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Freihandel fördert Geldwäsche und Steuerflucht

Eine Studie im Auftrag des Europäischen Parlaments zeigt die Verbindungen auf

Freihandelsabkommen haben nichts mit Steuervermeidung und Geldwäsche zu tun. Derartige Praktiken müssen anderweitig eingedämmt werden. So das Standardargument, vertreten nicht nur von Neoliberalen, sondern selbst vonseiten ansonsten freihandelskritischer NRO. Nun hat das Asser-Institut der Universität Groeningen den Gegenbeweis angetreten. Im Auftrag des Internationalen Handelsausschusses des Europaparlaments (EP) haben die niederländischen WissenschaftlerInnen sieben bestehende Freihandelsverträge der EU untersucht. Gaby Küppers hat sich die Kapitel zu den Abkommen mit Mexiko und mit Kolumbien/ Peru angesehen.

Gaby Küppers

Der Zeitpunkt hätte günstiger nicht sein können, doch die meisten Zuständigen blickten erst mal lieber weg. Anfang April hatten die Panama Papers getauften Enthüllungen über Steuerbetrüger weltweit wie eine Bombe eingeschlagen. Eine gute Woche später erschien in Brüssel die Vorabveröffentlichung einer Studie, die den Zusammenhang zwischen Freihandelsabkommen und Steuervermeidung belegt. Das vielbeschworene Allheilmittel „Freihandelsabkommen“ für interne Wirtschaftskrisen steht somit am Pranger. Angefordert worden war die Analyse vom Internationalen Handelsausschuss (INTA) des EP. Als sie dann vorlag, herrschte betretenes Schweigen. Mehr noch, bei ihrer Vorstellung in INTA am 21. April 2016 waren die liberalen, konservativen und ganz rechten Abgeordneten zu hundert Prozent abwesend. Eigentlich müssten die zutage geförderten Fakten eine sofortige Revision aller bestehenden und einen Stopp aller in Verhandlung befindlichen Freihandelsabkommen nach sich ziehen. Aber wer will schon wirklich Geldwäsche und Steuervermeidung bekämpfen? Die AutorInnen der Studie hatten ein gutes halbes Jahr lang bestehende Gesetzgebungen, Verfahren und Verurteilungen zu Steuervermeidung und Geldwäsche in den betroffenen Drittländern analysiert und die entsprechenden Artikel in den Kapiteln zu Finanzdienstleistungen innerhalb der Abkommen mit der EU überprüft. Zwei der insgesamt sieben Freihandelsabkommen betreffen Lateinamerika: das Globalabkommen mit Mexiko, seit 2000/2001 in Kraft, und das seit 2013 bestehende Freihandelsabkommen mit Kolumbien/ Peru. Der Freihandelsteil des Assoziationsabkommens mit Zentralamerika hätte sicher auch pikante Zusammenhänge mit den Panama Papers ans Licht gebracht, aber von denen wusste man bei Auftragsvergabe im Sommer 2015 noch nichts.

Doch die Erkenntnisse aus den beiden anderen untersuchten Abkommen bergen allein schon genügend Sprengstoff. Beide sind hochaktuell. Die Aufnahme von Verhandlungen zur Modernisierung des Globalabkommens EU-Mexiko wurde gerade erst, am 23. Mai 2016, beschlossen. Der Beitrittsprozess Ecuadors zum EU-Freihandelsabkommen mit Kolumbien und Peru soll bis Ende 2016 abgeschlossen sein. Behalten die Kapitel zu Finanzdienstleistungen ihre übliche Form, sind sie im Falle Mexikos geradewegs eine Einladung an die organisierte Kriminalität, weiterzumachen wie bisher. Denn das neue Abkommen schützt Geldwäsche. Ecuador dürfte seinerseits eine Menge Geldwäsche aus den beiden größten Produzentennationen von Kokain importieren oder diese legalisiert sehen.

Die erste Erkenntnis der Studie: Die Datenlage ist äußerst schwach. Wird im Warenhandel jede Transaktion penibel gezählt, um auf deren Grundlage möglichst steigende Kurven in Diagramme zu zeichnen, bleiben Finanzdienstleistungen und deren Akteure unterhalb des Radarschirms der Behörden. Zufall? Zu kompliziert?

Die Lösung: eine Erhebung zur Sachlage vor Inkrafttreten der Abkommen und deren Widerspiegelung darin. Das Ergebnis: ernüchternd. Die letzte Evaluierung von Gavilat, der intergouvernementalen Organisation aller lateinamerikanischen Regierungen zur Bekämpfung von Geldwäsche, datiert von 2008. Kein Problem: Sie ist in keinem der Abkommen auch nur erwähnt. In Mexiko, sagt die Studie, bestehe ein hohes Maß an Steuerflucht und -vermeidung. Gesetze seien vorhanden, würden aber nicht umgesetzt, Straffreiheit 96-99 Prozent. Für Kolumbien werden euphemistisch eine „mäßig erfolgreiche Anti-Geldwäschegesetzgebung“ konstatiert, sodann eine ineffiziente Steuergesetzgebung und keine Regeln gegen Steuervermeidung. Für den Kokainproduzenten Nr.1, Peru, schließlich findet die Studie null Verurteilungen für Geldwäsche bis 2012 und zwei seit 2013. Im Freihandelsabkommen sind selbst die bestehenden Gesetze keine Referenz, geschweige denn Bedingung. Steuervereinbarungen von G7, G20 und OECD sind kein Muss, sondern „sollen zur Kenntnis genommen werden“. Ein Verbot von Briefkastenfirmen und die Bekanntgabe von deren eigentlichen Hintermännern(-frauen?) kommt einfach gar nicht vor, stattdessen bleibt vage, ob im Land registrierte Firmen überhaupt dort ökonomisch tätig sein müssen. Was will ein Klient von Mossack Fonseca und Konsorten mehr, um sich in Zukunft sicher zu wiegen? Überhaupt, das EU-Kolumbien/Peru-Abkommen verankert explizit die Niederlassungsfreiheit von Anwaltskanzleien, also auch vom Stile Mossack Fonseca. Wer will so etwas künftig noch verbieten? In der Modernisierung des EU- Mexiko-Abkommens ist vorgesehen, dass Unternehmen Staaten verklagen können. Ohne Scherz, künftig werden große Handelsanwaltskanzleien die Gesetzgebungen von Ländern (noch mehr) regieren.

Das Bankgeheimnis wird in den Abkommen explizit bestätigt (wer hätte anderes erwartet?). Automatischer Datenaustausch – Fehlanzeige. Das Kolumbien/Peru-Abkommen verpflichtet merkwürdigerweise sogar zur Liberalisierung von Transfer und Repatriierung von Investitionen und Gewinnen daraus in frei wählbarer Devise und in jeder Höhe. Selbstredend: Im Abkommen umfassen Investitionen alles vom Aufbau einer Fahrradwerkstatt bis zur Devisenspekulation im Tausendstelsekundentakt, Hauptsache keine Kontrolle, und das garantieren die Freihandelsab- kommen. Geht es in Peru und Kolumbien bei Geldbewegungen nicht in großem Stil um zweifelhafte Bergbaukonzerne und zweifellos um Drogencapos?

Die Studie über die Abkommen enthält noch viel mehr Unglaubliches an Daten, die Steuervermeider und Geldwäscher schützen. Das betrifft Menschen in Lateinamerika wie in Europa gleichermaßen. Hier wie dort fehlt in den öffentlichen Haushalten Geld für öffentliche Schulen, Krankenhäuser, Nahverkehr. Die Mär von Freihandelsabkommen als Wachstumsgaranten mittels Zugang zu neuen Märkten kaschiert in Wirklichkeit deren Funktion als Steigbügelhalter für Geldwäsche und Steuervermeidung.

Noch nicht erwähnt wurde ein weiterer, den StudienautorInnen zufolge zunehmend wichtiger Effekt von Freihandelsabkommen, die IFF (Illicit Financial Flows). Gemeint sind „illegitime“ Finanzströme infolge von absichtlichen Über- oder Unterbuchungen, zumeist innerhalb von Wert- schöpfungsketten zwischen Mutterkonzern und Filialen. Mexiko gehört zu den Top Ten der 149 Entwicklungsländer mit den umfangreichsten IFF zwischen 2003 und 2014 (da war das Abkommen mit der EU in Kraft). Peru steht an 33. Stelle und verdoppelte seine IFF in Richtung europäische Länder 2014 (nach Inkrafttreten des EU-Freihandelsabkommens) im Vergleich zu den Vorjahren noch einmal. Wer jetzt noch nicht fassungslos ist, dem sei eine Bemerkung der StudienautorInnen zitiert: Bei IFF sind nur die Warenströme erfasst. Zu IFF im Finanzdienstleistungssektor (Panama Papers!) fehlen, wie gesagt, die Daten!

Die vorläufige Studie kann in englischer Fassung hier als TOP 20 abgerufen werden: