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Lasst uns alle den Titicacasee schützen

Wie Jugendliche lokale Gemeinden zu ökologischem Handeln motivieren

Unterstützt von Fundación Compa mit Mitteln von Misereor hat sich ein Netzwerk junger Bolivianer*innen und Peruaner*innen zum Ziel gesetzt, ihre Gemeinden und die politisch Verantwortlichen für die Problematik der Verschmutzung des Titicacasees zu sensibilisieren und zum Handeln zu motivieren. Die Initiative nennt sich „Schützer*innen des Titicaca“. Im September sprachen wir mit drei Aktivistinnen. Eine ist die 24-jährige Kindergärtnerin Judith Emiliana Huampo Quispe aus La Paz. Sie hat gerade auch ihr Studium zur Erzieherin abgeschlossen. Dafür musste sie ein Projekt entwickeln. Ergebnis ist „Ideas Verdes“, eine selbstorganisierte Gruppe von 40 bis 50 aktiven Jugendlichen. Koordinatorin in El Alto ist die 22-jährige Navire Eugenia Ticona Laime. Sie studiert im vierten Jahr Betriebswirtschaft und hält es für wichtig, dass Unternehmen nachhaltig werden. Die dritte Gesprächspartnerin ist die 30-jährige Angela Yhusefhy Colque Ayala, die die Umweltaktivitäten der Casa de la Solidaridad/Proyecto de Vida koordiniert. Dazu gehören Bewusstseinsarbeit in El Alto, Müllsammelaktionen am See ebenso wie die Arbeiten in Gemeinden am Fluss Katari, über den die Abwässer aus El Alto, Viacha und Laja letztlich im Titicacasee münden (siehe ila 418).

Peter Strack

Was tun die „Guardianes del Titicaca“?

Colque: Wir haben Jugendliche zunächst zur Müllproblematik sensibilisiert und dann Workshops zur Kreislaufwirtschaft und schließlich zu Führungsfähigkeiten organisiert. Damit sollen sie lernen, ihre eigenen Initiativen zu entwickeln, zu finanzieren und schließlich umzusetzen. In den Dörfern wird der Müll einfach in den Fluss geworfen oder häufiger noch verbrannt. Wir erklären ihnen, was das für gesundheitliche Folgen hat.

Judith: Bei Areas Verdes setzen wir uns für die Wiederbelebung althergebrachter ökologischer Praktiken ein. Dafür haben Jugendliche aus El Alto zunächst den Katari-Flusslauf aufgesucht, um zu sehen, wie die Abwässer aus Bergwerken oder Fabriken letztlich den See verschmutzen. Hinzu kommt, dass die Jugendlichen das gleiche Wasser selbst auch nutzen, dies mit den entsprechenden gesundheitlichen Folgen. Im zweiten Schritt haben wir die Jugendlichen in Führungsfähigkeiten, partizipativen Techniken und Rhetorik geschult und gezeigt, wie man Kurzgeschichten schreibt. Wir haben auch zu Möglichkeiten des Ökotourismus gearbeitet. Nach dieser Ausbildungsphase folgte der Besuch einer Gemeinde, um mit Hilfe von Fragebögen, Beobachtungsleitfäden und Interviews eine Bestandsaufnahme vor allem der traditionellen ökologischen Praktiken zu machen, die drohen vergessen zu werden, etwa die Nutzung von Heilpflanzen wie den Eukalyptusblättern, die sie während der Covid-Pandemie statt der Alkoholfläschchen zur Desinfektion benutzt haben. Solche traditionellen Formen haben wir in einem Dokument zusammengestellt und online zugänglich gemacht. Schließlich haben wir zu einem Wettbewerb für Erzählungen aufgerufen, in denen diese Handlungsweisen auftauchen sollten. Navire ist übrigens die Gewinnerin.

Navire: Die Erzählungen sollen dazu dienen, Kinder oder auch Erwachsene für die Problematik und die ökologische Praxis zu interessieren.

Judith: Wir sind gerade mit den Illustrationen fertig und werden mit den Kurzgeschichten in die Schulen gehen. Aus einer werden wir einen Kurzfilm produzieren, denn viele Kinder lesen heute nicht mehr so gerne. Ganz am Schluss werden wir den ganzen Prozess in einem weiteren Film dokumentieren. Anfangs hatten wir geplant, mit 50 Jugendlichen direkt zu arbeiten. Durch andere Formen wie Schreibwerkstätten, soziale Medien und Filme und die Zusammenarbeit mit anderen Institutionen sind es deutlich mehr geworden. An den Schreibwettbewerben haben sich auch Leseclubs (extracurriculäre Aktivitäten auf Initiative der Jugendlichen in den Schulen) beteiligt.

Als wir in der Bucht von Cohana die Bestandsaufnahme der Probleme und ökologischen Alternativen gemacht haben, haben uns junge Agronom*innen, Anwält*innen, Architekt*innen, Erzieher*innen und ein Geologe begleitet. Die Anwält*innen haben mit den lokalen Autoritäten darüber geredet, wie sie Eingaben für die zuständigen Stellen verfassen können und wer für was zuständig ist. Der Geologe hat das Trinkwasser analysiert. In der Gemeinde war das Wasser von den Fäkalien der Tiere verschmutzt, die sie ans Wasser gelassen haben. In dem Wasser weiter unten wurden nicht nur Chuños (gefriergetrocknete Kartoffeln, vgl. ila 446) produziert, sondern es wurde auch zum Trinken verwendet. Viele Leute erkrankten deshalb an Durchfall. Ging man den Flusslauf weiter, lag dort Plastikmüll. So haben wir geschaut, wie sie selbst diesen Problemen begegnen können.

In den letzten Jahren habt ihr unzählige Müllsammelaktionen zum Teil an den gleichen Orten organisiert. Ist das nicht frustrierend, dass sich danach immer wieder neuer Müll ansammelt?

Angela: Diese Aktionen haben keine nachhaltigen Wirkungen. Es hilft auch nichts, den jungen Leuten zu sagen, sie sollen keinen Müll wegwerfen. Sie sind das aus ihren Familien gewohnt. Eigentlich müsste man schon bei den Kindern anfangen. Es müsste Bestandteil des Unterrichts in den Schulen sein.

Judith: Es ist aber nicht so einfach, zu den Verantwortlichen im Erziehungsministerium vorzudringen. Dafür müssten wir noch viel mehr werden. Da müssten die Elternorganisationen und die Ausbildungsstätten für Lehrer*innen mitmachen. Das Schulgesetz müsste entsprechend angepasst werden. Es ist stark auf die ländlichen Regionen ausgerichtet, aber nicht auf die Lösung von Alltagsproblemen, insbesondere in den Städten, die für die Problematik wichtig sind. Die jungen Leute verlassen die Schule und können sich nicht einmal richtig ausdrücken, wissen nicht, welche Rechte sie haben, wie sie diese einfordern können, wie ein Projekt funktioniert, welche Stellen für was verantwortlich sind und welche rechtlichen und finanziellen Aspekte zu berücksichtigen sind.

Angela: Dieses Jahr hatten wir eine Säuberungsaktion in Chojasivi. Das Wasser dort ist schon komplett grün und nicht mehr trinkbar. Wenn wir vor Ort Besuche machen, dokumentieren wir das auch und geben die Information über WhatsApp oder Facebook weiter. Vielleicht erreichen wir noch nicht Tausende, aber es gibt eine Kettenwirkung. Den Jugendlichen sind die Probleme schon bewusst. Auch die erwachsenen Bewohner*innen machen sich inzwischen Sorgen, weil die Fischbestände verschwinden. Dort landen über den Seke-Fluss nicht nur Abwässer der Bergwerke, sondern auch der Ledergerbereien in El Alto. Man hat zehn verschiedene Schwermetalle im Wasser nachgewiesen, die krebserregend sind. Aber wir sind zum Glück nicht alleine. Wir suchen die Unterstützung anderer Organisationen, um auf die Kommunalverwaltungen Einfluss zu nehmen, die immer betonen, kein Geld zu haben. In Chojasivi haben sie immerhin daraufhin Brunnen gebohrt, um trinkbares Wasser für das Vieh zur Verfügung zu stellen.

Bei einer Bestandsaufnahme der Binationalen Behörde für den Titicacasee im Juni 2022 wurden 113 Verschmutzungsquellen für das Wasser in Chojasivi identifiziert: 32 davon waren häusliche Abwässer, 25 stammten aus Bergwerksaktivitäten, sechs aus Altbeständen von Bergwerken, und 50 Quellen bestanden aus städtischem Müll. Die Hauptprobleme scheinen in El Alto zu liegen.

Angela: Vor zwei Wochen war ich bei einem Vor-Ort-Besuch dabei. Mitgekommen waren auch Vertreter*innen diverser Landgemeinden, darunter auch aus Chojasivi, sowie der Stadtverwaltung von El Alto. Da kam die Forderung zur Sprache, dass El Alto Maßnahmen ergreifen müsse. Ich wohne selbst am Rio Seco in El Alto und sehe den Müll. Der Geruch ist unerträglich. Doch die Vertreter von El Alto verwiesen nur auf die Bürgermeisterin. Mit ihr müsse man sprechen. Sie selbst hätten keine Entscheidungsgewalt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Bürgermeisterin nicht Bescheid weiß. Angefangen von den Nachbarschaftsgruppen sollte die Zivilgesellschaft das Schweigen brechen, selbst wenn es dann heißt, sie seien politische Gegner. Immerhin haben die Gemeinden Haushaltsmittel und es hängt von ihnen ab, wie sie diese ausgeben. Wir sollten aber auch wertschätzen, was vor uns bereits erreicht wurde, etwa dass die Schulen besser ausgestattet sind und die meisten Gemeinden sauberes Trinkwasser haben.

Es ist auch eine Frage der Prioritätensetzung.

Angela: Die Probleme sind prioritär, auch wenn man an die Klimakatastrophe denkt. Da sind unsere Handlungsmöglichkeiten allerdings begrenzt. Wir können deren Folgen wie die extremen Trockenphasen mildern helfen. Früher begann man im August zu säen und im Januar gab es die ersten Kartoffeln zu ernten. Aber heute wissen die Bäuerinnen und Bauern aufgrund der Klimaschwankungen nicht einmal, wann sie säen sollen, und sie ziehen in die Stadt.

Navire: Wir können Bewusstsein schaffen, damit wir noch mehr werden, um das natürliche Erbe zu bewahren, das uns noch bleibt. Und wenn die nötige Unterstützung dafür nicht von der Regierung kommt, müssen wir sie bei anderen Institutionen suchen. Es ist schließlich ein weltweites Problem.

Judith: Wir wollen verhindern, dass der Titicacasee austrocknet und als natürliches Reservoir und Touristenziel verlorengeht, so wie der Poopósee.

Angela: Seit der letzten großen Trockenheit sammeln wir bei uns zu Hause das Regenwasser. Und das Wasser, das wir zum Wäschewaschen benutzen, verwenden wir für die Toilettenspülung. Wir wärmen das Duschwasser mit Sonnenenergie und wir haben auch einen Sonnenkollektor. Das hat unsere Stromkosten schon deutlich gesenkt. Und Leute, die bei uns vorbeikommen, werden neugierig, fragen danach und geben die Information weiter.