Kapitalismus funktioniert wie ein Schwarzes Loch: Er versucht sich alles um sich herum einzuverleiben. Alles muss zum Geschäft werden, auch das, was bislang in öffentlicher oder gemeinschaftlicher Regie geregelt wurde. Schwarzen Löchern können nur sehr starke Massen widerstehen und auch dann bleiben sie nicht unbeeinflusst. Doch gegen diese Einverleibung hat es durchaus Widerstand gegeben: In Bolivien wehrten sich Menschen gegen die Privatisierung der Wasserversorgung, in El Salvador gegen die des Gesundheitswesen, in Deutschland gegen die der Bahn, in Italien gegen die des Bildungswesens.
Die BewohnerInnen von Cochabamba in Bolivien kämpften im so genannten „Wasserkrieg“ monatelang gegen den Verkauf der Wasserversorgung an einen US-Konzern sowie eine drastische Preiserhöhung. Sie wurden damit weltweit zum Symbol dafür, dass Widerstand gegen die Durchkommerzialisierung aller Lebensbereiche notwendig ist und erfolgreich sein kann. Sie konnten die Rückführung ihres Wasserwerks in kommunales Eigentum durchsetzen und damit Wasser wieder für alle bezahlbar machen. Als ein Jahr später die Rechten mit hauchdünner Mehrheit die Kommunalwahlen gewannen, versorgte deren neuer Bürgermeister einige seiner Kumpels mit einträglichen Posten in der Leitung des Wasserwerks. Zwar gab es keine neuerliche Preiserhöhung – weil die möglicherweise einen neuen Aufstand provoziert hätte – aber die Qualität des Wassers verschlechterte sich spürbar.
Offenbar ist es mit der Überführung in öffentliches Eigentum nicht getan. Privatwirtschaftlich geregelter Zugang zu elementaren Dienstleistungen wie Gesundheit, Bildung, Alterssicherung, Wasser- und Energieversorgung stellt zwar keine Lösung dar, aber deren staatliche Organisation garantiert wiederum keineswegs automatisch Qualität und Gerechtigkeit. Wir erheben deshalb auch keine Forderungen nach Verstaatlichungen oder Nationalisierungen, sondern sprechen von der Notwendigkeit der Vergesellschaftung bzw. gesellschaftlicher Organisation verschiedener Aufgaben und wirtschaftlicher Aktivitäten. Darunter verstehen wir, dass nicht nur der Staat bzw. kommunale Verwaltungen diese Aufgaben wahrnehmen und darüber entscheiden, sondern auch und gerade die davon betroffenen Menschen. Staaten sind umkämpftes Gelände, in dem die Interessen der wirtschaftlichen und politischen Machtgruppen bevorzugt wahrgenommen werden.
Nun gibt es viele gesellschaftliche Güter, die allen oder bestimmten Gemeinschaften zustehen und zu denen auch alle diese Menschen gleichermaßen Zugang erhalten sollten und nicht nur mächtige Gruppen. Dazu gehören so unterschiedliche Dinge wie die Umwelt, das Wasser, das gesellschaftlich angehäufte Wissen, die Kulturtechniken, die Meere und Wälder. Einige davon, wie etwa Wasserrechte oder Waldnutzung, wurden in unterschiedlichen Kulturen seit Jahrtausenden gemeinschaftlich geregelt, ebenso wie der Umgang mit gesellschaftlich erworbenem Wissen oder dem, was kulturell überliefert wurde. Plötzlich wird das nun zu „intellektuellem Eigentum“ erklärt, das nur nutzen darf, wer dafür bezahlt.
Doch weltweit organisieren sich Menschen, nicht nur um den Zugang zu Gemeingütern zu verteidigen bzw. auszuweiten, sondern um neue Gemeingüter zu schaffen, Räume der Gemeinschaftlichkeit, wie einer unserer Autoren, Gustavo Esteva, sagt. Teils sind es indigene Gemeinschaften, die ihre kollektiven Landrechte und Wirtschaftsweisen verteidigen, teils Bauern und Bäuerinnen, die Saatgut tauschen und veredeln, um ihre Unabhängigkeit von den Saatgutmultis zu erhalten bzw. zu erreichen, teils aber auch Computerfreaks, die daran arbeiten, dass Microsoft, Apple & Co. nicht alles Wissen monopolisieren, sondern dass Software und Informationen für alle zugänglich bleiben und für die eigenen Bedürfnisse eingesetzt werden können. Und es sind Menschen, die dagegen kämpfen, dass Teile des Planeten bald unbewohnbar sein werden, nur weil das „marktführende“ Wirtschaftsmodell unfähig ist, den CO2-Ausstoß radikal zu verringern.
Diese Bewegung für Gemeingüter (engl. Commons) ist derzeit noch sehr heterogen, aber sie wächst beständig und stellt sich jenen entgegen, die alles der privaten Aneignung und Kontrolle unterwerfen wollen. Die Kraft des „Schwarzen Loches“ Neoliberalismus bleibt bestehen; aber indem die Bewegung mit einem neuen Blick für gemeinsame Interessen deren Bündelung anpackt, versucht sie, dem eine Masse entgegenzusetzen, die stark genug sein könnte, um nicht nur eine Zeit lang zu widerstehen, sondern um letztlich ihrerseits das Alte „aufzuheben“ und eine völlig neue Gesellschaftsorganisation anzupacken.
Wir setzen uns in der aktuellen Ausgabe erstmals mit dem Thema Gemeingüter auseinander und wollen einen Einblick in die dazu geführten Diskussionen hier und in Lateinamerika geben. Besonderer Dank geht diesmal an Silke Helfrich, die diesen Schwerpunkt angeregt, die notwendigen Kontakte hergestellt und bei der Konzeption und Realisierung des Heftes den Hauptteil der Arbeit geleistet hat.