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Schmerzlich vermisst

Viele großartige Bücher argentinischer AutorInnen sind übersetzt, aber nicht mehr lieferbar

Als wir überlegten, welche AutorInnen wir in dieser ila vorstellen, haben wir natürlich auch nachgeschaut, welche ihrer Bücher auf Deutsch lieferbar sind. Und waren teilweise schockiert: Alle drei übersetzten Titel von Osvaldo Soriano sind vergriffen, ebenso der einzige übersetzte Roman Haroldo Contis. Die Liste der vergriffenen, wenn überhaupt nur noch antiquarisch lieferbaren Titel lesen sich wie ein Who is Who der argentinischen Literatur, meint unser Autor Klaus Küpper. Im folgenden Beitrag stellt er eine Reihe dieser Bücher vor.

Klaus Küpper

Die Liebhaberinnen und Liebhaber der vielfältigen argentinischen Literatur freuen sich über die außergewöhnlich hohe Anzahl der angekündigten Neuerscheinungen aus dem diesjährigen Gastland der Frankfurter Buchmesse. Nicht zuletzt die ausgelobte Summe der argentinischen Regierung sowie einheimischer Gesellschaften zur Förderung neuer Übersetzungen haben dazu geführt, dass die literarischen Werke vieler junger Autorinnen und Autoren in diesem Jahr erstmals auf Deutsch erscheinen können. Hinzu kommen neue Editionen, die ohne Zuschüsse ausschließlich dem Engagement kleiner und kleinster Verlage zu verdanken sind. Insgesamt werden in diesem Jahr nach den heute vorliegenden Informationen über 70 neue Texte aus den Bereichen Prosa, Lyrik, Essay und Anthologien erscheinen, bzw. sind bereits erschienen – nicht gerechnet die bereits im letzten Jahr veröffentlichten Titel. Dazu kommen etwa zehn Taschenbuchtitel, einige Zeitschriften mit entsprechenden Schwerpunkten und eine große Anzahl neuer Sachbücher vom Reiseführer bis zum Kochbuch. 

Diese positive Entwicklung darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass es viele längst übersetzte Werke gibt, die nicht mehr lieferbar und auch nur sehr schwer oder überhaupt nicht mehr antiquarisch erhältlich sind. Doch sehen wir uns die schmerzlich vermissten Werke genauer an. Allein die Liste der Autorinnen und Autoren liest sich wie ein Who is Who der argentinischen Literatur. 

Einer ihrer Klassiker ist Leopoldo Lugones (1874-1938). Lugones war universell gebildet, arbeitete als Lehrer und Journalist, übersetzte aus sieben Sprachen und war ein bedeutender Lyriker, Essayist und Prosaautor. Seine phantastische Literatur ist u. a. von E. A. Poe beeinflußt, er selbst inspirierte Jorge Luis Borges, Adolfo Bioy Casares und Silvina Ocampo. Wer ihn kennenlernen möchte, kann auf den kleinen Band „Die Salzsäule“ aus der von Borges herausgegebenen Sammlung „Die Bibliothek von Babel“ zurückgreifen. Vergriffen ist leider die wesentlich umfangreichere Anthologie mit phantastischen Erzählungen „Die Augen der Pharaonin“ (Ü: Petra Strien-Bourmet, Arthur Wagner und Hans-Jürgen Schmitt). Sie enthielt neben dem oben erwähnten Band „Die Salzsäule“ und der vergriffenen Anthologie „Die Entdeckung des Umkreises“ 19 vorher noch nicht ins Deutsche übersetzte Erzählungen. Mit seinen Geschichten begründete Lugones die bis heute fruchtbare Tradition der phantastischen Literatur in Argentinien. 

Zu den bedeutenden argentinischen Autoren gehört zweifellos auch Ricardo Güiraldes (1886-1927) mit seinem 1926 erschienenen und 1934 von Hedwig Ollerich erstmals übersetzten Epos „Das Buch vom Gaucho Sombra“. Der Roman mit autobiographischen Zügen ist aus der Perspektive des Fabio Cáceres erzählt, eines Straßenjungen, der irgendwann beschließt, aus seinem derzeitigen Leben auszubrechen, um mit anständiger Arbeit seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Mit 16 Jahren schließt er sich dem berühmten Gaucho Segundo Sombra an, der ihm in fünf Jahren alles beibringt, was man in diesem Beruf wissen muss. Ein sentimentales Buch über eine vergangene Zeit, nicht zuletzt aber wegen seiner stilistischen und kompositorischen Kunst noch heute lesenswert.

Die ersten Arbeiten von Adolfo Bioy Casares (1914-1999) stehen in der Tradition der phantastischen Literatur. In ihnen entfaltet sich „eine Odyssee wundersamer Begegnungen, auf die nur die Wahnspiegelung oder das Symbol als Schlüssel zu passen scheinen, doch entschlüsselt er sie mittels eines einzigen, zwar phantastischen, aber nicht übernatürlichen Postulats“ (J. L. Borges). Sein 1954 erschienener Roman „Der Traum der Helden“ (1977 übersetzt v. Joachim A. Frank) spielt in einem Vorort von Buenos Aires in den 20er Jahren. Der Automechaniker Emilio Gauna wacht nach einem dreitägigen Besäufnis mit seinen Freunden, allesamt Maul- und Messerhelden, mit der vagen Erinnerung auf, bei einem Duell getötet worden zu sein. Durch Heirat entfernt er sich von seinen alten Gefährten, aber die Erinnerung an das unerklärliche Ereignis bleibt in ihm wach, und nach drei Jahren lädt er die Freunde von damals zu einer Feier ein: Er will die Ereignisse von damals noch einmal erleben. Alles wiederholt sich und am Ende wird Gauna von seinen Freunden bei einer Messerstecherei umgebracht. Leider ebenfalls vergriffen ist sein letzter Roman „Abenteuer eines Fotografen in La Plata” (Ü: Peter Schwaar), eine hektische und amüsante kleine Komödie, in der die Hilflosigkeit der Hauptperson geschildert wird, allen Anforderungen und Verpflichtungen der Umwelt gerecht zu werden.

Von Silvina Ocampo (1903-1993), die wie ihr Ehemann Bioy Casares zum Kreis von Borges gehörte und eine der bedeutendsten Schriftstellerinnen Lateinamerikas ist, sind alle übersetzten Titel vergriffen. In der Tradition der phantastischen Literatur steht der Auswahlband „Der Farnwald“, eine Sammlung von kurzen, nur wenige Seiten umfassenden Geschichten, die ebenso wie der folgende Titel von Carina von Enzenberg und Hartmut Zahn übersetzt wurden. Hier entstehen keine erfundenen Welten, sondern da ist von argentinischen Diktatoren und Machos die Rede, aber auch vom Gärtner und Schlosser, in deren Realität das Unwirkliche, oft Grauenvolle einbricht. Mit Ausnahme der Titelgeschichte sind auch die Erzählungen in der Anthologie „Die Farbe der Zeit“ kleine, nur zwei bis drei Seiten kurze Prosastücke. Silvina Ocampo gelingt es, auf wenigen Seiten Geschichten voller Merkwürdigkeiten, seltsamer Abenteuer, Verwandlungen und magischer Geschehnisse zu erzählen, manchmal bedrohlich, manchmal mit leiser Ironie, die uns LeserInnen immer aufs neue verzaubert zurücklassen. Aus den Jahren 1959 und 1970 stammen die Prosatexte, die in „Die Furie und andere Geschichten“, übersetzt von René Strien, 1992 erstmals auf Deutsch erschienen. Auch in diesen Erzählungen werden die konkrete Umwelt hinterfragt und paradoxe Zustände aufgedeckt. 

In deutscher Übersetzung liegen derzeit fast alle Werke von Julio Cortázar (1914-1984) vor, einem der profiliertesten Vertreter der argentinischen Literatur der Gegenwart. Merkwürdigerweise fehlt jedoch sein in Paris angesiedelter Roman „Album für Manuel“ (Ü: Heidrun Adler) aus dem Jahre 1973. Eine Gruppe von linksintellektuellen Emigranten aus Lateinamerika beschließt, zur Unterstützung des Befreiungskampfes einen Diplomaten zu entführen, um die Freilassung inhaftierter Genossen zu erwirken. Ein Paar aus dieser verschworenen Gemeinschaft hat einen dreijährigen Sohn, Manuel. Für ihn – den „neuen Menschen“ – stellen sie aus Berichten, Dialogen, Reflexionen, Zitaten und Zeitungsausschnitten ein Album her, eine Art Patchwork des Unternehmens und des zeitgenössischen Kontextes. Die Hauptperson des Romans ist Andrés, der das ganze Unternehmen aus kritischer Distanz beobachtet, andauernd zögert, aber beim Scheitern der Pläne zur politischen Tat schreitet. 

Leider ist auch der allen „Bekloppten der Welt“ gewidmete „Reisebericht“ „Die Autonauten auf der Kosmobahn“ (Ü: Wilfried Böhringer), den Cortázar mit seiner Frau Carol Dunlop zusammen verfasst hat, nicht mehr lieferbar. Er beschreibt die seltsame Reise der beiden (bereits schwer Kranken) vom Sommer 1982, als sie mit ihrem VW-Bus von Paris nach Marseille fahren und auf der Autobahn an jedem Rastplatz anhalten, wobei sie auf jedem zweiten übernachten. Über diese „Expedition“ führen die beiden ein genaues schriftliches und fotografisches Tagebuch. Sie begreifen sich als „Forscher“ und „Wissenschaftler“ und stoßen in der Tat in unbekanntes Gelände vor.

Der Lyriker, Essayist und Prosaautor Ezequiel Martínez Estrada (1895-1964) ist hierzulande völlig unbekannt. Er arbeitete zunächst als Postangestellter, erhielt eine Dozentur für Literatur, die er aus Protest gegen das Perónregime niederlegte, und lebte zeitweise in Mexiko und Havanna. Sein Werk wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Bekannt wurde er vor allem durch seine die argentinische Wirklichkeit schonungslos analysierenden Essays. Nur relativ kurz war seine tragikomische Erzählung aus dem Jahre 1956, „Das Buch, das verschwand“ (dt. 1996 von Willi Zurbrüggen), in den Buchhandlungen zu finden, bevor es wirklich das Buch wurde, das in den Ramschkisten verschwand. Dieser köstliche Lesespaß ist eigentlich das Vorwort zu einem 1746 Seiten umfassenden Manuskript der zwanzigjährigen Marta Riquelme, das allerdings auf unerklärliche Weise verlorenging. Der Herausgeber, vielleicht nicht ganz unschuldig am Verlust des Manuskripts, versucht nun in Kenntnis der Memoiren der Autorin, den Inhalt in eben jenem Vorwort zu rekonstruieren. Diese Rekonstruktion ist gleichzeitig eine Ehrenrettung für das Leben der Protagonistin und den offensichtlich völlig misslungenen Text. Ein wenig erinnert die amüsante Geschichte an Borges' Rezensionen von nicht existierenden Büchern. 

Allein vier Übersetzungen von Ernesto Sábato (*1911) werden vermisst. Sábato, der aus Protest gegen Perón 1945 seine Physikprofessur aufgab und sich fortan dem Schreiben widmete, leitete 1983/84 die Untersuchungskommission zur Aufdeckung der während der Militärdiktatur begangenen Verbrechen. 
Sein Roman „Über Helden und Gräber“ von 1961 (dt. von Otto Wolf, 1967) folgt keiner linearen Erzählstruktur, sondern schildert die Ereignisse um Alexandra, die ihrem Vater hörig war und ihn schließlich tötet, anhand der Unterhaltungen zwischen dem Dichter Bruno und Martín, dem Freund Alexandras. Der im Alter fast völlig erblindete Sábato unterbricht die Handlung des Romans immer wieder mit wissenschaftlichen Studien und essayistischen Exkursen über so unterschiedliche Themen wie Anarchismus, Sport, Emanzipation der Frau u.a. sowie dem berühmten „Bericht über die Blinden“, in dem die Blinden als weltweite Sekte entlarvt werden. „Abaddón”, ein Roman von 1974 (dt. 1980, Ü: Wolfgang Luchting) kann als Fortsetzung und Ende der vorherigen Romane „Über Helden und Gräber“ und „Der Tunnel“ (im April 2010 neu aufgelegt) gesehen werden. Hochkompliziert aus unzähligen Einzelpassagen zusammengesetzt, ist dieses Puzzle ein Roman der Endzeit. Zwei Werke mit lesenswerten Essays, kurzen Prosastücken, Notizen, Gedanken und Fragmenten aus vier Jahrzehnten sind in den beiden Bänden „Sartre gegen Sartre“ (1974 Ü: Wolfgang Luchting) und „Die unbesiegten Furien“ (1991 Ü: Maria Bamberg) enthalten. 

Zu Unrecht völlig in Vergessenheit geraten ist Vlady Kociancich (*1941), die mit ihren beiden von Maria Bamberg 1983 und 1985 übersetzten Romanen wohl an den falschen Verlag geraten war – die Bücher wurden bereits nach kurzer Zeit verramscht. Für Bioy Casares war der Roman „Das Drehbuch“, zu dem er auch das Vorwort schrieb, „der bedeutendste Fund der letzten Jahre“. Ein spannend geschriebener Roman zwischen Wahn und Wirklichkeit, bestimmt von einem Realismus, dessen phantastische Verwobenheiten umso wirkungsvoller sind, insofern sie ohne die durchgängige Konstruktion einer anderen magischen Welt auskommen. Der Roman „Letzte Vorstellungen“ erzählt die Geschichte einer guten Idee, die durch Leichtsinn, Unachtsamkeit und persönliche Eitelkeiten den Intellektuellen aus den Händen gleitet, von Machtgierigen aufgegriffen und schamlos für eigene Zwecke eingesetzt wird. Die Hauptperson Emilio Rauch versucht das unfassbare Geschehen zu rekonstruieren.

Mempo Giardinelli (*1947) ging wie viele andere Autoren nach dem Putsch der Militärs ins Exil. Leider sind seine insgesamt fünf übersetzten Romane allesamt nicht mehr lieferbar. Sie zeichnen sich aus durch sprachlichen Witz und subtilen oder auch schwarzen Humor. Meist sind es melancholische Geschichten oder auch Thriller, oft mit Schauplätzen im Exil. Die Titel in der Reihenfolge ihrer (deutschen) Veröffentlichungen: „Heißer Mond”, “Leb wohl, Mariano, leb wohl”, “Die Revolution auf dem Fahrrad“, „Wie einsam sind die Toten“ und „Die zehnte Hölle“. 

Es mag mit der verwendeten Sprache zusammenhängen, dass der 1919 in Buenos Aires geborene und 1978 verstorbene J. Rodolfo Wilcock nicht im Zusammenhang mit der argentinischen Literatur gesehen wird, denn er schrieb nach seinem Umzug nach Rom in italienischer Sprache. Doch die kleinen, oft nur wenige Seiten kurzen Geschichten und Begebenheiten stehen in der besten argentinischen Erzähltradition. Sie erinnern an Lugones, Borges, Ocampo und Cortázar. Es sind absurde, die Realität mit dem Surrealen ohne Übergänge vermischende Erzählstücke. Menschliches und Tierisches, Menschen und Monster verschwimmen ohne Grenzen. Erzählt wird dies alles mit der ganz gewöhnlichen Alltagssprache, die die Beiläufigkeit der abstrusesten Gestalten noch unterstreicht. „Die Welt draußen ist ein Abgrund, man braucht nur eine Tür aufzumachen und schon stürzt man hinein.“ Zu finden in „Das Stereoskop der Einzelgänger“ (1995 Ü: Ragni Maria Gschwend). Schon 1981 konnten die Leserinnen und Leser diesen Meister der kleinen Prosastücke in dem Bändchen „Das Buch der Monster“ (Ü: Gerhard Heller) kennenlernen. Warum der Verlag dieses Werk aus absurden Einfällen und einer virtuosen, hinterlistigen Phantasie, in der die labyrinthische Welt eines Hieronymus Bosch der Literatur entsteht – so der Waschzettel – nicht wieder auflegt, bleibt sein Geheimnis. 

Von Marco Denevi (1922 -1998) wurde 2006 der Essay „Ein Hund auf Albrecht Dürers Stich ‚Ritter, Tod und Teufel'“ veröffentlicht. Er ist auch der Autor des preisgekrönten und verfilmten Romans „Rosaura kam um zehn“ (dt. 1961 von Curt Meyer-Clason). In diesem vordergründig als Kriminalroman geschriebenen spannenden Werk geht es um die widersprüchlichen Aussagen und deren Deutungen bei der Aufklärung eines Mordes. 

Von Juan José Saer (1937-2005), dessen Roman „Die Gelegenheit“ in diesem Jahr wiederaufgelegt wird, bleiben zwei Titel vergriffen. In „Der Vorfahre“ (dt. 1993 von Norbert Keller) wird in der Form eines Schelmenromans von den Abenteuern berichtet, die der Protagonist auf einer Entdeckungsfahrt entlang der südamerikanischen Küste erlebt und überlebt hat. Zurück in Spanien erregen seine mehrjährigen Erlebnisse ein beträchtliches Aufsehen, so dass er seine Geschichten mit einer reisenden Theatertruppe verwerten kann. Sein erst 2005 von Hanna Grzimek ins Deutsche übersetzter Roman „Ermittlungen“ kommt vordergründig als Kriminalroman daher, weist aber über dieses Genre weit hinaus. Die Leserinnen und Leser sollten dieses Werk mit Vorsicht angehen. Auf Opfer und Täter ist nämlich kein Verlass, Kunst und Verbrechen verlaufen eng nebeneinander. 

Manuel Mujica Láinez (1910 -1984) war ein Schriftsteller, der sowohl durch seinen aristokratischen Lebensstil als auch die Wahl seiner Romanthemen nicht so recht (oder eben gerade deswegen) in die so bunte Reihe der argentinischen Autorinnen und Autoren passt. Sein erfolgreicher Roman „Bomarzo“ (1971 Ü: Annelies von Benda) erzählt die Lebensgeschichte eines italienischen Herzogs. Im Roman „Die Sage von der schönen Melusine, von ihr selbst erzählt“ (1986 Ü: Fritz Rudolf Fries) werden die Leserinnen und Leser in das europäische Mittelalter zur Zeit der Kreuzzüge entführt und nehmen teil an den unwahrscheinlichen Abenteuern und Amouren der mythischen Gestalt der Melusine. Ein außergewöhnlicher Schmöker und gleichzeitig nie langweiliges Geschichts- und Geschichtenbuch ist der Roman „Der Skarabäus“ (dt. von Fritz Rudolf Fries, 1992). Alles beginnt damit, dass ein eifersüchtiger Italiener einen Skarabäus aus Lapislazuli in die Ägäis wirft. Auf dem Grunde des Meeres hat der Skarabäus Gelegenheit, der dort liegenden Poseidonstatue die Geschichte seines Lebens zu erzählen. Von seiner Entstehung in einer ägyptischen Goldschmiedewerkstatt über Abenteuer in Griechenland, dem Rom Cäsars, Kleinasien zu Beginn der Ausbreitung des Christentums, in Ronceval, im sagenhaften Avalon, in Italien während der Renaissance und im Spanien Philipps II.

Man könnte nach der bisherigen Darstellung den Eindruck haben, die Reihe der vergriffenen Titel beträfe vor allem die Werke älterer Autorinnen oder Autoren, die mit ihren Themen nicht mehr zeitgemäß sind. Die folgende kurze (keineswegs vollständige) Auflistung zeigt jedoch, dass auch erst kürzlich (im Original und in der Übersetzung) erschienene Werke vergriffen sind. 

Dazu gehört der von Marcos Aguinis (*1935) im Jahre 1998 auf Deutsch erschienene spannend erzählte und lesenswerte Roman „Der Ketzer von Lima“ (Ü: Enrico Heinemann und Reinhard Tiffert), in dem die Lebensgeschichte eines zwangsgetauften jüdischen Arztes erzählt wird, die während der Inquisition im damaligen Vizekönigreich Peru spielt. 

César Aira (*1949) ist glücklicherweise noch mit vier Titeln (ein weiterer erscheint in diesem Jahr) vertreten. Vergriffen ist aber sein aus phantastischen Elementen geflochtener Roman „Stausee“ (Ü: Maria Hoffmann-Dartevelle), der in der eine drohende Gefahr verdeckenden verschlafenen Atmosphäre eines argentinischen Badeortes spielt. 

Sylvia Iparraguirre (*1947) beschreibt in ihrem 1999 von Enno Petermann übersetzten Roman „Land der Feuer“ das Leben eines bekannten Grenzgängers, nämlich jenes in Feuerland geborenen Jemmy Button, der als Musterbeispiel des „Edlen Wilden“ nach England gebracht wurde und der, dort „zivilisiert“, in die Region seiner Geburt „mit Zylinder, Gehrock und Handschuhen bekleidet“ zurückkehrt, um die Geschichte seiner Entfremdung zu wiederholen. 

Ricardo Piglia (*1941) reflektiert mit seinem Roman „Die abwesende Stadt“ (dt. 1994 von Leopold Federmair und María Alejandra Rogel Alberdi) die (Un)Möglichkeit des Erzählens selbst. Die Geschichte wirkt wie von einer Erzählmaschine einer Hauptprotagonistin geschrieben. Den LeserInnen begegnen immer neue Erzählstücke, mehr oder weniger zusammenhängend und von wechselnden Personen aufgegriffen und weitergesponnen. Das Buch ist voller Anspielungen, Parodien und Zitate aus Werken so bekannter Autoren wie Borges, Joyce, Arlt und Deleuze. 

Abel Posse (*1939) hat mit „Evita” (dt. 1996 von Susanne Lange) einen Roman über Ev(it)a Perón, das Idol der „Hemdlosen“ (Armen ohne eigenes Hemd) geschrieben, den er aus historischen Quellen, Erinnerungen von Zeitgenossen und fiktiven Versatzstücken zusammengestellt hat. Mit dem Romulo-Gallegos-Preis ausgezeichnet wurde der Roman „Die Hunde des Paradieses“ (dt. 1993 von Ulrich Kunzmann), in dem alle vermeintlich gesicherten Erkenntnisse über die Entdeckung und Ausbeutung der Neuen Welt gegen den Strich gebürstet werden. Mit Witz, Sarkasmus und manchmal überbordender Phantasie erzählt Posse seine Version der Ereignisse, die wie eine Fortsetzung jener zeitgenössischen Berichte erscheint, die, gespeist aus alten Sagen und Legenden, der Neuen Welt Paradies und Fabelwesen andichteten. In dieser spannenden Lektüre verdreht der Autor die historischen Tatsachen oft bis zur Kenntlichkeit. 

Die Gründe für die „Abwesenheit“ dieser vielen interessanten Werke sind vielfältig; reichen sie doch von der Insolvenz eines Verlages über eine Fehlkalkulation bei der Festlegung der Auflagenhöhe bis zum vermeintlich nicht mehr aktuellen Thema. So paradox es in diesem Zusammenhang erscheinen mag: Die Aufmerksamkeit, die Argentinien und seine Literatur in den nächsten Monaten auf sich ziehen wird, wird auch dazu führen, dass viele der jetzt noch lieferbaren Titel im Herbst vergriffen sein werden. Und die Erfahrung zeigt auch, dass noch eine andere Tendenz wirksam werden wird, die immer schneller werdende Verramschung gerade erschienener Werke. Und deshalb werden wir einige der neuen Titel bereits im nächsten Jahr in den Grabbelkisten wiederfinden und wiederum einige Zeit später werden sie ganz verschwunden sein.

Klaus Küpper führt das „Archiv der übersetzten lateinamerikanischen Literatur“ in Köln und gibt zweijährlich die kommentierte Bibliographie „Bücher zu Lateinamerika“ heraus. In diesem Jahr erscheint anlässlich der Frankfurter Buchmesse ein Sonderband „Bücher zu Argentinien“.