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Entschlossenes Handeln aus der Defensive

Eine kleine Geschichte des Kampfes der kolumbianischen Lehrer*innen mit kleinen Siegen und vielen Niederlagen

Die kolumbianische Lehrer*innenbewegung hat seit ihrer Gründung für die Verbesserung der Arbeitsrechte von Lehrer*innen an staatlichen Schulen gekämpft. Allerdings ist die Basis heutzutage enttäuscht von ihrer landesweiten gewerkschaftlichen Interessenvertretung gegenüber dem Staat. Deshalb sind in einigen Departements unabhängige Gewerkschaften entstanden, die sich vom Kolumbianischen Gewerkschaftsbund der Lehrer*innen (FECODE) losgesagt haben. Diese Neugründungen sind aber weder arbeitnehmerfeindlich noch von der Rechten oder dem Staat unterwandert, sondern haben mit der Unzufriedenheit einiger Lehrer*innen mit der politischen Ausrichtung des Dachverbands zu tun. Denn dieser geriert sich zwar in seinem Diskurs revolutionär, handelt aber in den Verhandlungen komplett arbeitgeberfreundlich und unterwürfig.

Flor Patricia Silva Martínez

Historisch betrachtet hat sich die soziale Absicherung der meisten kolumbianischen Lehrer*innen in den vergangenen Jahrzehnten verschlechtert. Zudem hat die Lehrer*innenschaft in den Tarifverhandlungen auf nationaler Ebene einiges an Spielraum verloren. Sie hat es sogar zugelassen, den Lehrkörper durch verschiedene gesetzliche Regelungen zu spalten. Im Klartext bedeutet das, dass es zu gravierenden Unterschieden zwischen verschiedenen Generationen in der Berufslaufbahn kommt, die unter anderem in den Beförderungen und der Arbeitsplatzsicherheit zum Ausdruck kommen.

Um zu verstehen, wie es dazu kommen konnte, müssen wir auf die 80er-Jahre zurückblicken. In dieser Zeit erfuhr die Lehrer*innenbewegung einen Aufwind, indem sich mehrere kleinere Gewerkschaften zum landesweiten Dachverband FECODE mit den entsprechenden Vertretungen auf departamentaler Ebene zusammenschlossen und wichtige Verbesserungen der Arbeitssituation von Lehrer*innen erreichten. Mit dem Statut 2277 von 1979 wurden die Sozialleistungen und die Arbeitsplatzsicherheit geregelt. Andererseits wurde für die Renten eine Bezugsobergrenze festgelegt, die unter Lehrer*innen als „Begnadigungsrente“ bekannt ist, weil nur die bis zum 31. Dezember 1979 Verbeamteten in den Genuss dieser Regelung kommen.

Eine weitere Verschlechterung der Rentenbezüge erfolgte mit einer Gesetzesnovelle von 1989, die die Rechte im zuvor geltenden Lehrer*innenstatut erheblich einschränkte. Bis dato hatten Lehrer*innen bei ihrer Pensionierung eine monatliche Rente von 75 Prozent ihres letzten Monatsgehalts sowie eine Abfindung erhalten, bei der das letzte Monatsgehalt mit der Anzahl der Berufsjahre multipliziert wurde. Mit dem neuen Gesetz und der Privatisierung der Rentenvorsorge erfolgte eine enorme monetäre Verschlechterung der Rentenbezüge für Lehrer*innen, die nach 1992 ihre Laufbahn begannen. Basis der monatlichen Rente bzw. der Abfindung ist seitdem nicht mehr der letzte Monat vor der Verrentung, sondern das Durchschnittsgehalt der gesamten Berufszeit. Zudem werden monatlich nicht mehr 75 Prozent, sondern nur noch 65 Prozent des Durchschnitts als monatliche Rente ausbezahlt. Da die Einstiegsgehälter relativ niedrig sind und die Lehrer*innen erst gegen Ende ihrer beruflichen Laufbahn höhere Einkommen erzielen, kann die Gesetzesnovelle teilweise zu einer Halbierung der Rentenbezüge im Vergleich zu vorher verrenteten Lehrer*innen führen.

Für diejenigen Lehrer*innen, die nach 2002 verbeamtet wurden, gestaltet sich die Situation noch einmal ungleich schwieriger. Die Bedingungen ihres Berufseinstiegs, die Beurteilung ihrer Arbeitsleistung sowie die Bedingungen zum Aufstieg in die nächsthöhere Gehaltsstufe sind seitdem im Dekret 1278 von 2002 geregelt. Darin ist u.a. festgeschrieben, dass Lehrer*innen zur Beförderung permanent evaluiert werden und schriftliche Prüfungen ablegen müssen, wobei die Beurteilungskriterien eher einem Schutzwall gegen den beruflichen Aufstieg gleichen, die vom Belieben und den subjektiven Entscheidungen der Schulleitung abhängen. Was eigentlich anzunehmen wäre, nämlich dass Gehaltsverbesserungen von positiven Evaluierungsergebnissen abhängen, wird mit der gesetzlichen Neuregelung eingeschränkt. Denn höhere Bezüge bei positiven Leistungen werden nur dann bezahlt, wenn es der Staatshaushalt und die staatlichen Steuereinnahmen erlauben.

Eine persönliche Weiterqualifizierung in einem vom Bildungsministerium anerkannten Studiengang geht demnach in Kolumbien nicht zwangsläufig mit besseren Gehaltszahlungen oder Berufsperspektiven einher. Daraus folgt eine Unterqualifizierung des kolumbianischen Lehrpersonals, wenn man zudem die Lehrer*innengehälter und die Kosten für ein Studium berücksichtigt. Eine einjährige Spezialisierung kostet im Durchschnitt 3500 Euro und ein dreijähriges Doktoratsstudium 8800 Euro, wohingegen im Jahr 2018 ein Lehrer mit einem nach sechsjährigem Studium abgeschlossenen Staatsexamen ca. 560 Euro brutto an einer staatlichen Schule verdient. Zu alledem kommt noch hinzu, dass die kolumbianischen Lehrer*innen eine miserable Gesundheitsversorgung haben. Es kommt nicht selten vor, dass Lehrer*innen und deren Familienangehörige aufgrund von falschen Diagnosen, Verschleppung von Behandlungen und Operationen oder Unterlassung von medikamentösen und therapeutischen Maßnahmen sterben.

Aus all diesen Gründen rief die Lehrer*innenbewegung im Jahr 2014 zu einem unbefristeten Streik auf, der nur zwei Tage andauerte. Ziel des Streiks war es, die Beurteilungskriterien zum Aufstieg in eine nächsthöhere Gehaltsstufe abzuschaffen, allerdings wurde lediglich eine vorläufige Aussetzung erreicht. FECODE erarbeitete daraufhin Kriterien des beruflichen Aufstiegs, die von der Berufsqualifizierung, den Berufsjahren und der intellektuellen Produktion jeder Person abhängen. Diese Kriterien ähnelten dem Modell aus dem Statut von 1979, allerdings mit längeren Zeiträumen zwischen den einzelnen Beförderungsstufen. Die Veränderungen, die mit dem Streik erreicht wurden, waren also minimal.

Deshalb gab es 2015 einen erneuten Streik, bei dem 95 Prozent aller Lehrer*innen auf die Straße gingen und ihre Arbeit für zwei Wochen komplett niederlegten. Der Abbruch des Streiks erfolgte unter fadenscheinigen Gründen und mit Verhandlungsergebnissen, die weit hinter den Forderungen der Basis zurückblieben. FECODE billigte ein Evaluierungsmodell für Lehrer*innen, das weitere Verschlechterungen mit sich brachte und mit Kosten für jede*n einzelne*n Lehrer*in verbunden ist. Die Aufstiegsmöglichkeit bleibt weiterhin abhängig von der Liquidität des Staatshaushaltes.

Aus Unzufriedenheit mit der politischen Strategie von FECODE rebellierten wir gegen die Führungsspitze und wurden noch im selben Jahr aus den departamentalen Vertretungen des Gewerkschaftsbundes ausgeschlossen, weil wir die Absetzung des Vorstands gefordert hatten. In der Folge wurden wir Opfer von gewerkschaftlicher und juristischer Verfolgung sowie von Repression am Arbeitsplatz. Es folgten Anzeigen bei der Generalstaatsanwaltschaft wegen Beleidigung, Verleumdung und Missachtung des Versammlungsrechts. In der Anzeige wurde sogar behauptet, dass wir das Leben des FECODE-Vorstands gefährdet hätten, sodass gegen uns ein internes Disziplinarverfahren eröffnet wurde. Damit standen unsere Jobs ernsthaft auf dem Spiel. Erst ab dem Moment, als die kritischen Lehrer*innen aus der Mehrheitsgewerkschaft rausgeworfen worden waren und die neue Gewerkschaftsvereinigung der Lehrer*innen des Valle (ASIEVA) gegründet hatten, ließ die Sanktionswelle nach. Auf Landesebene schließen sich seitdem Lehrer*innen in von FECODE unabhängigen Gewerkschaften zusammen, die imstande sind, unabhängig von Parteien und bürokratischen Apparaten eine andere politische Praxis zu leben.

Im Jahr 2017 schließlich rief FECODE wieder einmal zur kompletten Arbeitsniederlegung auf. Dieses Mal dauerte der Streik 37 Kalendertage und auch wir strömten einmal mehr auf die Straßen. Dieses Mal gingen die Forderungen über die Reform der Aufstiegsmodalitäten hinaus. Auf der Agenda stand nämlich auch die Verbesserung der Gesundheitsversorgung von Lehrer*innen und die Erhöhung der Staatsausgaben für Bildung. Es kam zu Verhandlungen über eine mögliche Umverteilung von Staatseinnahmen, jedoch verhinderten die ungleichen Kräfteverhältnisse, dass eine Modifizierung des Staatshaushaltes erreicht werden konnte. Dies war kaum anders zu erwarten, denn eine rechte Regierung neoliberaler Couleur gibt nicht so einfach nach. Die Ergebnisse des Streiks waren wieder einmal mager und sind ein weiterer Schlag der Regierung gegen die Lehrer*innenbewegung. Unsere Arbeitsplatzsicherheit ist weiter in Gefahr und es wurde ein Vertrag mit derselben Krankenkasse geschlossen, die für die unzureichende medizinische Versorgung der Lehrer*innen verantwortlich ist. Insbesondere die Gesundheitsproblematik ist wegen des weiterhin mangelhaften Gesundheitsschutzes besorgniserregend. Dies betrifft weniger die Führungsspitze von FECODE, sondern vor allem die breite Basis.

Aufgrund der Nichterfüllung der 2017 erzielten Vereinbarungen seitens der Regierung rief FECODE 2018 erneut zu einem eintägigen Warnstreik auf. Allerdings kam das wahre Motiv des Streiks erst während der Mobilisierung zum Vorschein, denn es war kein Zufall, dass dieser ausgerechnet während des Wahlkampfes für die Parlamentswahlen stattfand. Inmitten des Streiks lancierte die FECODE-Führungsspitze ihre Kampagne für ihre Wunschkandidat*innen für das Abgeordnetenhaus und den Senat. Dabei handelte es sich um ehemalige Sprecher des Zentralen Gewerkschaftsbundes (CUT), der über eine halbe Million Mitglieder zählt. Daran wurde überdeutlich, dass die Mehrheit der Gewerkschaften von der politischen Rechten und im besten Falle von progressiven Kräften kooptiert ist. Die ursprüngliche Mission, die Beweggründe und die wahrhaften Ziele, wofür die Lehrer*innenbewegung einmal angetreten war, scheinen vollkommen verloren gegangen zu sein. Vor allem aber zeigt sich daran die politische und ideologische Desorientierung sowie eine Strategiekrise innerhalb der Gewerkschaften. Es ist keineswegs verwerflich, politisch Partei zu ergreifen, allerdings verbietet sich um der Unabhängigkeit der Organisation willen, die Basis für Wahlziele zu instrumentalisieren.

Im Gegensatz dazu verstehen wir uns als unabhängige und klassenkämpferische Gewerkschaft. Unsere politische Praxis bedeutet Verbrüderung mit den Arbeiter*innen, Gewerkschafter*innen, Studierenden und sozialen und feministischen Bewegungen. Wir solidarisieren uns mit all denjenigen, die eine neue Welt für möglich halten, eine Welt, in der Bildung und (selbst)kritisches Denken ein grundlegendes Prinzip eines neuen Menschen darstellen. Diese Frauen und Männer sind die Avantgarde im Kampf gegen die Ungleichheit und die Ungerechtigkeit, in einer anderen Welt mit anderen Träumen. Nicht einfach, aber vielversprechend allemal, schwierig, aber nicht unmöglich. Wir wissen, dass wir nicht allein sind und es viele Wege zum Aufbau einer neuen Welt gibt. Das Wichtigste aber ist, dass wir uns auf den Weg begeben haben. Und eines ist sicher, wir werden weiter voranschreiten.

Flor Patricia Silva Martínez ist Generalsekretärin für Frieden und Menschenrechte von ASIEVA – Gewerkschaftsvereinigung der Lehrer*innen des Valle.

Übersetzung: Andreas Hetzer