Bewusstsein schaffen
Seit zwei Wochen bin ich nun Praktikant bei der Informationsstelle Lateinamerika und mir ist nun bewusst, wie wenig ich eigentlich vorher über den Subkontinent wusste. Natürlich weiß ich, was während der Kolonialzeit geschah und was das für Konsequenzen für die indigene Bevölkerung hatte. Dadurch, dass ich selber an politischen und gesellschaftlichen Themen interessiert bin, habe ich mich auch schon mit der cubanischen Revolution oder den Militärdiktaturen in Lateinamerika beschäftigt. Doch dies ist ja längst nicht alles und vor allem für Jugendliche, die nicht besonders interessiert sind, ist das Bild von Lateinamerika von Klischees geprägt. In den Medien hört man allerhöchstens die Meldungen der Tourismusbranche, die mit tollen Sandstränden werben. In der Schule ist Lateinamerika – wenn überhaupt – ein Randthema.
Mit diesen Problemen befasste sich auch das Informationsbüro Nicaragua. Es veröffentlichte kürzlich unter dem Titel „Fokuscafé Lateinamerika“ mehrere Infobroschüren, die über Lateinamerika aufklären wollen. Eigentlich wurde dieses Material für LehrerInnen und (entwicklungs-)politische JugendbildungsarbeiterInnen erstellt. Doch zufällig passe ich genau in die Zielgruppe, die in der Schule und Jugendarbeit damit erreicht werden soll.
Das Infomaterial ist aufgeteilt in vier Broschüren. Deutsche SiedlerInnen in Lateinamerika, Lateinamerika zwischen Klischee und Wirklichkeit, Ungerechter Welthandel und Mobilität und Klimawandel. Dadurch dass in jedem Heft noch Unterkapitel wie (Post)Kolonialismus oder Konsumverhalten zu finden sind, ist das Infomaterial sehr umfangreich. Dennoch ist jede Broschüre sehr gut strukturiert. Dazu gehört, dass am Anfang jeweils eine detaillierte Einleitung in das Thema des Lernheftes gegeben wird. Der/die LehrerIn bzw. JugendbildungsarbeiterIn bekommt in der Einführung ebenfalls einen guten Überblick über die Ziele, die bei den SchülerInnen erreicht werden sollen.
Dabei wird oftmals in den Vordergrund gestellt, Zusammenhänge von Kultur und Geschichte erkennen zu lernen. Das Infomaterial ist nicht darauf bedacht, dass nach dem Durcharbeiten jeder Jugendliche die Präsidenten der einzelnen Länder kennt und weiß, wie sie an die Macht gelangten. Vielmehr wird das Augenmerk darauf gelegt, was durch den Kolonialismus mit den Ländern geschah. Lateinamerika hat kaum eine eigene Industrie. Dass die Entwicklung einer starken Wirtschaft hauptsächlich vom Kolonialismus verhindert wurde, ist vielen Jugendlichen nicht klar. Auf diese Dinge möchte das „Fokuscafé Lateinamerika“ hinweisen.
Jedes Heft ist ähnlich aufgebaut. Dennoch fällt immer wieder auf, wie abwechslungsreich die einzelnen Lernmethoden sind. Den TeilnehmerInnen, wie die SchülerInnen im Lernheft genannt werden, wird durch Quizaufgaben, Bildergalerien und kurze Videos das Thema Lateinamerika nahegebracht. Vor allem die Fotos zeigen sehr gut, wie unterschiedlich die Länder und Regionen Lateinamerikas sind. Damit sind nicht nur kulturelle und geographische Differenzen gemeint, sondern auch Probleme aufgrund der großen Schere zwischen Arm und Reich.
In nahezu jedem Fall ist ein praktisches Arbeiten in den jeweiligen Modulen eingeplant. Dabei wird klar, dass in Lateinamerika die Schatten der Vergangenheit bis heute zu spüren sind. Die TeilnehmerInnen haben die Möglichkeit, durch Rollenspiele oder Präsentationen ihr Gelerntes vorzustellen. An vielen Stellen nimmt das Infomaterial den LehrerInnen und JugendbildungsarbeiterInnen lange Recherchen und Unterrichtsplanungen ab. Es ist vorgegeben, wie viel Zeit benötigt wird oder wie hoch der Anspruch an die TeilnehmerInnen ist, und es gibt sogar einen genauen Ablaufplan, der die verfügbare Zeit genau durchplant. An anderen Stellen wird es aber unweigerlich zu Schwierigkeiten kommen, wo der/die JugendbildungsarbeiterIn/LehrerIn gefragt sein wird.
In der Einleitung steht, dass die Materialien für „mittelmäßig politisch interessierte Jugendliche“ ausgelegt wurden. Auf einem Arbeitsblatt muss sich der Teilnehmer/die Teilnehmerin mit einer Zeittafel beschäftigen, auf der einige historische Ereignisse chronologisch aufgelistet sind. Dabei wird zum Beispiel vorausgesetzt, dass die TeilnehmerInnen wissen, warum Cuba den USA ein Dorn im Auge war und immer noch ist. Dazu muss man aber über die politische Entwicklung Cubas nach der Revolution, die imperialistischen und machtorientierten Hintergründe der USA und über die beiden unterschiedlichen politischen Systeme der Sowjetunion und der Vereinigten Staaten Bescheid wissen. Dies kann man von einem mittelmäßig interessierten Jugendlichen allerdings nicht unbedingt erwarten. Wenn die TeilnehmerInnen lange recherchieren müssen oder die JugendarbeiterInnen oder LehrerInnen ausführliche Erklärungen abgeben müssen, kann das eher zu Desinteresse und Demotivation führen.
Trotzdem ist das Material gerade für die politische Jugendarbeit äußerst empfehlenswert. Ob es auch in der Schule eingesetzt werden kann, weiß ich nicht, denn zur Zeit haben LehrerInnen kaum die Möglichkeit, flexibel Dinge zu behandeln, die nicht im Lehrplan stehen. Man kann nur hoffen, dass auch die Beschäftigung mit Lateinamerika ein fester Bestandteil davon wird.
Natürlich wird das Thema nie leicht zu unterrichten sein, doch eine Vereinfachung von Geschichte und Kultur ist ja auch nicht gewollt. Das „Fokuscafé Lateinamerika“ bietet zweifellos eine gute Hilfe und vor allem Anreize zu einer kreativen Vermittlung eines Themas, das so selten in den Medien auftaucht und deshalb umso wichtiger zu vermitteln ist.
Zu beziehen sind die Unterrichtsmaterialien des „Fokuscafés Lateinamerika“ über www.informationsbuero-nicaragua.org
Janne Brüheim ist Schüler der 9. Klasse einer Kölner Gesamtschule und hat im Mai/Juni 2011 ein dreiwöchiges Praktikum in der ila absolviert.