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Die Verstaatlichung, die keine ist

Mexikos Lithiumförderung bleibt von der Privatwirtschaft abhängig

Es war eine Sensation, als das Branchenmagazin Mining Technology 2019 veröffentlichte, dass im nördlichen Bundesstaat Sonora das größte Lithiumvorkommen der Welt gefunden wurde. Drei Jahre später war die Euphorie verdampft, die Zahlen deutlich nach unten korrigiert. Aber der Hype hatte seine Spuren hinterlassen, Lithium war nun in aller Munde. 2022 erklärte der mexikanische Präsident Lithium zum strategischen Mineral und änderte das Bergbaugesetz. Jedes Lithiumvorhaben sollte nun zu mindestens 50 Prozent in staatlichen Händen liegen. Mitglieder des Wissenschaftskollektivs GeoComunes erklären, warum sie die „Verstaatlichung“ für eine Farce halten.

Susana Isabel Velázquez Quesada
Yannick Deniau

Als Präsident Andrés Manuel López Obrador im April 2022 per Dekret das Bergbaugesetz änderte, sprachen nationale und internationale Medien von einer „Verstaatlichung“ des Lithiums. Obwohl es sich keineswegs um eine solche handelt, erzielte das genau den vom Staat gewünschten Effekt, dass nämlich die Gesetzesänderung als Akt für die nationale Souveränität und gegen das ausländische Kapital interpretiert wird. Anders als eine Verstaatlichung es mit sich bringen würde, betrafen die Änderungen bereits bestehende privatwirtschaftliche Projekte nicht. Einerseits, weil sie noch zu wenig fortgeschritten waren, andererseits, weil man Angst vor Klagen vor internationalen Schiedsgerichten hatte.

Das staatliche Industrialisierungsprojekt zielt darauf ab, den US-amerikanischen E-Auto-Markt zu bedienen. Das hat nichts mit nationaler Souveränität zu tun, denn über die Nachfrage und Preise hat Mexiko keinerlei Kontrolle. Es verstärkt vielmehr die Abhängigkeit, die schon im Freihandelsvertrag zwischen Mexiko, USA und Kanada angelegt ist.

Lithium aus Lehm fördern ist hochkomplex und teuer

Das aktuell einzige Projekt mit gesicherten Lithiumreserven ist in privater Hand: das Projekt Sonora Lithium im gleichnamigen Bundesstaat. Auch das zeigt, wie begrenzt die staatliche Kontrolle ist. Das Projekt wurde zunächst von der britischen Bacanora Lithium durchgeführt, aber nach und nach vom chinesischen Unternehmen Ganfeng Lithium Co. aufgekauft. Dieses Unternehmen kontrolliert über die Hälfte des weltweiten Lithiummarktes.

Bei allen anderen Projekten gibt es noch große Unsicherheiten. Aktuell untersucht der staatliche Mexikanische Geologische Dienst (SGM) siebzehn Lithiumvorkommen danach, ob sie wirtschaftlich rentabel gefördert werden können. Laut SGM kommt Lithium in den meisten der wirtschaftlich rentablen Reserven in Verbindung mit Lehm vor. Wo Lithium heute schon abgebaut wird, findet es sich allerdings in Salzseen (in Südamerika) oder in Gestein (vor allem in Australien). Um Lithium aus Lehm zu extrahieren, wird zurzeit noch an wirtschaftlich konkurrenzfähigen Technologien geforscht – von Privatunternehmen etwa im Projekt Sonora Lithium oder in Thacker Pass in den USA.

Nach aktuellem Kenntnisstand ist die Förderung von Lithium aus Lehm hochkomplex, teuer und wasser- und energieintensiv. Deswegen ist sie nur dort konkurrenzfähig, wo es große Mengen und eine extrem hohe Lithiumkonzentration gibt. Projekte wie Sonora Lithium und Thacker Pass könnten machbar sein, aber ob es in Mexiko weitere Vorkommen mit ähnlicher Lithiumkonzentration gibt, ist fraglich. Selbst die Direktorin von SGM sagte, es brauche noch mehr Zeit und finanzielle Mittel, um das herauszufinden.

Die finanziellen Mittel aber sind mit drei Millionen US-Dollar knapp im Vergleich zu denen der Privatunternehmen. Sie zu erhöhen könnte aber eine erhebliche Staatsverschuldung bedeuten, denn es gibt keine Garantie, dass das in Mexiko geförderte Lithium international konkurrenzfähig wird.

Das Lithium im Boden lassen

Wenn der mexikanische Staat aber doch weitere rentable Vorkommen findet, bringt das andere Sorgen auf den Tisch. Um den politischen Diskurs Realität werden zu lassen, könnte die Bundesregierung über die Köpfe der betroffenen Gemeinden hinweg eine Reihe an Maßnahmen ergreifen. Weil sie Lithiumförderung zum „öffentlichen Interesse“ und „strategischen Projekt“ für die nationale Entwicklung erklärt hat, kann die Regierung Informationen verdeckt halten, Verfahren für Erlaubnisse und Lizenzen schneller durchführen, Protest kriminalisieren und das Militär einsetzen. Dass „strategische Projekte“ zu Militarisierung und Enteignung führen, haben wir in der Vergangenheit gesehen (die ila berichtete mehrfach zu den „strategischen“ Infrastrukturprojekten Tren Maya und Interozeanischer Korridor, Anm.d.Red.).

Als Betroffene von Bergbau und soziale Organisationen sagen wir: Egal wo das Unternehmen herkommt, Bergbau wird immer die Menschen von ihren Territorien verdrängen und irreversible Schäden anrichten. Wenn der Staat tatsächlich etwas von öffentlichem Nutzen machen will, sollte er das Lithium im Boden lassen und an technischen und politischen Lösungen arbeiten, die nicht nur unsere Energieversorgung ändern, sondern die ganze soziale Struktur der Ausbeutung und des Konsums.

Der Originaltext erscheint demnächst in der Publikation „Escenarios Energéticos en América Latina“ der Rosa Luxemburg Stiftung.

Kurzinterview mit den Autor*innen

Überraschend verkündete Mexikos Präsident Andrés Manuel López Obrador im September 2023, dem chinesischen Marktführer Ganfeng neun Lithiumkonzessionen zu entziehen. Der offizielle Grund lautete, sie hätten in den vorangegangenen Jahren die Mindestinvestitionssumme nicht eingehalten. Die ila hat bei Susana Isabel Velázquez Quesada und Yannick Deniau nachgefragt, ob jetzt also doch ernst gemacht wird mit der Verstaatlichung.

An welchem Punkt der Debatte steht ihr heute in Mexiko?

Yannick Deniau: Die ist steckengeblieben. Das 2022 gegründete parastaatliche Unternehmen1 Litio MX und der Mexikanische Geologische Dienst (SGM) sind immer noch viel zu gering finanziert – knapp 10 Millionen Pesos (etwa 550000 Euro) für Litio MX, 36 Millionen Pesos (knapp zwei Millionen Euro) für die Lithiumstudien des SGM. Das ist ganz weit weg von den Budgets, die Privatunternehmen für Explorationen und Machbarkeitsstudien haben. Das einzige Unternehmen, das tatsächliche Fortschritte gemacht hatte, ist das chinesische Ganfeng. Doch dann entzog die Regierung ihr neun Konzessionen, vor allem im Projekt Sonora Lithium. Jetzt verhandelt Ganfeng mit der Regierung, aber da scheint es noch keine Ergebnisse zu geben. Das Unternehmen beruft sich auf mexikanische Gesetze und überlegt wohl, vor ein internationales Schiedsgericht zu ziehen. Kurz: Der SGM macht Studien, aber äußert sich nicht öffentlich darüber, das Privatunternehmen darf nicht weitermachen mit seinem Projekt und das parastaatliche Unternehmen Litio MX kann auch nicht viel machen, weil ihm das Geld fehlt.

Isabel Velázquez: Außerdem wurde großspurig der „Plan Sonora“ angekündigt. Hier soll jetzt ein Zentrum für erneuer­bare Energien entstehen, ein Hochtech­nologie­zentrum der E-Mobilität.

Dass die mexikanische Regierung Ganfeng die Konzessionen entzogen hat, heißt das nicht, dass sie doch mehr nationale Kontrolle über den Lithiumabbau gewinnen will?

YD: Die Regierung hat 2022 bewusst die Tür für „public private partnerships“, also Kooperationen mit Privatunternehmen, offengelassen, weil der Lithiumabbau aus Lehm so komplex ist. Der mexikanische Staat will eine gewisse Kontrolle behalten, hat aber weder das nötige Kapital noch die Technologie. Deswegen scheint es erst mal widersprüchlich, dass die Regierung Ganfeng die Konzessionen entzogen hat. Genauso merkwürdig ist es, dass Claudia Sheinbaum, die Präsidentschaftskandidatin der Regierungspartei Morena, angekündigt hat, sie wolle den Tagebau verbieten lassen. Dabei kann man Lithium aus Lehm nur im Tagebau abbauen. Deswegen denken wir, dass hier politisches Kalkül eine Rolle spielt.

IV: Diese Politik ist sehr im Einklang mit den US-Interessen. Die Stoßrichtung ist, China aus der Region zu drängen. Deswegen wird auch so viel Wirbel um den Plan Sonora gemacht.

YD: Geopolitik spielt eine Rolle. Sonora liegt an der Grenze zu den USA. Wie haben die wohl darauf reagiert, dass wenige Hundert Kilometer jenseits der Grenze ein so großes Projekt mit chinesischem Kapital realisiert werden soll?

Was ist bei Lithium anders als bei anderen Bergbauprojekten?

IV: Es gibt einen zentralen Unterschied: die soziale Akzeptanz. Und das nicht wegen des Lithiums an sich. Schon seit vielen Jahren reden die Bergbauunternehmen vom „neuen Bergbau“ der „kritischen Rohstoffe“. Ja, die sind für die Energiewende, aber es ist eine Wende mit den gleichen Konsummustern und den gleichen Eliten. Diesen Diskurs des grünen Kapitalismus kennen wir schon. Was neu ist: eine Regierung, die hohe Glaubwürdigkeit in der Gesellschaft hat und von einigen sozialen Bewegungen unterstützt wird. Lithium wurde zum landesweiten Thema, aber der Diskurs ist sehr eingeschränkt. Es wurde so getan, als sei Lithiumabbau alternativlos und es ging nur noch darum, wer ihn umsetzen sollte. Wer schafft es schneller und besser?

Das Interview führte Mirjana Jandik am 26. April 2024 via Zoom, die es auch übesetzt und gekürzt hat.

Isabel Velázquez ist Masterabsolventin in Geografie und Lateinamerikastudien an der Universidad Nacional Autónoma de México (UNAM). Yannick Deniau absolvierte den Master in Geografie in Grenoble. Beide sind Gründungsmitglieder von GeoComunes.

  • 1. Parastaatliche Unternehmen haben mehr Autonomie als staatliche und sind nicht strikt auf öffentliche Dienstleistungen beschränkt.