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Die Anti-Prinzessinnen

Argentinischer Verlag will Genderstereotypen aufbrechen und nimmt es mit Disney auf
Britt Weyde

Buenos Aires atmet an einigen Stellen noch den Geist der guten alten Zeit. Hier scheint Lektüre in Papierform noch geschätzt zu werden. Das vermitteln zumindest die zahlreichen Zeitungs-, Zeitschriften- und Bücherstände auf den Straßen im Zentrum. Da gibt es zwar viel Billigware, Bestseller, Ratgeber und Esoterik, aber alle wichtigen Zeitungen oder gar linksradikale Blätter werden ebenfalls angeboten. Und – leider – auch Kinderzeitschriften, die einen unglaublichen Sog auf Mädchen im besten Trotzalter ausüben. Das sind allerdings keine Zeitschriften im Geolinostil, sondern Disneyheftchen, die jeweils einer der verschiedenen Prinzessinnen aus den Disney-Märchenverfilmungen gewidmet sind: mit Comicbildstrecken, Poster von Heldin und Eroberer in der Mitte, Rätseln, Bastel-, Back- und Frisurentipps. Ein weiterer rosapinklila Baustein in einer gigantischen Merchandisingmaschine, der weggeht wie warme bizcochos und auch in deutschen Bahnhofsbuchhandlungen dominiert. Geplagten Eltern mit Mädels dieser Altersklasse sei versichert, dass diese Phase irgendwann vorbei ist, wie schnell, das mag damit zusammenhängen, was den Kindern sonst noch so geboten und vorgelebt wird. Genau in diese Bresche schlagen die MacherInnen der Reihe Antiprincesas, denn im Hinblick auf Unterwegslektüre für Kinderunterhaltung ist der argentinische Zeitschriftenmarkt nicht besonders diversifiziert. „Wir wollten mit dem Stereotyp der Frau brechen, deren Schönheit auf das äußere Erscheinungsbild reduziert ist, und stattdessen beispielhafte Frauen vorstellen, die über eine enorme innere Schönheit verfügen und die auch nicht passiv darauf warteten, dass ein Prinz sie rettet, sondern die selbst ihr Leben änderten“, erklärt Autorin Nadia Fink. Statt der fiktiven Märchenprinzessinnen werden Persönlichkeiten aus der lateinamerikanischen Kultur und Geschichte porträtiert.

Im Juni 2015 ist das erste Heft erschienen. Den Anfang hat die mexikanische Malerin Frida Kahlo gemacht, eine starke und beeindruckende Persönlichkeit, politisch, leidenschaftlich, mit einem Leben voller Höhen und Tiefen. Eine lateinamerikanische Ikone, die „sich nicht mit dem begnügte, was von ihr erwartet wurde“, wie es auf der Website des Verlags Sudestada heißt. „Eine Frau, die ihre traurigsten und glücklichsten Momente auf der Leinwand festhielt…, und die für das Gute auf der Welt kämpfte, nicht nur für sich selbst, sondern für viele andere auch.“ Ihre Lebensgeschichte wird in dem Heft erzählt, ihre Kunst und wichtige Werke werden vorgestellt. Aber auch Aspekte wie das nicht heteronormative Liebesleben von Frida Kahlo und Diego Rivera werden nicht ausgespart: „Für Frida zeigte sich die Liebe bei Männern und Frauen“, heißt es da ganz lakonisch.

In den Heften der Reihe werden nicht nur die Lebensgeschichten erzählt, sondern es gibt auch didaktische Spiele und weitere Anregungen. Die Reihe richtet sich an „Jungs und Mädchen“, angepeilte Altersklasse: sechs bis zwölf Jahre. Heft Nr. 2 ist Violeta Parra gewidmet, der chilenischen Liedermacherin und Künstlerin, die eine der wichtigsten FolkloreinterpretInnen Lateinamerikas ist. Das dritte Heft ist gerade in der Mache, hier steht die bolivianische Unabhängigkeitsheldin Juana Azurduy im Zentrum.

In der Erzählung über Violeta werden auch traurige Momente gezeigt, etwas dass Violetas erster Ehemann „eine Frau wollte, die zu Hause bleibt“ und deshalb die Sängerin verließ, die für seinen Geschmack zu viel reiste und außer Haus auftrat. Oder die Armut ihrer Familie. Violeta besaß keine schönen Kleider. „Und obwohl keine gute Fee erschien, um ihr ein superschönes Kleid zu schenken, hatte ihre Mama eine großartige Idee: ,Hilda, komm hilf mir!‘ ,Was Mami?‘ sagte Hilda, Violetas jüngere Schwester. ,Hilf mir, die Vorhänge abzuhängen, damit ich daraus einen schönen Rock für Violeta nähen kann…‘“

Komplexere Begriffe, die im Text auftauchen, wie zum Beispiel „Autodidaktin“, „Entwurzelung“ oder „Nomade“ werden in einzelnen Sprechblasen kindgemäß erklärt. Im hinteren Teil sind exemplarisch zwei Liedtexte von Violeta Parra abgedruckt, des Weiteren ein Gedicht von Pablo Neruda über Violeta sowie Anregungen, um eigenen Liedtraditionen nachzuspüren oder eigene künstlerische Versuche mit RecyclingmMaterialien zu machen (schließlich war Violeta Parra nicht nur Musikerin, Sängerin und Folklorearchivarin, sondern auch bildende Künstlerin, deren Wandteppiche es bis in den Louvre schafften).

Nadia Fink, die Autorin der Texte, ist Redakteurin der Kultur- und Politikzeitschrift Sudestada und Herausgeberin beim Verlag El Colectivo. Sie möchte, dass Kinder nicht unterschätzt und hergebrachte Stereotype aufgebrochen werden. „Wir stellen uns der Herausforderung, Geschichten für Mädchen und Jungs zu erzählen, Geschichten, die selten oder nur halb erzählt werden, und dann stets so, dass diese Leute als weit entfernt und unerreichbar erscheinen. Wir sprechen von denen, die ihre eigenen Grenzen überwanden und die versuchten, die Welt auf eine andere Art zu verstehen, Hindernisse zu überwinden und ein Werk zu hinterlassen, das überdauert.“ Ein schönes Anliegen, das hoffentlich viele aufgeklärte Eltern – und auch ihre Kinder! – anspricht und uns noch weitere lateinamerikanische Persönlichkeiten auf diese beschwingte Art und Weise näherbringt.

Nadia Fink/Pitu, Colección Antiprincesas, # 1 Frida Kahlo, # 2 Violeta Parra, 26 Seiten, Editorial Chirimbote und Editorial Sudestada, Buenos Aires 2015, ca. 7 Euro, ISBN: 978-987-3951-00-8