerten Zugang zu bestimmten Welten. Wenn ein Verbündeter diese Mauern einreißt und Bewusstsein für diese Themen schafft, finde ich das gut. Ich denke auch, dass Bad Bunny nicht 100 Prozent hetero ist. Mit seiner fluiden Performance schafft er Raum für Leute, die schwul, trans etc. sind und es ohne ihn nie in die Welt des Reggaeton, des Rap oder des Wrestlings geschafft hätten.

Natürlich ist die Frage legitim: Macht er einfach nur Profit, indem er sich queere Inhalte und Codes aneignet, sie als Köder nutzt? Oder spiegelt er das wider, was die jüngeren Generationen auszeichnet, dass sie sich nicht mehr bestimmten Labels zuordnen, stattdessen fluide Identitäten entwickeln? Auf die Frage, ob er hetero oder schwul sei, antwortet er: „Ich kann sein und machen, was ich will“. Bad Bunny ist nicht nur fließend in seiner Geschlechtsrolle, sondern auch in dem, was seine sexuelle Orientierung betrifft. Die Serie, die er zurzeit für Netflix produziert, enthält schwule Thematiken. Mit dem mexikanischen Schauspieler und Produzenten Gael García Bernal dreht er den Film „Cassandro“, ein Biopic über den ersten offen schwulen Wrestling-Star in der Welt der „Lucha Libre“ (Ende Januar diskutierten Medien und Fans aufgeregt über die Nachricht, dass García Bernal in dem Film von Bad Bunny, der seinen Lover spielt, geküsst wird, d. Red.). Bad Bunny lässt sich keinem Label zuordnen. Die Kritik wegen angeblichen Queerbaitings stammt meistens von älteren Leuten, die noch stärker in Labels und Kategorien denken.

Ist Bad Bunny eine Ikone für die queere Community?

Er ist definitiv jemand, der für LGBTIQ spricht. Er fordert Rechte für trans Menschen, prangert Morde an ihnen an, er führt seine Gender-Fluidität in die Welt des Reggaeton ein, wo es das zuvor nicht gegeben hat. Kein anderer männlicher Reggaetonstar vor ihm ist im Rock aufgetreten oder hat seine Fingernägel lackiert. Mit seiner massiven Online-Präsenz pusht er diese Themen. Vielleicht könnte man ihn als Fashion-Ikone bezeichnen.

Mit seinem Riesenhit „Yo perreo sola“ hat er eine Kontroverse ausgelöst. Er tritt darin als Frau auf, die „alleine tanzen“ möchte (ohne wegen ihrer sexy Bewegungen von aufdringlichen Typen missverstanden und bedrängt zu werden, d. Red.). Allerdings ist diese Figur, die Bad Bunny performt, ein hypersexualisiertes, klischeehaftes weibliches Wesen.

Ihr Seminar untersucht außerdem den Weg der Musik aus dem globalen Süden in den globalen Norden.

Bad Bunny ist ein glaubwürdiger Vertreter des globalen Südens, auch wenn er mittlerweile in den USA lebt. Erst seit letztem Jahr gibt er Interviews auf Englisch, und das als Nummer Eins in englischsprachigen Radios! Normalerweise dringt Popmusik aus dem Norden in die Märkte des Südens, bei ihm ist es andersherum. Er fungiert als Türöffner für andere Musiker*innen aus Lateinamerika. Menschen, die sich zuvor nicht für Reggaeton oder Latino-Musik interessiert haben, suchen jetzt nach „Artists similar to Bad Bunny“. Selena Gómez, Bad Bunny und die Kolumbianerin Karol G, die Anfang März Bad Bunny an der Spitze der Billboardcharts mit ihrem Album „Mañana será más bonito“ überflügelt hat, sind globale Latino-Popstars, die es nach ganz oben geschafft haben. Wenn du dort bist, trägst du Verantwortung. Reggaeton oder spanischsprachige Musik allgemein wird von Männern dominiert. Kein Mann sollte sich anmaßen, für Frauen zu sprechen, aber da der globale Popmarkt dazu neigt, Männer zu featuren, finde ich es gut, dass Bad Bunny sagt: „Hey, es gibt nicht nur Männer, überlassen wir den Frauen das Mikrofon.“ Er zieht die Leute mit hoch und ins Rampenlicht.

  • 1. Spiel mit Geschlechtsstereotypen durch bewusste Inszenierung, um sie durcheinanderzubringen und herauszufordern.
  • 2. Die US-amerikanischen YouTuber und Boxer Logan und Jake Paul kauften in Puerto Rico ein Anwesen für etwa 13 Millionen Dollar.
  • 3. Der Ausdruck „woke“ (englisch „erwacht“, „wach“) ist in den 1930er-Jahren entstanden und meint ein „erwachtes“ Bewusstsein für mangelnde soziale Gerechtigkeit und Rassismus. Seit den Protesten 2014 wegen der Erschießung des Afroamerikaners Michael Brown verbreitet er sich auch stärker international.
  • 4. Strategie, mit der queere Menschen geködert werden sollen, um sich etwas anzusehen. Der Marketingtrick wird vor allem bei Serien erfolgreich genutzt.
  • 5. Cisgeschlechtlich, im Gegensatz zu transgeschlechtlich, bezeichnet Personen, die sich mit dem ihnen bei Geburt zugewiesenen Geschlecht identifizieren.

Nathian Shae „Nate“ Rodríguez ist seit 2017 außerordentlicher Leiter des Studiengangs Journalismus und Medienwissenschaften an der San Diego State University, USA. Davor lebte er in Texas und arbeitete für den Sender Univision, für ein queeres Radio, war DJ sowie als Marketingexperte und Sprechtrainer tätig.

Das Online-Interview mit Nate Rodríguez führte Britt Weyde am 8. März 2023.