In den achtziger Jahren war Guatemala aufgrund schwerster Menschenrechtsverletzungen international kurzzeitig in den Blick einer breiteren Öffentlichkeit geraten. Doch wie bei anderen Brennpunkten außerhalb Europas ließ das Interesse bald wieder nach. Spätestens seit dem Ende des bewaffneten Konfliktes zwischen dem Militär und der Guerillakoordination URNG Mitte der neunziger Jahre galt das Land als befriedet. Aber Frieden und soziale Gerechtigkeit erreicht man nie einfach durch Waffenstillstandsabkommen. Die sind zwar unverzichtbar, wenn damit jedoch kein Reformprozess in Richtung eines wirklichen Ausgleichs einhergeht, bleiben die Gewalt und ihre Ursachen weiter präsent.

Das gilt auch für Guatemala. Strukturelle Reformen, die im Friedensabkommen in Aussicht gestellt waren, wurden nicht umgesetzt und die faktische Apartheid, die die indigene Bevölkerung zu BürgerInnen zweiter Klasse degradiert, nicht abgeschafft. Die Verantwortlichen für die schweren Menschenrechtsverletzungen blieben lange unbehelligt. Zwar hat es hier einige Fortschritte gegeben. Sie blieben aber widersprüchlich, wie das Tauziehen um das Verfahren gegen den Ex-Diktator Efraín Ríos Montt, der 2013 wegen Völkermordes verurteilt, das Urteil dann aber wieder aufgehoben wurde.

Auch die Gewalt ist weiter allgegenwärtig. Es gibt weniger Repression gegen Oppositionelle, dafür ist alltägliche Gewalt umso präsenter. Verantwortlich dafür sind zum einen der Drogenhandel und die Maras, ursprünglich Jugendbanden, die aber längst mafiöse Strukturen entwickelt haben, zum anderen die Sicherheitskräfte, die diese Kriminalität nicht professionell bekämpfen, sondern einzig mit Repression reagieren und alle Jugendlichen aus ärmeren Vierteln unter Generalverdacht stellen.

Zwar finden jetzt alle vier Jahre Wahlen statt, aber der Politikbetrieb hat sich nach anfänglichen Hoffnungen in den knapp 20 Jahren seit dem Friedensabkommen in den Augen der meisten GuatemaltekInnen diskreditiert. Anstatt die dringenden Probleme anzugehen, versuchten die meisten Regierungsmitglieder und Abgeordneten vor allem, sich zu bereichern.

Immer mehr Menschen in Guatemala opponieren gegen diese Zustände. Ab April dieses Jahres formierte sich, ausgehend vom städtischen Mittelstand, eine breite Bewegung gegen die Korruption. Unterstützt von UN-Organisationen, begann auch die Justiz zu ermitteln. Bereits im Mai musste die Vizepräsidentin Roxana Baldetti ihr Amt aufgeben, am 2. September trat auch Präsident Otto Pérez Molina zurück, weil die Beweise für ihre Verwicklungen in Schiebereien zu erdrückend waren. Inzwischen sind die Ex-Vizepräsidentin und der Ex-Präsident in Haft.

Die Korruption ist zweifellos allgegenwärtig in Guatemala. Allerdings ist sie nicht der einzige Grund für die mangelhaft funktionierende öffentliche Verwaltung und die unzureichende Bildungspolitik. Von allen Ländern Lateinamerikas hat Guatemala die niedrigste Steuerquote, das heißt, der Staat könnte seinen Aufgaben auch dann nicht angemessen nachkommen, wenn es weniger Korruption gäbe. Es ist einfach zu wenig Geld in den öffentlichen Kassen, weil vor allem die Ober- und Mittelschichten kaum zur Finanzierung des Gemeinwesens beitragen.

Ein wirklicher Veränderungsprozess müsste eine Steuerreform beinhalten, die sowohl die SpitzenverdienerInnen als auch die MitterständlerInnen, die in diesem Jahr lautstark gegen die „korrupten Politiker“ protestiert hatten, stärker belasten würde.

So war es keineswegs paradox, dass aus den beiden Runden der Präsidentschaftswahlen im September und Oktober 2015 der von den Evangelikalen und ultrarechten Militärs unterstützte Fernsehkomiker Jimmy Morales als Sieger hervorging. Der hatte sich im Wahlkampf geschickt als „Antipolitiker“ präsentiert, der mit dem korrupten politischen System nichts am Hut habe, aber keine konkreten Veränderungen in Aussicht gestellt. Unter der Präsidentschaft dieses Rechtsauslegers wird es sicher nicht zu Reformen für mehr Transparenz und soziale Gerechtigkeit kommen. Dennoch: kürzlich sagte uns eine Kennerin Guatemalas, die Wahl von Morales sei zwar ein Rückschlag, aber die GuatemaltekInnen hätten nun gelernt, wie sie unliebsame Regierungen wieder loswerden können.

P.S. Mit dieser Ausgabe geht die ila in die jährliche Winterpause. Wir melden uns Mitte Februar zurück. Unseren LeserInnen wünschen wir einen entspannten Jahresausklang. Wenn viele unseren beiliegenden Aufruf beherzigen und uns mit neuen (Geschenk)Abos und Spenden unterstützen, können auch wir entspannter und mit neuem Schwung in das nächste Jahr starten.