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Krasser Gegensatz zum Impfstoffimperialismus

Cubas Strategie gegen Covid-19

Über 500 Millionen Menschen haben sich bisher mit Covid-19 infiziert. Über sechs Millionen sind an oder mit dem Virus gestorben. Arme trifft es mehr als Reiche, Schwarze mehr als Weiße. Und das liegt nicht am Virus. Was sind die Ursachen dafür, was könnte die Lösung für eine gerechtere medizinische Versorgung sein? Der Traum des südafrikanischen Geistlichen und Menschenrechtsaktivisten Desmond Tutu war der „einer Welt, in der man stärker auf das Wohl des anderen bedacht ist, in der es mehr Mitgefühl gibt, in der Menschen mehr zählen als Dinge, in der sie wichtiger sind als der Profit“. Unter dieser Prämisse geben die kapitalistischen reichen Länder kein gutes Bild ab. Und das liegt auch am Impfstoffimperialismus, der im krassen Gegensatz steht zu einer gemeinwohlorientierten Medizin, wie sie in Cuba anzutreffen ist.

Klaus Piel

Die Pharmakonzerne orientieren sich an den lukrativen Märkten in den Industrieländern. Sie sind an Gewinnen interessiert und an der Entwicklung von gewinnträchtigen Medikamenten, den Blockbustern sowie deren Vermarktung, und nicht an einer guten und ausreichenden Versorgung der Weltbevölkerung. Der Leitsatz „Wir sind nur sicher, wenn wir alle sicher sind“, eine humanitäre Grundeinstellung und die Übernahme von Verantwortung auch gegenüber den „Verdammten dieser Erde“ sind den Pharmakonzernen und unserer Politik fremd.

Die USA mit Moderna, Deutschland mit BioNTech und England mit Astra Zeneca unterstützten ihre jeweiligen Platzhirsche bei der Impfstoffentwicklung mit Beträgen bis zu einer halben Milliarde Euro. Big Pharma schöpfte dann die Ergebnisse der mit hohen öffentlichen Mitteln geförderten Grundlagenforschung an Universitäten und medizinischen Forschungslaboren ab, benutzte und vermarktete sie. Schließlich konnten sie dann die Preise für die Impfstoffe weitgehend selbst festsetzen und auch die Riesengewinne realisieren. So wurden die Bürger*innen zweimal zur Kasse gebeten.

Auch die COVAX-Initiative, ein Produkt der WHO und eines ihrer Hauptförderer, der Bill und Melinda Gates Stiftung, hat sich als neoliberales Feigenblatt erwiesen, da die angebotenen Dosen, die teilweise von ärmeren Ländern gekauft werden mussten, längst nicht ausreichten und die Monopolbildung der Topproduzenten noch ausgebaut wurde. Insgesamt kann man sagen, dass die Pharmaindustrie kaum an der Entwicklung von neuen Impfstoffen interessiert ist, da dies zu risikoreich und damit zu wenig lukrativ ist. Nur die starken staatlichen Förderungen ließen sie bei dem Rennen mitmachen. Schließlich kommt es darauf an, einer der ersten zu sein und dann richtig Kasse zu machen, nach dem Motto „The winner takes ist all“. Deshalb bevorzugte man bei den Zulassungsstudien Bewertungskriterien wie Schutz vor leichter Infektion, aber nicht vor Krankenhausaufenthalt und Tod; Verkürzung des Abstands der Zweitimpfung auf vier Wochen(Moderna und BioNTech/Pfizer); ältere Menschen und Risikopatient*innen waren in den Studien unterrepräsentiert.

Pfizer/BioNTech, unerfahrener Newcomer im Impfgeschäft ebenso wie Moderna, bekam am 11. Dezember 2020 als erstes Unternehmen die Notfallzulassung und gewann das Rennen. Unternehmen mit der größten Erfahrung und den größten Produktionskapazitäten wie Merck und GSK-Sanofi zogen sich zurück, was letztlich zur Knappheit der Impfstoffe beitrug.

Die nicht leicht zu erfüllenden WHO- Kriterien für Impfstoffe sind im Target Product Profile (TPP) aus dem Jahr 2020 festgelegt, und die gängigen Impfstoffe verfehlten sie teilweise krachend: Eignung für alle Altersgruppen, auch für Kinder und gebärfähige Frauen; keine schweren Nebenwirkungen; eine Wirksamkeit von mindestens 70 Prozent; einmalige Verabreichung; Schutz für ein Jahr oder länger; Stabilität bei höheren Temperaturen; schnelle Produktion in ausreichenden Dosen; Verfügbarkeit zu niedrigen Kosten.
Für Cuba war die Pandemie nicht nur eine „harmlose Erkältung“ wie in Trumps USA oder Bolsonaros Brasilien, sondern von Anfang an eine ernsthafte Bedrohung. Bereits im Januar 2020 ergriff Cuba auf allen Ebenen Maßnahmen und Schulungen im Hinblick auf die zu erwartende Pandemie. Cubanische Spezialist*innen reisten nach China, um zu helfen und sich zu informieren. Schon früh wurden Arbeitsgruppen eingerichtet wegen der notwendigen Labortests, Therapien und der Entwicklung von Impfstoffen. Zu allen Zeiten gab es in Cuba eine gute Informationspolitik zum Pandemiegeschehen, dann einen längeren Lockdown sowie tägliche Visiten durch Familienärzt*innen und Medizinstudierende in ihrem Bezirk.

Cuba hat bisher fünf Impfstoffe aus zwei Linien entwickelt. Alle sind Proteinimpfstoffe und wurden in enger Zusammenarbeit der wichtigsten staatlichen Institute in einer großen Kraftanstrengung entwickelt. Es sind die einzigen Impfstoffe, die in einem lateinamerikanischen Land entwickelt worden sind und auch schon verimpft werden.

Die Soberana-Reihe (Soberana 01 und 02 sowie Soberana plus) wurde in nationaler Zusammenarbeit von dem Finlay-Impfinstitut, der Universität von Havanna und dem CIM (Zentrum für molekulare Immunologie) entwickelt. Plattform ist der eigene Meningokokken-B-Impfstoff, als Antigen sind rekombinante Spikeproteinanteile verwendet worden.

Die Abdala-Mambisa-Reihe wurde im Zentrum für Gentechnik und Biotechnologie (CIGB) entwickelt. Plattform ist der eigene Hepatitis-B-Impfstoff, als Antigen dienen ebenso rekombinante Spikeproteinanteile. Mambisa ist einer der ersten nasalen, also über die Nase zu verabreichenden Impfstoffe gewesen. Aktuell befindet er sich in Cuba in der klinischen Prüfung. Er soll als Booster eingesetzt werden.

Im August 2022 informierte die Leitung von BioCubaFarma über den Entwicklungsstand eines neuen Impfstoffkandidaten gegen die Omikron-Variante. Spikeproteinanteile als Antigene waren bisher an den Beta- und Delta-Stämmen von Covid-19 orientiert.

Über 90 Prozent der Bevölkerung in Cuba sind drei Mal geimpft, auch Kinder ab zwei Jahren. Über 70 Prozent sind mindestens ein Mal geboostert. Die cubanischen Impfstoffe haben eine hohe Effektivität von über 90 Prozent und geringe Nebenwirkungen. Sie sind verantwortlich für sehr geringe Erkrankungsraten, trotz des wieder aufgenommenen Tourismus, und für eine ganz geringe Letalitätsrate durch Covid-19.

Ein weiteres wichtiges Element im Umgang mit der Pandemie sind die über 20 Wirkstoffe zur Therapie, die auf Cuba zugelassen sind, darunter auch homöopathische und pflanzliche. Itolizumab, ein monoklonaler Antikörper, ist wirksam gegen eine fatale Überreaktion des Immunsystems („Zytokininsturm“) und hat sogar Testphasen in den USA und Brasilien durchlaufen. Hinzu kommt das hohe Vertrauen der Bevölkerung in die eigene Medizin, das medizinische Personal und eine Regierung, die sich bei Katastrophen wie Hurricans und Seuchen wie Dengue oder Cholera bewährt hat und immer für alle Cubaner*innen da war.

Zum Einsatz kamen cubanische Impfstoffe bisher im Iran, in Nicaragua, Mexiko, Vietnam, Argentinien und Venezuela. Großes Interesse an diesen Vakzinen hat auch die WHO wegen ihrer Stabilität, der vergleichsweise günstigen Kosten und ihrer Wirksamkeit, auch bei der Omikron- und der Deltavariante.

Cuba ist zu einem umfassenden Technologietransfer in die Länder des Südens bereit, einschließlich einer dortigen Impfstoffproduktion. Dies steht im krassen Gegensatz zu den reichen Industrieländern, die sich hartnäckig der vorübergehenden Freigabe ihrer Patentrechte und der Weitergabe ihres Knowhows verweigern. Cubanische Forscher*innen und chinesische Wissenschaftler*innen arbeiten in Yongzou in der Provinz Hunan an neuen Vakzinen gegen weitere mögliche Virusvarianten. Die Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO) hat übrigens vor Kurzem die Entwickler der cubanischen Impfstoffe mit der WIPO-Medaille für Erfinder ausgezeichnet.

Für die Entwicklung und die Produktion der Impfsera und die Impfung hat Cuba etwa 50 Prozent seines Gesundheitsbudgets ausgegeben, mit der Folge, dass die medizinische Basisversorgung gelitten hat und immer noch leidet. Hinzu kommen die fehlenden Einnahmen durch den Wegfall des Tourismus und die brutale Blockadepolitik der USA: Selbst in Pandemiezeiten zogen sie die Daumenschrauben weiter an, behinderten die Lieferung von Beatmungsgeräten, Schutzkleidung Medikamenten, Geräten und medizinischen Verbrauchsmaterialien, selbst von Treibstoff, und verhinderten sie teilweise gar aktiv.

Cuba war und ist in diesen Zeiten von der solidarischen Hilfe befreundeter Staaten abhängig und auch von der unermüdlichen Unterstützung der weltweiten Solibewegung, die zu Cubas Überleben nicht unerheblich beigetragen hat. Besonders erwähnenswert ist hier die Initiative des europäischen Netzwerkes mediCuba-Europa, die die Unterstützung aus Europa in den letzten Jahren wesentlich getragen und koordiniert hat.

Was Cuba aber am meisten helfen würde, wäre eine Aufhebung der US-Blockade, damit Firmen ohne Angst vor US-Sanktionen in Cuba investieren, Banken ohne Probleme wieder finanzielle Transaktionen mit Cuba durchführen können. Schließlich kontrollieren die USA auch die Finanzströme und bestrafen die Banken, die den Zahlungsverkehr mit Cuba abwickeln. So zahlte die französische Bank BNP Paribas im Jahr 2014 die Rekordsumme von fast neun Milliarden Dollar Strafe an die Finanzbehörden der USA, um ihr US-Geschäft nicht zu verlieren und um eine Beschlagnahmung ihres Vermögens in den USA zu vermeiden. Ebenso müsste ein wissenschaftlicher Austausch wieder ermöglicht werden. Vor allem müsste Cuba seine hochwertigen medizinischen Produkte weltweit vermarkten können.

Als deutscher Vertreter von mediCuba-Europa (MCE) bietet die Humanitäre Cuba Hilfe e.V. (HCH) auch eine Überweisungsmöglichkeit an MCE auf das HCH-Konto mit Spendenbescheinigung an. Spendenkonto der HCH e.V. bei der Sparkasse Dortmund. IBAN: DE52 4405 0199 0091 0160 36, BIC DORTDE33XXX • Stichwort: MCE–Projekte via HCH

Der Autor ist im Vorstand der HCH und der mediCuba-Europa