Alljährlich findet auf der Plaza de Mayo in Buenos Aires zum Tag der Menschenrechte am 10. Dezember eine Gedenkkundgebung statt, die durchaus festiven Charakter hat: Neben Redebeiträgen und Ständen mit Politlektüre dürfen Musik, Speis und Trank nicht fehlen. Im Dezember 2010 war alles eine Nummer größer und der Schwerpunkt lag auf der Musik: Über 100 000 Leute strömten zu dem Riesenmusikfestival „für die Menschenrechte und die Demokratie“, das im Rahmen der 200-Jahr-Feiern zur argentinischen Unabhängigkeit zahlreiche Stars und Megastars auf die Bühne brachte. Argentinische SchauspielerInnen lasen Gedichte und Gedanken berühmter SchriftstellerInnen vor; musikalische Höhepunkte waren Altrocker Charly García und Liedermacher León Gieco. Die internationalen Gäste, u.a. aus Uruguay (No Te Va Gustar) und Puerto Rico (Calle 13), haben vor allem den Jüngeren eingeheizt.

Mitten in diesem Stelldichein aus Publikumslieblingen von heute und gestern präsentierte sich das Kollektiv Músicos con Cristina mit Statements wie „Danke Néstor, Kopf hoch Cristina!“ und ihren musikalischen Einlagen, die aus Cover-Versionen von bekannten argentinischen Bands bestanden. Die „Musiker für Cristina“ sind ein Projekt, das kurz nach dem Tod des ehemaligen Präsidenten Néstor Kirchner im November 2010 auf Facebook entstanden ist und in weniger als einer Woche über 1200 AnhängerInnen gefunden hat. Um nur einige bekannte Namen zu nennen: Mit von der Partie sind Gustavo Santaolalla (Gitarrist, Produzent und Mitbegründer des Bajo Fondo Tango Club), León Gieco und Kevin Johansen. Laut Eigendarstellung wollen sie das „Projekt, das 2003 mit Néstor Kirchner begann“ und das u.a. für „Inklusion, soziale Gerechtigkeit, Stärkung der Menschenrechte, wirtschaftlichen Wiederaufbau“ steht, unterstützen und haben dafür einen „kulturellen Kampf“ aufgenommen, um der „besten Regierung, die wir je hatten“ beiseite zu stehen.

Abgesehen davon haben sie auch konkrete kulturpolitische Ziele und stellen sich damit gegen die restriktive Politik der Stadtregierung von Buenos Aires: So soll der öffentliche Raum wieder verstärkt für kulturelle Events, z.B. Live-Konzerte, zur Verfügung stehen. In der Hinsicht hatte es letztes Jahr wieder einen Rückschlag gegeben – für alle kleineren und unkommerzielleren Bands: Nachdem ein Zwischengeschoss eines Lokals eingestürzt war, wurden erneut die Sicherheitsauflagen für Musikclubs verschärft und reihenweise Auftrittsorte geschlossen, womit das bestehende Raumproblem für Musikveranstaltungen in Buenos Aires noch akuter wurde.

Mittlerweile haben sich ähnliche Zusammenschlüsse von Kulturschaffenden „für Cristina“ gebildet: SchauspielerInnen, DichterInnen, FotografInnen, AutorInnen, ArchitektInnen – ganz schön irre! Aber Ende Oktober 2011 stehen ja schon die Wahlen in Argentinien an. So was kann passieren, wenn Musik und Politik aufeinander treffen. Man übertrage dies mal auf Deutschland: „Musiker für Angela“? Also bitte, wer braucht denn so was? Auch wenn Frau Fernández de Kirchner ja schon für ein etwas anderes Politikmodell als Frau Merkel steht.

Aber genug von Argentinien erzählt (zu Buenos Aires gibt es in dieser ila übrigens einen Beitrag, in dem es um wirklich unabhängige Organisierung von Musikerinnen geht). Für den vorliegenden Schwerpunkt haben wir uns auf dem Kontinent umgesehen und ein buntes eklektisches Potpourri zusammengestellt: Porträts und Interviews von SolokünstlerInnen, Bands und Projekten, die wir musikalisch und inhaltlich schätzen, d.h., von denen wir meinen, dass sie eine Menge zu „Politik und Musik“ zu sagen haben. So manche RapperInnen sind dabei, was nicht wirklich überrascht, ist Hiphop doch nach wie vor auf der ganzen Welt eines der explizit politischsten Genres. Aber auch Liedermacher, Punkrocker, Ska-, Reggaeton- und Cumbia-InterpretInnen sind mit von der Partie