Eine junge Frau aus einfachen Verhältnissen wird zur Leihmutterschaft gezwungen – und gerät in die Fänge einer mächtigen mexikanischen Familie. Ungefähr so geht der Plot der neuen Netflix-Serie „The Surrogacy“ / „Madre de Alquiler“. So weit, so klischeehaft. Leihmutterschaft ist in der Popkultur angekommen, dabei wird öffentlich kaum darüber gesprochen. In Deutschland berät gerade eine von der Ampelregierung eingesetzte Kommission darüber, ob nicht verschiedene Gesetze, die die menschliche Fortpflanzung betreffen, dringend ein Update brauchen. Darunter: Soll sogenannte altruistische Leihmutterschaft erlaubt werden? Aktuell ist es verboten, von anderen Leuten ein Kind austragen zu lassen, egal ob gegen Bezahlung oder „altruistisch“, egal ob mit eigenen oder fremden Eizellen. Ähnlich ist es in den meisten europäischen Ländern. Aber: Der Wunsch nach dem biologischen Kind wurde über Jahrzehnte von Staat und Markt gefördert, ein unerfüllter Kinderwunsch kann großen Leidensdruck erzeugen. Deswegen floriert, solange es sich Menschen leisten können, das Geschäft eben anderswo. Aktuell vor allem in der Ukraine (trotz Krieg) und Georgien (das Leihmutterschaft aber bald für Ausländer*innen verbieten will), aber auch in den USA, Kanada und Kolumbien. Und in Mexiko boomt das Geschäft seit der Pandemie so richtig.
Dabei ist Leihmutterschaft schon viel länger Thema. Wir haben uns die Augen gerieben, als wir feststellten, dass wir darüber schon vor 36 Jahren geschrieben haben: im ersten ila-Schwerpunkt 121 zu „Geschäften mit der Reproduktion“ im Dezember 1988. Das Heft eröffnete damals mit einer Rede von Ingrid Strobl, die wegen ihrer „Beteiligung“ an einem Sprengstoffattentat – sie hatte einen Wecker gekauft – im Knast saß. Wir erinnern heute auch an Ingrid Strobl als eine unermüdliche Frauenrechtlerin, die im Januar dieses Jahres in Köln verstorben ist.
An einigen Stellen sind wir heute weiter in der Debatte als damals. Wir sprechen nicht mehr ausschließlich über die Rechte von Frauen, sondern auch von trans, inter und nicht-binären Personen. Manch sogenannte radikalfeministische Gruppe meint vielleicht noch immer, die armen Frauen im globalen Süden retten zu müssen, ohne Involvierte selbst zu Wort kommen zu lassen. Leihmütter haben heute aber ganz andere Möglichkeiten, sich selbst etwa über Social Media Gehör zu verschaffen. Was uns dabei nicht verloren gehen darf, ist die strukturelle Kritik, für die unsere Vorkämpferinnen den Weg bereitet haben: dass Reproduktion marktförmig – und damit ausbeuterisch – organisiert ist und entlang rassistischer Kriterien selektiert wird.
Schon in der ila 121 gab es einen Beitrag, der das mexikanische Familienplanungsmotto „Die Kleinfamilie lebt besser“ kritisch unter die Lupe nimmt. Heute fragen wir, warum sich diese Vorstellung so hartnäckig hält, wo sich doch Familienmodelle wie durch ein Prisma aufgefächert haben: Regenbogen, Patchwork, trans Elternschaft. All die „neuen“ Möglichkeiten scheinen dem Ideal der heterosexuellen Mittelschichtskleinfamilie aber wenig anzuhaben. Ja, oft befeuern die Werbebroschüren von Reproduktionskliniken gerade dieses Bild. LGBTI-Familienmodelle sind vor allem dann akzeptiert, wenn sie die heterosexuelle Kleinfamilie so gut wie möglich imitieren. Und armen und indigenen Frauen wird weiterhin freundlich die freiwillige Sterilisierung ans Herz gelegt – eine Möglichkeit, die viele von ihnen durchaus schätzen.
Das bringt uns zur zentralen Frage dieses ila-Schwerpunkts: Wer muss für das Recht kämpfen, abtreiben zu dürfen? Und wer dafür, sich überhaupt fortpflanzen oder anderweitig eine Familie gründen zu dürfen? Vor 30 Jahren, 1994, brachte eine Gruppe afroamerikanischer Frauen in Chicago das Konzept der reproduktiven Gerechtigkeit aufs Tapet. Es verbindet reproduktive Rechte und soziale Gerechtigkeit. Die Weltbevölkerungskonferenz im selben Jahr in Kairo vollzog einen Paradigmenwechsel: Nicht mehr Bevölkerungskontrolle, sondern Frauenrechte sollten Priorität haben. Ähnliche Debatten wurden aber an vielen Orten der Welt schon früher geführt, nicht zuletzt unter Schwarzen Frauen in Brasilien. Zu reproduktiver Gerechtigkeit zählen:
– das Recht, sich für Kinder zu entscheiden und die Formen der Schwangerschaftsversorgung und Geburtshilfe selbstbestimmt wählen zu können,
– das Recht, keine Kinder zu bekommen und sicheren Zugang zu Verhütungs- und Abtreibungsmöglichkeiten zu haben,
– das Recht, Kinder in selbstgewählten Umständen aufziehen zu können – frei von institutioneller, struktureller und interpersoneller Gewalt sowie unter guten sozialen, gesundheitlichen und ökologischen Bedingungen (nachzulesen in einer Einführung des Gunda Werner Instituts)
Wo stehen wir heute, 30 Jahre nach Chicago und Kairo, im Kampf für reproduktive Gerechtigkeit?