ila

Das weinende Auge

Gedenken an den Bürgerkrieg in Peru

Im März 2002 hat die ila von den Anfängen, im November 2003 von den Ergebnissen der Wahrheits- und Versöhnungskommission (CVR) in Peru berichtet. Auch heute noch ist die Aufarbeitung der Vergangenheit ein wichtiges Thema in Peru, gerade wenn es um Entschädigungszahlungen geht, die immer noch nicht bewilligt wurden. Trotz mangelndem politischen Willen von Seiten des Staates gibt es genügend peruanische wie auch internationale Menschenrechtsorganisationen sowie peruanische Opferorganisationen, die sich nach wie vor mit den Themen der CVR und der Aufarbeitung der Vergangenheit beschäftigen. Die Übergabe des Berichtes der CVR an Präsident Alejandro Toledo hat sich am 26. August zum zweiten Mal gejährt. Kerstin Kastenholz berichtet von einigen Aktionen, die sie vor Ort miterleben konnte.

Kerstin Kastenholz

Seitdem der Bericht der Wahrheits- und Versöhnungskommission fertiggestellt und dem Präsidenten am 26. August 2003 übergeben worden ist, wird jedes Jahr aus diesem Anlass eine öffentliche Gedenkveranstaltung organisiert. Sie soll an die 20 Jahre politische Gewalt (1980-2000) in Peru erinnern, denn ohne Erinnerung an die Vergangenheit und deren Aufarbeitung kann es keine friedliche Zukunft geben. In diesem Jahr kamen mehr Leute zu der Gedenkveranstaltung als in den beiden Jahren zuvor. An diesem Freitag, den 26. August, versammelten sich ca.13 000 Menschen auf dem Campo de Marte in Lima, um an die 69 280 Toten zu erinnern sowie an deren Familienangehörige und andere Opfergruppen. Besonders auffällig war die große Anzahl Jugendlicher und SchülerInnen im Publikum.

„La raza“, eine typisch andine Band, ließ Alt und Jung zusammen schunkeln. Insgesamt wurden fünf Bühnen aufgebaut und über eine Stunde liefen die verschiedenen Opfer- und Schülergruppen über die Verbindungsstege dieser fünf Bühnen. Sie hielten Plakate und Banner hoch, die Wahrheit, Gerechtigkeit und Entschädigung forderten. Viele der Gruppen trugen bunte, geknotete Opferbänder mit sich, die sie an den Wänden der Bühnen befestigten. Diese Opferbänder stellen das Resultat einer sehr beeindruckenden Initiative dar: Während der letzten vier Monate lief eine Gruppe von vier jungen Menschen, darunter zwei Waisen, über 4000 Kilometer durch Peru, um in den abgelegenen Dörfern von den Ergebnissen der Wahrheitskommission zu berichten. Auf jeder Station dieses Friedensmarsches wurden Knotenbänder geknüpft, so genannte Quipus1. Die Läufer brachten die in ganz Peru im Gedenken an die Opfer des Bürgerkrieges geknüpften Quipus nach Lima, wo sie an diesem Tag vor dem gesamten Publikum präsentiert wurden. Aus den verschiedenfarbigen Knotenbändern soll ein gemeinsames Denkmal entstehen, das an die Verbrechen der Vergangenheit erinnern und ein Symbol für Frieden markieren soll. Dieses Denkmal wird im Campo de Marte installiert werden.

Die Idee stammt von der Kunsthistorikerin Kika Moncloa, die selbst aktiv in der Wahrheitskommission mitgearbeitet hat. Außerdem berichtet ein Film von den Erlebnissen der vier jungen Leute in den abgelegensten Regionen Perus.

Später am Abend spielte die peruanische Rockband „Mar de Copas“, bei der die begeisterten Jugendlichen laut mitsangen und wild tanzten. Einen weiteren Höhepunkt stellte die bekannte Theatergruppe „Yuyachkani“ dar. Der Name stammt aus dem Quetchua und bedeutet in etwa „ich erinnere mich“. Yuyachkani spielt schon seit über 20 Jahren Theater, die meisten ihrer Theaterstücke handeln vom Bürgerkrieg in den Anden und der Diskriminierung der Indígenas. Die Gruppe schaffte es, das gesamte Publikum in ein schweigendes Meer zu verwandeln. Mit ihrem Auftritt und den Kostümen, die an die Anden- und UrwaldbewohnerInnen erinnern, gelang es ihnen, die ungemein schreckliche Vergangenheit, unter der hauptsächlich die indigene Bevölkerung gelitten hat, dem gesamten Publikum zu vermitteln.

Am Sonntag, den 28. August 2005, fand eine weitere Gedenkfeier statt. Im Campo de Marte wurde die Gedenkstätte an die Opfer des Bürgerkrieges eingeweiht. Es handelt sich um ein Labyrinth, der Weg führt in der Mitte zu einem Gedenkstein, der so gemeißelt ist, dass er an ein weinendes Auge erinnert, aus dem tatsächlich Wasser herauskommt. Das Besondere an dem Denkmal sind die Steine zwischen den Wegen: Auf jedem Stein wurde mit Handschrift der Name eines Toten niedergeschrieben. Zum jetzigen Zeitpunkt befinden sich erst ca. 6000 Namen auf den Steinen, aber bis Ende September sollen ca. 26 000 Namen ihren Platz finden. Es sind nicht die Namen von allen, sondern nur von denjenigen Toten, die bisher mit Namen identifiziert werden konnten.

Wichtige Vertreter, wie der ehemalige Vorsitzende der CVR, Salomón Lerner, der Bürgermeister von Jesús María (aus dem Stadtteil, in dem sich das Denkmal befindet) sowie andere VertreterInnen von Opferorganisationen, wie der Präsident der Vertriebenenorganisation ASFADEL Teófilo Orozco, hielten Reden, um der Opfer zu gedenken. Nach den Ansprachen nahm sich jedeR eine weiße Rose, ging den langen Weg durch das Labyrinth und legte die Rose auf die Steine nieder. Eine andächtige Stimmung entstand, als zwei Campesinos eine Ansprache hielten, sich alle innerhalb des Labyrinths die Hand gaben und sich schworen, dass sich so etwas niemals wiederhole, „para que no se repita, nunca más“.

Etwas abseits des Labyrinths führte Kika Moncloa ein rituelles „Opfer an die Erde“ durch und weihte damit symbolisch ihr Opferbänderdenkmal ein. Sie hofft, dass es im Dezember dieses Jahres der Öffentlichkeit präsentiert werden kann, bisher fehlt ihr jedoch noch die offizielle Genehmigung. Trotz allem ist sie sehr zufrieden mit ihrer Arbeit, sie ist glücklich über all die vielen Menschen, die am Freitag und auch am Sonntag gekommen waren, um zusammen für ein besseres Peru zu kämpfen, für ein Peru, in dem alle gleichberechtigt sind, die selben Chancen haben und gleich behandelt werden.

  • 1. Ursprünglich ein Informationsinstrument der Inka, die keine Schrift besaßen, um sich über weite Strecken zu verständigen, das von „Chasquis“ übermittelt wurde.