Vor fast genau 27 Jahren, im Juni 1990, veröffentlichte die ila erstmals einen Schwerpunkt zum Thema Fußball. Zu diesen Zeiten war der hierzulande beliebteste Ballsport bei vielen Linken noch verpönt, und manche unserer LeserInnen fragten sich, warum eine kritisch-politische Zeitschrift ein vermeintlich unpolitisches Thema aufgriff. In dem Schwerpunkt zeigten wir dann aber, dass diese Kritik nicht zutreffend war. Der Kampf gegen die Instrumentalisierung des Fußballs durch die argentinische Militärdiktatur stand sogar als sehr politisches Thema mit der Kampagne „Fußball Ja, Folter Nein“ ganz am Anfang der Geschichte der ila. Wir beschrieben, wie die weltwirtschaftlichen Machtverhältnisse immer mehr lateinamerikanische Fußballer nach Europa brachten (eine Tendenz, die sich seitdem noch verstärkt hat), dass es in Lateinamerika nie einen „Fußballkrieg“ gab und dass die ewige Wiederholung der Behauptung, es hätte einen solchen gegeben, vor allem etwas über den europäischen Rassismus gegenüber den als „heißblütig“ charakterisierten Latinos/as aussagt. Wir fanden in Mexiko eine vitale Frauenfußballszene (die ist inzwischen in ganz Lateinamerika lebendig). Aber wir unterstrichen, dass trotzdem in manchen Fankulturen diesseits und jenseits des Atlantiks ein hierarchisches Bild von Weiblichkeit und Männlichkeit konserviert wird und vieles anderes mehr. Auf jeden Fall sorgte unser „Fußballschwerpunkt“ seinerzeit für einiges Aufsehen.

In den Jahren danach erschien eine Vielzahl guter und kritischer linker Publikationen über Fußball, auch manch Interessantes zu Lateinamerika. Und es hat sich einiges getan in den Fankulturen. In vielen Aufständen der letzten Jahre haben Ultras eine tragende Rolle gespielt, sei es in Ägypten und anderen Revolten des sogenannten Arabischen Frühlings oder bei den Protesten gegen die Zerstörung des Gezi-Parks in Istanbul 2013, wo die ansonsten heftig verfeindeten Fangruppen der drei großen Fußballvereine gemeinsam die Polizeikräfte zurückschlugen. Mitglieder von Çarsi, dem Fanclub von Besiktas, sahen sich danach mit heftigen Gerichtsverfahren konfrontiert. Bei den Solidaritätsdemonstrationen in Deutschland schlossen sich auch Frauen, die mit Fußball normalerweise gar nichts anfangen können, dem Çarsi-Block an, weil es dort nicht nur die besten undogmatischen Parolen gab, sondern auch eine Menge aktive Frauen. Nach dem Aufstand in Argentinien 2001 erzählten Jugendliche von H.I.J.O.S., der Organisation der Kinder der Verschwundenen, dass dies ein Moment war, in dem kollektiv die Angst überwunden wurde, dass sie aber durch ihren Fußballaktivismus schon vorher eine Menge Erfahrung mit Straßenkämpfen hatten. In Deutschland haben Ultra-Gruppen von Bayern München und dem 1. FC Nürnberg in den letzten Jahren die von den Vereinsführungen verdrängte Arisierung der Clubs und die Entfernung jüdischer Mitglieder nach 1933 aufgearbeitet und dafür gesorgt, dass heute an den von den Nazis aus dem Amt gedrängten Bayern-Präsident Kurt Landauer und den Nürnberger Trainer Jenö Konrad erinnert wird.

Dass Fußball mehr sein kann als ein Spiel, zeigen auch weniger spektakuläre Beispiele aus diesem Heft, etwa die Nutzung des „unverdächtigen“ Fußballs für Treffen zur Vorbereitung gemeinsamer Aktionen in argentinischen Betrieben oder auf dem Höhepunkt der Repression in El Salvador, um Leute für den Kampf in der Illegalität fit zu machen. Oder die Ansätze von Jugendlichen in Bolivien und Feministinnen in Argentinien, sich konsequent der männlich-patriarchalen Logik von Sieg und Niederlage zu verweigern und Fußball als kollektive Aktion zu betrachten, die vor allem der Stärkung gemeinschaftlichen Handelns dienen soll.

Fußball ist zwar in den meisten Ländern Lateinamerikas der populärste Sport (außer in Cuba, Nicaragua, Panama, Venezuela, Puerto Rico und der Dominikanischen Republik wo béisbol mehr Fans hat). Aber Sport in Lateinamerika besteht längst nicht nur aus Fußball. Mit denjenigen in der Redaktion, die einen reinen Fußballschwerpunkt langweilig fanden, haben wir uns dann darauf geeinigt, das Thema auf weitere Sportarten zu erweitern. Dabei sind wir auf sportliche Aktivitäten gestoßen, die nur wenige Menschen betreiben, dies aber mit großem Engagement. Gleichzeitig erzählt die Innen- und Außenwahrnehmung dieser Sportarten und AthletInnen viel über die Gesellschaften, in denen sie praktiziert werden.

Also einmal mehr ein Thema mit vielen Facetten. Wobei eines, das wir auch gerne im Heft gehabt hätten, leider nicht vorkommt, nämlich der oben erwähnte Baseball, immerhin in mehreren Ländern Volkssport Nummer Eins. Uns blieb dieser Sport aber trotz guten Willens so fremd, dass uns nicht wirklich etwas dazu einfiel. Aber vielleicht gibt es unter unseren LeserInnen ja béisbol-Fans, und jemand von ihnen hat Lust, einiges davon in einer der nächsten Ausgaben der ila zu vermitteln.