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Für einen Brief bis Quito fahren

Interview mit Ricardo Quiroga, ehemaliger Direktor von Correos del Ecuador

Im Jahr 2021 wurde das staatliche Postunternehmen Correos del Ecuador (CE) abgewickelt, doch die angestrebte Privatisierung der Postdienste funktionierte nicht. Woran das lag und wie der ecuadorianische Postdienst systematisch heruntergewirtschaftet wurde, erzählt Ricardo Quiroga, 2014-2015 Direktor von CE, im Interview.

Mirjana Jandik

Im Mai 2020 hat der damalige Präsident Lenín Moreno angekündigt, das staatliche Postunternehmen Correos del Ecuador abzuwickeln, weil es ineffizient sei. Woran lag das?

Es stimmt, dass Correos del Ecuador Effizienzprobleme hatte. Aber die Abwicklung war sicher nicht die richtige Lösung. CE war das älteste Unternehmen Ecuadors und das einzige, das eine universale Postzustellung garantierte. Das heißt, dass durch staatliche Subventionierung sichergestellt wurde, dass auch in die ärmsten und abgelegensten Gegenden Post geliefert wurde. Schon seit einigen Jahren ging es wirtschaftlich bergab. Es gab auch mal bessere Zeiten, aber dann wurden sehr schlechte politische Entscheidungen getroffen. Schon in den letzten beiden Jahren der Präsidentschaft von Rafael Correa, der von 2007 bis 2017 im Amt war, wurde CE heruntergewirtschaftet. Und zwar so massiv, dass ich mir nicht vorstellen kann, dass das einfach nur Unfähigkeit war – das muss politisch beabsichtigt gewesen sein.

Was waren denn die wirtschaftlichen Herausforderungen?

Die Rahmenbedingungen waren schwierig für ein staatliches Postunternehmen. Für das ursprüngliche Kerngeschäft, die Briefsendung, wurde der Markt immer kleiner. Ich meine, wann hast du selbst zuletzt einen Brief geschickt? Ich, als ich in Kolumbien studiert habe und meinen Eltern in Guayaquil geschrieben habe. Gleichzeitig stieg der Paketversand immer weiter an. Aber da gibt es zwei Probleme. Das erste: Wenn ich in Ecuador etwas bei Alibaba in China kaufe, dann bezahle ich Alibaba und Alibaba bezahlt das chinesische Postunternehmen, das die Sendung an die ecuadorianische Post gibt – aber niemand bezahlt Correos del Ecuador. Dafür gibt es den Weltpostverein (UPU), der einen globalen Kompensationsmechanismus etabliert hat. Darüber bezahlt also China Ecuador. Aber: Wir kriegen den Scheck von China nur alle drei Jahre. Du arbeitest also und kriegst dein Geld erst drei Jahre später. Das ist erstmal nicht wirtschaftlich tragfähig. Deswegen wird der Sektor staatlich subventioniert.

Bei privaten Unternehmen ist das anders – wenn du etwas mit DHL verschickst, dann liefert es DHL auch aus, also das gleiche Unternehmen. Das zweite Problem ist die Konkurrenz, und da gibt es wieder zwei verschiedene Arten. Bei den großen Versandunternehmen mit ihren riesigen und komplexen Logistiksystemen ist der Versand viel teurer, aber auch schneller als bei staatlichen Unternehmen. Dann gibt es aber noch eine ganz andere Art der Konkurrenz, und die liebe ich! Hier in Quito gibt es einen Mann mit Nachnamen Quizhpi. Zwei seiner Brüder sind in die USA migriert. Dann gründete dieser Herr Quizhpi sein eigenes kleines Unternehmen, Quizhpi Express. Unglaublich viele Ecuadorianer*innen leben ja in den USA, aktuell migrieren so viele wie seit den 2000er-Jahren nicht mehr. Und alle, die ihren Angehörigen in Chicago etwas schicken wollen oder umgekehrt, gehen zur Filiale von Quizhpi Express. Anfangs hatten die Brüder ein kleines Büro in Quito und eins in Chicago, und davor immer eine riesige Schlange, ein Megageschäft! Sie nehmen morgens in Quito die Pakete an, fahren nachmittags zum Flughafen, geben die Sendungen bei der Airline auf, die kommt in Chicago an, da nimmt der Bruder sie in Empfang, geht in sein Büro, packt aus – fertig. Wie soll CE da mithalten? Inzwischen haben sie Filialen in mehreren Städten, aber sie arbeiten immer noch mit minimalen Personalressourcen und Infrastruktur. Das ist unschlagbar günstig und schnell. Und das hat das staatliche Postwesen stark getroffen.

Stärker als die Konkurrenz durch große private Unternehmen wie DHL?

Ja, denn die sind teuer. Die schicken um die ganze Welt, schnell und mit Garantie. Da sagt man als staatliches Unternehmen: Top, ihr macht das Premium-Segment und wir alles darunter. Es ist ja unsere Berufung, für die ärmsten Leute zugänglich zu sein. Aber dann kommt Quizhpi Express um die Ecke und bricht uns das Genick (lacht).

Gab es denn keine staatliche Subventionierung?

Schon, aber das ist eigentlich nicht das Problem. Ein Postunternehmen sollte sich ja eigentlich selbst tragen und gar nicht subventioniert werden müssen. Viele staatliche Postunternehmen suchten also andere Wege, um rentabel zu sein, in vielen Ländern über Postbanken. Oder eben über den Logistikbereich, darauf haben wir in Ecuador eine Zeitlang gesetzt, als ich Direktor von CE war. Der Staat braucht ja ein Logistikunternehmen, und wir haben verschiedene Segmente im Logistikbereich übernommen. Zum einen die sogenannte passive Logistik, also die Digitalisierung von Dokumenten. Was vorher verschickt wurde, haben wir nun digitalisiert und auf einem sicheren Server gespeichert, sodass die Empfänger*innen die Dokumente einfach von zu Hause aus herunterladen konnten. Eine Rieseninfrastruktur, die ja alle staatlichen Entitäten brauchen, denn alle müssen wichtige Dokumente sicher speichern. Zum anderen auch Projekte der aktiven Logistik, zum Beispiel die Verteilung von Schulkits, Bücher und Uniformen, ins ganze Land. Das hat super funktioniert. Wir haben auch versucht, den Einfluss des organisierten Verbrechens zurückzudrängen. Einer ihrer Geschäftszweige war der Raub von Medikamenten, die das Gesundheitsministerium in die Krankenhäuser schickte. Wir haben die Versorgung so umgebaut, dass es in den staatlichen Krankenhäusern immer nur noch einen Medikamentenvorrat für drei Tage gab und wir jeden Tag die ausgegebenen Medikamente auffüllten. So waren nur noch geringe Mengen an Medikamenten in den Krankenhäusern vorrätig und der Raub wurde unattraktiver. Natürlich lief nicht alles super. Unser Versprechen war eigentlich, alles innerhalb von 24 Stunden überallhin zu liefern, aber ehrlicherweise war das weit entfernt von der Realität. Doch immerhin ging es bergauf.

Was ist dann passiert?

Ich wurde gefeuert und meine Nachfolgerin hat alle Projekte im Logistikbereich beendet, die Medikamentenversorgung, die Digitalisierung. Alle außer ein paar wenigen, die schon unterschrieben waren, die sie nicht auflösen konnte. Wir glaubten, dass es den Plan gab, das Unternehmen herunterzuwirtschaften und zu verkaufen. Aber als es dann soweit war, wollte niemand CE kaufen. Denn das Gesetz verpflichtet dazu, dass CE den universalen Postversand garantiert, also auch in den letzten Winkel des Amazonasgebiets liefert, und das zu erschwinglichen Preisen. Das muss staatlich subventioniert werden, das ist nicht rentabel. Letztlich wurde also CE geschlossen, um noch mal das gleiche Unternehmen mit anderem Namen – Servicios Postales del Ecuador – aufzubauen. Die Organisationsstruktur ist fast identisch.

Fast alle Arbeiter*innen von CE wurden ja entlassen. Gab es Proteste dagegen, und wurden einige bei SPE dann wieder eingestellt?

Es gab Proteste, aber sehr kleine. CE hatte etwa 1500 Angestellte überall im Land verteilt. In Quito gab es vielleicht 300, wie soll man da eine große Demo auf die Beine stellen? In der SPE wurden dann nur sehr wenige Arbeiter*innen übernommen. Und bis heute hat SPE noch nicht überall Filialen geöffnet, nur in ein paar großen Städten. Sie haben Subunternehmen beauftragt, zum Beispiel für die Verteilung von liegengebliebenen Paketen von CE. Viele gingen einfach verloren und werden jetzt gespendet oder vernichtet.

Letztlich leidet unter dem ganzen am meisten die ärmste Bevölkerung, denn im Moment gibt es keine zuverlässige Möglichkeit, Briefe oder Pakete in ein Dorf im Amazonasgebiet zu schicken. Du kannst den Brief zum Premiumtarif nach Quito schicken und die Person muss dahin fahren, um den Brief abzuholen.

Vielen Dank für das Interview, ich schicke Ihnen dann gerne eine ila zu - obwohl, kommt die wohl an, oder schicke ich lieber eine pdf?

Doch, schicken Sie sie gerne per Post – als Test!

Das Interview führte Mirjana Jandik am 27. April 2023 via Zoom.