Die Welt rückt nach rechts. Nicht nur in den USA oder Europa. Angesichts von Schreckgespenstern wie Trump, Le Pen und Petry geraten die südamerikanischen Rechten wie Macri oder Temer hier ein wenig aus dem Blickfeld. Dabei sind letztere eifrig dabei, die Errungenschaften des linken Zyklus in Lateinamerika zu zerstören.
Der linke Zyklus. Damit ist die bemerkenswerte historische Konstellation in Südamerika gemeint, die nach der Jahrtausendwende Gestalt annahm: In einem Land nach dem anderen gewannen linksgerichtete Kräfte demokratische Wahlen und griffen die Kritik der sozialen Bewegungen an den neoliberalen Verwüstungen der vorherigen Jahrzehnte auf, versprachen Umverteilung und mehr Gerechtigkeit. Einige nahmen gar Begriffe wie „Sozialismus“ oder „Bürgerrevolution“ in den Mund. Selbstbewusst sorgten die beteiligten Regierungen für regionalen Zusammenhalt, schufen beispielsweise die Gemeinschaft südamerikanischer Nationen UNASUR oder das Bolivarianische Bündnis ALBA. In Ländern wie Bolivien oder Ecuador entwickelten Bewegungen und Regierungen Konzepte für eine andere Gesellschaft in verfassunggebenden Prozessen; neuartige transformatorische Ansätze wie die „Rechte der Natur“ oder das Ziel des Buen Vivir, des „Guten Lebens“, beflügelten (öko-)soziale Bewegungen weltweit. Oder, wie es eine unserer Autorinnen schreibt: „Einen solchen Aufwind hatte die soziale Emanzipation seit den späten 1960er-Jahren nicht mehr erlebt.“
Und nun ist der linke Zyklus in Lateinamerika nach nicht einmal eineinhalb Jahrzehnten an sein Ende gekommen. Ist die Rechte nun wieder im Aufwind? Einige verneinen diese Frage und verweisen etwa auf Uruguay, wo die Frente Amplio nach wie vor recht hohe Zustimmung genießt, oder ganz aktuell auf Ecuador, wo Lenín Moreno, Präsidentschaftskandidat von Correas Gnaden, am 2. April knapp die Stichwahl für sich entschied. Andere meinen, dass es so etwas wie einen linken Zyklus nie gegeben hat: Schließlich hätten alle (Mitte-)Links-Regierungen auf ein extraktivistisches Modell gesetzt, das ihre Länder auf die Rolle des Exporteurs von Primärgütern festnagelte, wobei Umweltzerstörung und Vertreibung der lokalen Bevölkerung als Kollateralschäden hingenommen wurden. Armut und Ungleichheit seien zwischen 2002 und 2012 nicht nur in den progressiv regierten Ländern zurückgegangen, sondern in der gesamten Region, also auch in rechtsregierten Ländern wie Peru oder Kolumbien (Zahlen der UN-Wirtschaftskommission für Lateinamerika bestätigen dies). Damit sei hinreichend bewiesen, dass die sozialen Errungenschaften allein dem Preisboom für Rohstoffe aufgrund der gewachsenen Nachfrage aus China geschuldet waren und nicht der Politik der progressiven Regierungen. Letzteren Arguments bedienen sich allerdings auch rechte KritikerInnen.
Andere wiederum finden, die Rechtswende habe bereits unter den (Mitte-)Linksregierungen selbst begonnen: Sie legten ihre einst systemverändernden Ansätze schnell ad acta, kungelten mit nationalen wie internationalen Kapitaleignern, KritikerInnen wurden befriedet und eingebunden oder, wenn dies nicht gelang, bekämpft und verfolgt. Von dem reformerischen Ansatz, mehr Staat zu wagen, um mit Sozialprogrammen umzuverteilen, Armut zu lindern, Gewinne aus Ressourcenverkäufen für den Staat und somit das Gemeinwohl abzuschöpfen, ist mitunter nur die autoritäre Seite des starken Staates übrig geblieben, der repressiv gegen kritische Stimmen vorgeht.
Doch auch wenn wir Regierungen wie die ecuadorianische oder die bolivianische für ihre zunehmend autoritären Tendenzen kritisieren, dürfen wir niemals vergessen, dass dies überhaupt nicht zu vergleichen ist mit dem brutalen und mörderischen Umgang mit oppositionellen Kräften in Mexiko, Honduras, Paraguay oder Kolumbien, also in Ländern, wo zum Beispiel transnationale Bergbauunternehmen noch ungehinderter und noch weniger besteuert ihren Raubbau und ihre Zerstörung betreiben können. Insofern ist es vielleicht falsch, immer nur die linken Regierungen für ihre Fehler zu geißeln. Sollte man nicht vielmehr da-rauf achten, was sie in Zeiten allgemein rechter, neoliberaler Hegemonie verhindert haben? So erreichte uns im Vorfeld die Kritik an unserer Fragestellung, etwa im Hinblick auf Brasilien. Eigentlich hätte man dort gar nicht von einer Linksregierung sprechen können, schließlich hatte die Arbeiterpartei zuletzt nicht mehr als 14 Prozent der Sitze im Abgeordnetenhaus, zu Lulas Zeiten nie mehr als 25 Prozent. Die Rechte verfügte also stets über die parlamentarische Mehrheit. „Die Leute haben den charismatischen Lula gewählt, nicht die PT. In Brasilien gab es keine ‚linke‘, sondern eine ‚links-geführte‘ Regierung. Das ist so, als wäre in Deutschland Gregor Gysi Bundeskanzler, während die Linkspartei 14 Prozent der Sitze im Bundestag hat. Würde man ihm unter solchen Umständen Vorwürfe machen, die Pläne der Linkspartei nicht umzusetzen?“
Aber uns geht es ja gar nicht ums „Bashing“ aus der vergleichsweise bequemen Ecke heraus, sondern darum zu lernen: zu untersuchen, wo diese Regierungen erfolgreich waren, wo nicht, welche Fehler sie begangen haben und was alle daraus für die Zukunft lernen können. Und unsere AutorInnen liefern dazu, wie wir finden, eine Menge spannendes Diskussionsmaterial.