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Debatte auf Autopilot

Ecuador und der Krieg in der Ukraine

Obwohl Ecuador eines der lateinamerikanischen Länder mit der größten Gemeinde von Landsleuten in der Ukraine ist und obwohl Russland an fünfter Stelle steht, was die Exporte Ecuadors betrifft, hat es die aktuelle Debatte über den neuen Krieg nicht über bestimmte Klagen hinausgeschafft, die den „russischen Kommunismus“ betreffen oder die Repatriierung von Landsleuten, die im Konflikt feststecken. Auch drei Wochen nach Beginn der russischen Invasion stehen die Nachrichten über den Krieg nicht im Zentrum des Medieninteresses. Das Ganze scheint lediglich die wenigen, auf internationale Fragen spezialisierten Veröffentlichungen zu beschäftigen.

Franklin Ramírez Gallegos

Die spärliche öffentliche Debatte über den Krieg wirkt zunächst erstaunlich, wenn man bedenkt, dass die beiden stärksten Parteien des Landes – Pachakutik (PK), die Wahlplattform, die der indigenen Bewegung nahesteht, und Revolución Ciudadana (RC), die von Expräsident Rafael Correa angeführt wird – von jeher Positionen eingenommen haben, die der Ausrichtung Ecuadors an der Außenpolitik der USA kritisch gegenüberstehen, was im Übrigen genau die Position der aktuellen Regierung unter Guillermo Lasso ist. Zwei Tage nach dem Beginn des Konflikts verurteilte Lasso den russischen Angriff und unterstrich seine Verpflichtung zum Multilateralismus sowie sein Einverständnis mit den Entscheidungen, die der UN-Sicherheitsrat treffen werde, um den Frieden wiederherzustellen. Danach hat es allerdings kaum weitere Erklärungen zum Thema gegeben. Möglicherweise liegt die Zurückhaltung des Präsidenten daran, dass sich der ehemalige Banker, trotz seiner Nähe zu Washington, im August 2021 mit Putin traf, um Produktionsinitiativen und ein Handelsabkommen anzustoßen, was zu der nüchternen nationalen Debatte über den Krieg beigetragen hat. Hierbei sind jedoch drei Fragen wichtig: zum einen die Unfähigkeit, die RC und PK als Oppositionskräfte und gegenhegemoniale Kräfte an den Tag legen zu einem Zeitpunkt, zu dem eine radikalisierte Rechte die Politik dominiert; zum anderen die Verwandlung eines Großteils der Bewegung Pachakutik zu einem Verbündeten der Regierung; und schließlich das schwache Interesse und die spärliche kritische Reflexion von Seiten der Linken und der sozialen Bewegungen gegenüber internationalen Fragen. Hier geht es logischerweise nicht darum, dass sich dieser Sektor unbedingt der Regierungspolitik entgegenstellen sollte, sondern darum, die Gründe dafür zu verstehen, warum die Landespolitik einer Angelegenheit, die den Globus erschüttert, so indifferent gegenübersteht. Wie auch immer, inmitten einer tiefgreifenden sozialen Krise beherrschen die drängenden internen Konflikte die öffentliche Debatte.
Und wenn sich die Eliten und die großen Medien des Landes des Themas annehmen, neigen sie dazu, den Krieg als Effekt einer „grässlichen kommunistischen russischen Ideologie“ zu auszulegen. Diese Vorgehensweise, die Misstrauen mit ideologischen Anspielungen und tiefgreifender Ignoranz kombiniert, erlaubt es, Putin im gleichen Atemzug mit der lateinamerikanischen Linken in Verbindung zu bringen, vor allem mit den eigenen lokalen Gegenspielern (Correa-Anhänger*innen, Indigene, Populist*innen). Ein ehemaliger Vizepräsident der Republik, der Influencer und häufig eingeladener Talkshow-Gast im Fernsehen ist, schäumte am 1. März: „Das [russische] Verhalten bestätigt das große Risiko, das es überall dort gibt, wo ein Tyrann die Demokratie nicht zu kontrollieren vermag, außerdem die verdammte DNA des sowjetischen Marxismus-Leninismus, den einige in Lateinamerika immer noch verherrlichen.“ Andere Personen des öffentlichen Lebens und Journalist*innen haben diese These aufgegriffen.

Die Resonanz dieses Unsinns ist jedoch dem Umstand geschuldet, dass auch die ideologischen Projektionen bestimmter Teile der Linken auf Autopilot geschaltet sind und Russland als geopolitischen Verbündeten gegen den „Yanqui-Imperialismus“ oder das „Vorrücken des Westens“ darstellen – Überbleibsel des Kalten Krieges. Solche Diskurse, die in bestimmten Nischen der Sozialen Netzwerke geführt werden, haben für gewisse Interaktionen und öffentliche Klagen in den Kreisen ecuadorianischer Aktivist*innen gesorgt. Tatsächlich haben nicht wenige das Narrativ Putins übernommen, das den Krieg ausschließlich als Antwort auf die Expansionsbestrebungen der NATO erklärt. Die Kritik von Gabriel Boric an der russischen Offensive hat in diesen Kreisen starke Reaktionen und Zweifel an der weltanschaulichen Berechtigung des frisch gewählten chilenischen Präsidenten hervorgerufen. Die Positionierungen Cubas und Venezuelas verstärken in diesen Kreisen jene Skepsis. Dafür haben sie nicht wenig Kritik bekommen, ein Anzeichen dafür, dass sich der linke Diskurs in Ecuador erneuert (und sich vom Drehbuch des Correismus löst). Diese Kreise haben von Putin und „seinen“ Oligarchen gesprochen, von der neoliberalen Privatisierung, seiner neo-zaristischen Expansionspolitik, der Repression im Inland.

Jenseits der politisch-ideologischen Debatten in kleinen Bereichen der Sozialen Netzwerke haben die Kriegsdynamiken bei politischen, sozialen und Medien-Akteuren lediglich in dem Moment für Aufmerksamkeit gesorgt, als es um die Repatriierung von Hunderten von Ecuadorianer*innen ging, die in der Ukraine leben und von einem Tag auf den anderen das Land verlassen mussten. Urplötzlich entdeckte das Land, dass die ecuadorianische Gemeinde in der Ukraine etwa 850 Personen umfasst und damit dort die größte Community von Lateinamerikaner*innen stellt, dass die meisten Universitätsstudent*innen sind (von denen viele wiederum einen ungeregelten Aufenthaltsstatus haben) und dass sie vom ecuadorianischen Staat konkrete Maßnahmen forderten, um unverzüglich das Kriegsgebiet verlassen zu können. Die politische Opposition meldete sich zu Wort, um vom Außenministerium Tempo, Herzlichkeit und Effizienz bei der Repatriierung einzufordern. Ihre Forderungen wurden noch eindringlicher, als bekannt wurde, dass einige derjenigen, die die Ukraine verlassen mussten, nicht nach Ecuador zurück, sondern lieber in Europa bleiben wollten. Diese Präferenz war ein Beweis für die Verschlechterung der Lebensbedingungen in Ecuador – in den letzten Jahren ist die Auswanderungswelle in Richtung nördlicher Länder auch wieder stärker geworden – und für die schlechten Aussichten für junge Menschen, ein Lebensprojekt in ihrem Herkunftsland aufzubauen. Der Außenminister bestätigte, dass 20 Prozent der Ecuadorianer*innen, die in der Ukraine lebten, lieber in Europa bleiben wollten und sogar um Vermittlung von Seiten der ecuadorianischen Regierung ersuchten, um Touristen-Visa ausgestellt zu bekommen. Daraufhin brach eine grausame Kontroverse in den sozialen Netzwerken, den Medien und den politischen Institutionen aus. Diese Studierenden waren Hohn und Spott ausgesetzt. Die Regierung wies die Verantwortung für diese Bürger*innen von sich (was sie bestimmt in eine prekäre Lage hinsichtlich ihres Aufenthaltsstatus bringen wird) und setzte die Operation zur Rückführung der anderen nach Ecuador fort. In den letzten Tagen ist die Zahl der Repatriierten auf 430 angestiegen (Stand 9. März). Die Regierung hat versprochen, dass diese Studierenden Zugang zu den Universitäten in Ecuador erhalten. Bis jetzt haben sich lediglich 42 auf diese politische Maßnahme eingelassen.

Neben diesem Skandal um die Studierenden spielen auch die enormen Exporte Ecuadors (in Form von Bananen, Blumen, Garnelen, Frischfisch, Kaffee) nach Russland und in die Ukraine eine Rolle, sodass der Außenminister davon sprach, dass Ecuador durch den Krieg „direkt betroffen“ sei. Berechnungen haben ergeben, dass das Wegbrechen dieser Märkte und auch die finanziellen Sanktionen des Westens gegenüber Russland Auswirkungen auf Beschäftigung und Devisenerwirtschaftung in diesen Bereichen mit sich bringen werden. Das Land exportiert Waren im Wert von 1,2 Milliarden US-Dollar jährlich in diese beiden Länder sowie nach Weißrussland, Kasachstan, Armenien und Kirgisien. Vor kurzem hat Lasso bekanntgegeben, dass bestimmte Verbände und Unternehmen nach staatlicher Unterstützung verlangt haben, um die Exportverluste auszugleichen. Seine ablehnende Antwort darauf – „Dass mir jetzt die Reichen ja nicht zu heulen anfangen“ – hat schlechte Stimmung im produktiven Sektor hervorgerufen und Zweifel an seiner (exklusiven) Nähe zum Finanzkapital aufkommen lassen: ein Konflikt am Rande des Abgrunds. Inmitten einer wirtschaftlichen Stagnation und steigender Erdölpreise auf den internationalen Märkten wird es im Privatsektor zu Kämpfen um Subventionen und Einnahmen kommen. Vielleicht wird sich die Politik dann für den Krieg interessieren.

Franklin Ramírez lehrt und forscht am Institut für Politikwissenschaften von FLACSO, Ecuador

aus: CALAS, La guerra en Ucrania. Miradas desde América Latina, 15. März 2022, 60 Seiten

Komplett online auf Spanisch zugänglich:

http://calas.lat/en/publicaciones/otros/la-guerra-en-ucrania-miradas-des...érica-latina

Übersetzung: Britt Weyde