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Der meiste Plastikmüll kann nicht sinnvoll verwendet werden

Interview mit dem Filmemacher Benedict Wermter über die Recyclinglüge und das globale Geschäft mit dem Müll

Der Plastikmüll in den Weltmeeren ist seit einigen Jahren ein Thema in den Medien. Um eine weitere Vermüllung der Ozeane und Vergiftung der Fischbestände zu verhindern, sei das Recycling der Plastikverpackungen das Gebot der Stunde. Das zumindest behaupten Wirtschaftsvertreter*innen und Politiker*innen immer wieder. Der im Sommer in der ARD ausgestrahlte Film „Die Recyclinglüge“ zeigt, dass das so nicht funktioniert. Die Filmemacher Benedict Wermter und Tom Costello räumen mit der Vorstellung auf, dass Produktion und Verwendung von Plastik wegen der Möglichkeit des Recyclings gar nicht so schlimm sei. Aber nur ein kleiner Teil der Plastikabfälle kann recycelt werden. Der größere Teil wird verbrannt oder in andere Länder verschifft. Lange war China ein wichtiger Abnehmer von Plastikmüll. Seit das Land 2017 seine Grenzen für diesen Müll dichtgemacht hat, verlagert sich das Problem weiter. Frederik Caselitz sprach mit Benedict Wermter über ein System, das immer mehr Plastik produziert und weiter darauf setzt, einen Teil der dadurch wachsenden Müllberge in den Ländern des Südens zu entsorgen.

Frederik Caselitz

Hallo Benedict, vielleicht kannst du zunächst etwas zur Entstehung des Films „Die Recyclinglüge“ erzählen?

Auf Deutsch heißt der Film „Die Recyclinglüge“, aber es gibt auch eine internationale Version mit dem Titel „The Recycling Myth“. Das Ganze ist 2019/2020 anderen Autoren der Produktionsfirma a&o buero vorgeschlagen worden, mit der ich zusammenarbeite. Ich bin dann von der Firma als Regisseur eingesetzt worden und habe zusammen mit meinen Kompagnon Tom Costello übernommen. Wir selbst haben in Brüssel, osteuropäischen Ländern und der Türkei gedreht, die Teile in Indonesien, Singapur und den USA haben wir an Kollegen gegeben. Insgesamt war das ein Riesenaufwand, und ich bin froh und dankbar, dass wir mehrere Partner mit im Boot hatten, nicht nur die ARD, sondern auch die BBC und eine Stiftung.

Schon der Titel der Dokumentation ist deutlich. Die Mythen oder Lügen um das Thema Recycling demaskieren einen Wirtschaftszweig, mit dem viele erstmal etwas Positives verbinden. Wie waren die Reaktionen auf euren Film?

Grundsätzlich haben wir überaus und überwiegend positive Rückmeldungen bekommen. Viele Leute waren dankbar dafür, dass wir ihnen die Realität gezeigt haben. Natürlich waren sie auch ein Stück weit enttäuscht, weil sie davon ausgegangen waren, dass sortierter Plastikmüll wieder aufgearbeitet und verwendet wird.

Dann gibt es natürlich die Entsorgungslobby. Deren Reaktion war eine völlig haltlose Kritik, die aber auch absehbar war. Sie versucht sich in die Opferrolle zu drängen und sagt, dass man doch die positiven Dinge betonen soll. Aber wir machen eben investigative Recherchen und legen Missstände offen. Das Ganze hat nun mal einen systemischen Charakter, und das zeigen wir. Für den überwiegenden Teil dessen, was unter Recycling läuft, gibt es keine sinnvolle Verwendung. Weil das so ist, muss man händeringend nach Lösungen suchen, wie man das Material loswerden kann, eben durch Müllexport und Verbrennung. Da ist eine ganze Verbrennungsindustrie für Plastikabfälle entstanden. Wir müssen uns einfach viel mehr mit Vermeidung, Verringerung und Wiederverwendung von Plastik beschäftigen. Das sagt ja auch der Film.

Um es noch einmal zusammenzufassen: Was ist denn letztlich die Recyclinglüge oder der Mythos?

Der große Mythos ist letztendlich das Recycling selber. Es wird Verbraucher*innen suggeriert, dass Einwegverpackungen in einem Kreislauf laufen und dass man sie mehr oder weniger sinnvoll verwertet. Wir zeigen den Leuten, dass das Ganze entweder verbrannt wird oder sich der Müll das billigste Loch sucht, das er finden kann. Das folgt dann einer Ökonomie, die den Müll in die Länder der sogenannten „Dritten Welt“ bringt, zum Beispiel nach Indonesien, aber auch nach Lateinamerika.

Die internationale Dimension ist für mich die Stärke des Films. Er fängt in Indonesien an mit einer Aktivistin, die Verpackungsmaterial in der Hand hält, das den Namen von Firmen trägt, die aus dem Norden stammen. Wie sieht dieser Zusammenhang genau aus?

Man muss sich klarmachen, dass es Verpackungen sind, die von westlichen oder sagen wir mal mittel- und nordeuropäischen sowie US-amerikanischen Konzernen in Drittweltländern produziert und vermarktet werden. Dort gibt es keine „extended producer responsibility“, es gibt keine Herstellerverantwortung für die Entsorgung ihrer Abfälle. Die Sachen kommen auf den Markt, und nach Verbrauch landen die Verpackungen in der Landschaft oder in Gewässern. Die Ölindustrie, die Chemieunternehmen und die Lebensmittelkonzerne setzen trotz anderslautender Rhetorik weiterhin auf schnelllebige, billig zu produzierende Einwegverpackungen. Und sie tun danach nichts mehr dafür, dass das Material wiederverwertet wird.

Vor diesem Hintergrund finde ich diese Prestigeprojekte interessant, wo in Restaurants oder Cafés der Strohhalm oder das Rührstäbchen aus Bambus sind, und nebenan werden die billigen Plastikverpackungen, in denen die Waren angeliefert wurden, in den Müll geworfen. Im sichtbaren Teil der Gastronomie wird auf Plastik verzichtet, im nicht einsehbaren Teil, etwa der Küche, fallen weiterhin riesige Mengen an Plastikmüll an.

Ich würde auch kein Consumer-Blaming machen, also den Konsument*innen die Hauptverantwortung für die Plastikmüllberge zuschreiben, aber dennoch fehlt vielerorts weiter ein Bewusstsein für das Müllproblem, in vielen Ländern in Asien und auch in Lateinamerika sicher noch mehr als in Europa. Der Müll wird einfach in die Umwelt geworfen. Aber es sind in den meisten Ländern auch nicht die nötigen Strukturen vorhanden, die den Müll geregelt abholen. Von Seiten der lokalen und nationalen Politik besteht wenig Interesse daran, etwas zu ändern. Politiker*innen und Unternehmen verdienen daran, dass mit dem Müll so verfahren wird, wie es heute geschieht. Die Müllkippe gilt noch immer als die einfachste und lukrativste Lösung.

Aber die großen Unternehmen, die Plastik produzieren und aufwendige Plastikverpackungen benutzen, also die stärksten Verschmutzer, wissen sehr wohl, dass dieses Material nicht wiederverwendet oder sinnvoll recycelt werden kann. Sie müssen Verantwortung übernehmen und sich andere Verpackungssysteme überlegen.

Ihr zeigt in dem Film auch Unternehmen, die sich das Recycling besonders auf die Fahnen schreiben, dem aber nicht annähernd gerecht werden. Wieso schaffen es nicht mal die Unternehmen, die mit ihren tollen Recyclingsystemen werben, ihre selbst gesetzten Quoten einzuhalten?

Weil sie es gar nicht können. Hier muss man auch wieder unterscheiden: Es gibt da diese Trittbrettfahrerunternehmen, zum Beispiel Terracycle oder Plastic Bank. Sie werben mit Slogans wie „Stop Ocean Plastic“. Sie behaupten, das Entsorgungsproblem zu lösen, und das tun sie nicht. Bei GOT BAG ist das schon eine etwas andere Sache. Die machen schon gute Dinge. Aber auch hier muss man fragen, warum man Verpackungsmaterial, das in Afrika, Asien oder Lateinamerika angefallen ist, in einen schönen Rucksack presst und den nach Europa exportiert, damit junge Leute aus dem Mittelstand ihn dann tragen können? Das ist einfach gaga. Wenn man das Material schon verwendet, warum sollte man es dann nicht in den Ländern verwerten, wo der Müll anfällt, und dort dann beispielsweise Folien für Dächer daraus herstellen. Aber GOT BAG und Terracycle sind ja so show-off-Sachen (Angebereien). Viel wichtiger ist ein anderes Thema: Die ganze Big-Plastics-Industrie spricht jetzt von Kreislaufwirtschaft, will jedoch das Plastik so kostengünstig wie möglich produzieren. Aber wie will ein börsennotierter Konzern, der von diesem hohen Müllaufkommen abhängt, auch gleichzeitig auf Vermeidung setzen?

Ganz allgemein sehe ich auch keine Projekte in Südostasien oder Südamerika, die sich das gesamte Problem grundsätzlich angucken und sich fragen, wie können wir das, was anfällt, noch irgendwie sinnvoll nutzen und wie können wir das eben auch auf jeden Fall vermeiden.

Es gibt im informellen Sektor auch viele Menschen, die davon leben, Müll zu sammeln und zu verwerten.

Das ist schon erstaunlich, dass es das gibt. Aber die Müllsammler*innen beschäftigen sich natürlich auch nur mit den Dingen, die wirklich einen positiven Wert haben. Bei Plastik reden wir da von Plastikflaschen oder vielleicht auch von Hartplastik, Shampooflaschen etc. Aber mit den meisten anderen Verpackungen kann man nichts anfangen, die werden auch nicht gesammelt.

Die Menschen, die im informellen Sektor Müll sammeln, haben keinen Arbeitsschutz, keine Sozialversicherung und keinen Mindestlohn. Da muss man sich schon fragen, warum eigentlich große milliardenschwere Firmen nicht da anfangen und diese Leute beschäftigen, wenn sie es schon nicht gebacken kriegen, eine erweiterte Herstellerverantwortung oder ein Lizenzsystem in den Ländern aufzubauen.

Aber insgesamt muss man einfach wegkommen von diesem ganzen Müll, mit dem niemand mehr was anfangen kann und der deswegen halt irgendwann im Meer landet.

Eines der Beispiele in der Doku, die mir besonders im Kopf geblieben sind, ist dasjenige mit den Bahnschwellen. Es zeigt, dass irgendwie noch verwendetes Plastik immer doppelt und dreifach subventioniert wird und wahnsinnig viel kostet.

Es ist absurd, was sich da für eine Riesenindustrie Gedanken macht und auf was für Ideen die kommen. Eine Parkbank muss ja nun wirklich nicht aus gepressten Yoghurtbechern bestehen. Die hält dann vielleicht nur fünf Jahre und landet danach in der Verbrennung. Damit werden auch bessere Materialien einfach verdrängt. Und es ist sehr, sehr teuer, unnütze Verpackung einzusammeln und dann umzuwandeln, in Schwellen oder Parkbänke.

Das Ganze hat auch einen schlechten CO2-Abdruck. Kurzum, es ist einfach ein Riesenrad, das nur gedreht wird, um irgendwelchen Müllscheiß zu legitimieren. Und noch absurder wird es dann, wenn wir den Müll trennen und letztendlich damit die Schwerindustrie, z.B. die Zementproduzenten, subventionieren, da sie davon abhängig wird und sich deswegen keine besseren Alternativen überlegt.

Um noch mal auf die internationale Perspektive zu kommen. Welche Rolle spielt Lateinamerika in dem Ganzen?

Um diese Zusammenhänge zu beschreiben, rede ich gerne vom Müllkarussell. Die Länder verändern sich, aber es dreht sich immer weiter. Für Nordamerika ist Südamerika ein Riesenabnehmer. Man findet die Verpackungen aus Nordamerika entlang der gesamten mittelamerikanischen Route. Man kann hier auch noch von Kleidung sprechen, denn Lateinamerika ist eine einzige Müllkippe für „Fast Fashion“ geworden. In Chile beispielsweise gehen riesige Berge an schlechten Shirts letztlich in die Atacama-Wüste. Es ist einfach so, dass wir im Norden denken, wir könnten unsere Entsorgungsprobleme einfach die Toilette runterspülen. Man sieht sie nicht mehr, aber sie sind natürlich nicht weg. Das kann man jetzt auf Plastik beziehen, auf Kleidung, Elektroartikel, Altreifen und anderes (teilweise lösen informelle Arbeiter*innen, oft Kinder, auf Müllhalden aus solchen Abfällen nutzbare Teile heraus. Oft entstehen dabei hochgiftige Dämpfe, weswegen die Menschen, die dort arbeiten, krank werden und früh sterben – die Red.). Das folgt alles derselben Logik: Es ist billiger, den Müll für kleines Geld in die ärmeren Regionen zu schaffen, als ihn hier fachgerecht zu entsorgen. In Mexiko ist Müll aus den USA mittlerweile der fünftgrößte Importartikel.

Und neben jeder Tonne Müll, die importiert wird, gibt es eine Tonne, die lokal entstanden ist und nicht gesammelt wird. Unser Müll geht in den Süden, und gleichzeitg verkaufen unsere Konzerne auch noch mit viel Plastik verpackte Produkte in genau die gleichen Länder, kümmern sich aber nicht um Sammlung und Verwertung.

Man merkt, dass du das Thema nicht nur begleitest, weil du einen Film dazu gemacht hast, sondern auch viel tiefer drin steckst. Wie ging es nach dem Film weiter, wie geht es bei dir weiter?

Nach dem Film ging es zunächst weiter mit Klagen der großen Firmen, die teilweise auch bis in die zweite Instanz gingen. Für die Firmen kratzen die aufgedeckten Tatsachen an ihrem Image, und sie haben natürlich Budgets, die groß genug sind, um juristisch aktiv zu werden. Wir haben aber alle Prozesse gewonnen, und die Klagewelle hat sich jetzt etwas gelegt.

Wir haben mit dem Film den Leuten ein bisschen die Augen für das Thema Plastikmüll geöffnet, aber es hilft nichts, wenn wir in Deutschland die Kommastellen der Abfallstatistiken polieren. Mein nächstes Vorhaben ist, in Indonesien, wo das Problem mit am schlimmsten ist, mehr Bewusstsein zu schaffen. Dort baue ich mit meiner Frau gerade einen Social-Media-Kanal auf, der sich an junge Leute richtet und das Thema in den Fokus nimmt.

Der Film „Die Recyclinglüge“ (75 Minuten) von Benedict Wermter und Tom Costello ist in der ARD-Mediathek verfügbar.

Das Gespräch führte Frederik Caselitz im Oktober 2022 in Jakarta.