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Mapuche im Fokus der Repression

In Bariloche sitzen Frauen und Kinder seit Monaten im Hausarrest

Eigentlich sichert eine argentinische Verfassungsreform von 1994 der indigenen Bevölkerung das Recht auf Land zu. Die Reform konkret umzusetzen steht aber bis heute aus, und so kommt es immer wieder zu Landbesetzungen und in der Folge zu Auseinandersetzungen zwischen indigenen Mapuche und Sicherheitskräften. Mit großer Brutalität wurde am 4. Oktober 2022 die Mapuche-Gemeinschaft Lafken Winkul Mapu am Mascardi-See in der Provinz Río Negro von einer Spezialeinheit geräumt. Mehrere Menschen wurden festgenommen, darunter die Machi, die spirituelle Heilerin. Verschiedene Mapuche-Gruppen trugen den Protest dagegen bis nach Buenos Aires.

Alix Arnold

Es war der erste Einsatz des neu gegründeten „Vereinten Kommandos“ unter Beteiligung von Gendarmerie, Küstenwache, National- und Flughafenpolizei. 250 Einsatzkräfte fielen mit Hubschraubern und Wasserwerfern in das Territorium ein. Sie warfen Tränengasgranaten, zerstörten die Behausungen und den persönlichen Besitz der Bewohner*innen und drohten mit Schusswaffen. Sieben Frauen wurden verhaftet. Gegen vier von ihnen wurde Untersuchungshaft in Form von Hausarrest verhängt. Sie leben mit einer weiteren Frau und ihren insgesamt neun Kindern, darunter drei Babys, in einem kleinen Haus der Mapuche-Bewegung in Bariloche, das sie bis zum Prozess nicht verlassen dürfen. Die Kinder können nicht mehr zur Schule gehen.

Bei der Besetzung dieses Territoriums in Villa Mascardi ging es auch darum, nach mehr als 100 Jahren den einzigen Rewe, den spirituellen Ort der Mapuche, zurückzuerobern. Nun sind Frauen wegen „widerrechtlicher Aneignung“ angeklagt. „Du wolltest ein Stück Erde? Dann friss Erde, Scheiß-India“, mit diesen Worten sei einer der Frauen bei der Festnahme der Kopf auf den Boden gedrückt worden. Sie berichteten von erheblicher Gewalt und demütigender rassistischer Behandlung. Vier Frauen wurden in das 1600 Kilometer entfernte Gefängnis Ezeiza bei Buenos Aires gebracht, wo sie sich mehrfach ausziehen mussten und nackt fotografiert wurden. Zwei Tage lang hatten sie zu niemandem Kontakt und niemand wusste, wo sie sich befanden. Eine der Frauen war hochschwanger und sollte gezwungen werden, per Kaiserschnitt zu gebären. Nach diesem Überfall kam es in der Provinz zu weiteren Hausdurchsuchungen.

Zu den Verhafteten gehört Betiana Colhuan Nahuel, die Machi, die Heilerin und spirituelle Autorität der Mapuche (in anderen Gegenden Schamanin genannt). Lange Zeit hatte es keine Machi gegeben, denn im Zuge des Völkermordes Ende des 19. Jahrhunderts wurden gezielt die Frauen mit medizinischen Kenntnissen getötet. Die Machi ist 21 Jahre alt, hat zwei Kinder und ist die Cousine von Rafael Nahuel, der am 25. November 2017 auf demselben Territorium von einem Mitglied der Küstenwache erschossen wurde. Bis heute gab es kein Verfahren gegen den Täter. Der Freund, der den tödlich verletzten Rafael ins Tal gebracht hat, wird dagegen seitdem juristisch verfolgt und muss versteckt leben. Rafael wurde nur 22 Jahre alt. Ein weiterer junger Mapuche, der Opfer dieser Konflikte wurde, war Elías Garay aus der nahe gelegenen Gemeinschaft Quemquemtrew. Dieses Territorium war im September 2021 zurückerobert worden. Am 21. November 2021 drangen zwei Männer, offensichtlich mit Zustimmung der Polizei, in das Gebiet ein. Nach einem Disput mit einer Gruppe Mapuche erschossen sie Elías und verletzten einen weiteren Jugendlichen, der nur durch eine Notoperation überlebte. Im Dezember 2022 wurden die beiden Männer schuldig gesprochen, das Strafmaß steht noch aus. Beide sind Angestellte des Unternehmers Rolando Rocco, der die Forstlizenz für das umstrittene Gebiet hat und von der Lokalpolitik protegiert wird.

Das Territorium der Lof Lafken Winkul Mapu liegt 35 Kilometer südlich von Bariloche und gehört zum Nationalpark Nahuel Huapi. Hier lebten Mapuche, bis sie bei der sogenannten Wüsteneroberung Ende des 19. Jahrhunderts vertrieben und ermordet wurden. 2017 haben sie sich den Ort zurückgenommen. Die Gemeinschaft beansprucht 12 der insgesamt 710 000 Hektar des Nationalparks. Mapuche nehmen sich auf dem argentinischen Staatsgebiet seit den 1990er-Jahren ihr Recht, auf ihr angestammtes Land zurückzukehren. Sie sprechen dabei nicht von Landbesetzungen, sondern von der Rückeroberung von Territorien. Mit der Verfassungsreform von 1994 wurden die indigenen Völker sowie ihr Anspruch auf Land und Gemeinschaftseigentum anerkannt. Eine Umsetzung steht jedoch bis heute aus. (Zur Geschichte der Landfrage in Patagonien siehe den Artikel in ila 452.)

Die Mapuche stehen dem Extraktivismus und den Geschäften mit der Natur im Weg. Anlass für die Räumung soll die Brandstiftung an einem Gendarmeriefahrzeug gewesen sein. Die Anwälte, die Lof Lafken Winkul Mapu juristisch vertreten, sehen einen anderen Hintergrund. Villa Mascardi liegt in einer wunderschönen Landschaft, in der mit Luxustourismus, Immobiliengeschäften und Forstwirtschaft große Gewinne zu machen sind. Die Anwälte haben keinen Zweifel, dass sie den laufenden Prozess um das Territorium der Gemeinschaft gewinnen würden. Um dies zu vermeiden, gehe die Oligarchie, die sich Patagonien aneignen wolle, nun zusammen mit der ihr hörigen Lokalpolitik und Presse mit Diffamierung und Repression gegen die Mapuche vor, so die Anwälte. Dabei geht es nicht nur um nationale Oligarchie, sondern auch um ausländische Investoren wie Benetton oder den Emir von Katar.

Ihren Rassismus trugen die lokalen Rechten zwei Tage vor der Räumung bei einer „patriotischen“ Demonstration auf die Straßen. Mit dabei war die frühere Ministerin für innere Sicherheit Patricia Bullrich, verantwortlich für das Handeln der Sicherheitskräfte bei der Ermordung von Rafael Nahuel und bei vielen weiteren Repressionen. An dem Autokorso über die Landstraße Ruta 40 nach Villa Mascardi beteiligten sich zwar nur 200 Personen, aber umso kruder waren ihre Gewaltfantasien: „Roca, komm wieder, du hast deine Arbeit noch nicht zu Ende gebracht“, war auf einem Schild an einem der Autos zu lesen – ein direkter Aufruf zur Fortsetzung des Völkermordes, denn es war General Roca, der diesen Ende des 19. Jahrhunderts anführte.

Im November zogen 20 Frauen der „Bewegung von indigenen Frauen und Diversen für das Buen Vivir“ mit ihrer Gründerin Moira Millán nach Buenos Aires (siehe die Besprechung zu ihrem ersten Roman in ila 452). Die Frauen aus verschiedenen indigenen Völkern forderten die Freilassung der gefangenen Mapuche-Frauen, die Rückkehr der Machi an ihren spirituellen Ort sowie die Auflösung des neuen Polizeikommandos. Außerdem protestierten sie gegen den „chineo“, die systematische Vergewaltigung indigener Mädchen aus kolonialistischen, rassistischen und machistischen Motiven durch in der Regel weiße privilegierte Männer. Anfang November war in der Provinz Salta wieder ein 12-jähriges Mädchen aus dem Volk der Wichí bewusstlos aufgefunden worden, nachdem es vergewaltigt und gewürgt worden war. Am 2. November machten die Frauen einen Sitzstreik im Umweltministerium, wo sie einen Forderungskatalog aus Bariloche gegen die Verfolgung und Kriminalisierung der Mapuche abgaben. Am 9. November besetzten sie die Zentralbank, da von diesem Ort aus Tod und Vertreibung finanziert werden. Das geforderte Gespräch mit dem Präsidenten der Bank fand statt, allerdings ohne Ergebnis. Am 13. November besetzten sie die Kathedrale und übergaben dem Kardinal Mario Aurelio Poli den Forderungskatalog, zu dem Kirche und Papst Stellung beziehen und sich solidarisieren sollten.

Einen Monat später, am 12. Dezember, reiste eine Delegation von Anführer*innen verschiedener Gemeinschaften von Mapuche und Mapuche-Tehuelche aus den Provinzen Neuquén, Río Negro und Chubut nach Buenos Aires, um sich mit der Regierung zu treffen. Ihre Pressekonferenz am nächsten Tag im Haus der Gewerkschaft CTA Autónoma war gut besucht, Berichte erschienen danach allerdings nur in wenigen linken Medien. Am nächsten Tag traf sich die Delegation nach einer kleinen Kundgebung auf der Plaza de Mayo im Regierungspalast Casa Rosada zu einem Gespräch mit dem Präsidenten Alberto Fernández. Dieser sagte zu, mit den Verantwortlichen der Nationalparks zu sprechen, die die verhafteten Frauen angezeigt hatten, um anstelle der juristischen Verfolgung eine politische Lösung zu finden. Ein zweites Treffen am 12. Januar 2023 in der Ex-ESMA, dem ehemaligen Folterzentrum der Marine, das heute Gedenkstätte und Sitz von Menschenrechtsorganisationen ist, brachte wieder kein konkretes Ergebnis. Ein drittes Treffen soll Ende Januar in Bariloche stattfinden. Sollte es nicht vorher doch noch zu einer politischen Lösung kommen, beginnt im Februar der Prozess gegen die Mapuche-Frauen.