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U-Boote, Fregatten und ausgemusterte Panzer

Deutsche Rüstungsexporte nach Lateinamerika

Im Zeitraum zwischen 1999 und 2007 hat die Bundesregierung Ausfuhrgenehmigungen für deutsche Rüstungsexporte nach Lateinamerika im Gesamtwert von knapp 560 Millionen Euro erteilt. Die mit Abstand wichtigsten Empfängerländer waren Brasilien (ca. 195 Millionen Euro) und Chile (ca. 176 Millionen Euro). Kriegswaffen wurden darüber hinaus auch an Argentinien, Mexiko und Uruguay geliefert. Außerhalb von EU und NATO gehört die Region somit zu einem wichtigen Absatzmarkt für deutsche Waffen.

Marc von Boemcken

Traditionell nimmt Marinetechnologie einen hohen Stellenwert bei Waffengeschäften deutscher Firmen mit lateinamerikanischen Staaten ein. So sind zum Beispiel die Flotten Argentiniens, Brasiliens, Chiles, Ecuadors, Kolumbiens, Perus und Venezuelas allesamt mit deutschen U-Booten des Typs 209 ausgestattet. Diese Boote werden in der Regel nicht als Fertigprodukt, sondern in Form von Komponenten geliefert, die dann – mit Lizenz der Herstellerfirma in Deutschland – vor Ort zusammengesetzt werden. Nach neun Jahren Bauzeit ist zuletzt im April 2005 ein mit deutschen Materialpaketen von Howaldswerke Deutsche Werft (HDW) fertiggestelltes U-Boot in Rio de Janeiro vom Stapel gelaufen.

Rüstungsgeschäfte mit Lateinamerika beschränken sich jedoch keinesfalls auf U-Boote allein. Als Teil eines bereits in den 1980er Jahren geschlossenen Vertrages hat z.B. Argentinien 2000 und 2004 jeweils eine MEKO-140 Fregatte von Blohm & Voss erhalten. Chile bestellte 2007 zwei Küstenstreifenboote bei der deutschen Firma Fassmer, welche im Laufe dieses Jahres ausgeliefert werden sollen. Fünf weitere dieser Boote wurden Anfang 2009 von Argentinien in Auftrag gegeben. (vgl. Waffenhandelsregister des Stockholm International Peace Research Institute SIPRI, http://www.sipri.org/contents /armstrad/at_db.html) Darüber hinaus ist es bemerkenswert, dass seit kurzer Zeit neben Marinetechnologie in zunehmendem Maße auch Landwaffensysteme aus überschüssigen Bundeswehrbeständen nach Lateinamerika exportiert werden. Dies betrifft vor allem Panzerfahrzeuge. 2006 erwarb etwa Brasilien 220 Leopard-1A1 Kampfpanzer, die zwischen 2009 und 2012 geliefert werden sollen. An Chile wurden 2008 bereits die ersten 112 von insgesamt 140 Kampfpanzer vom Typ Leopard-2A4 übergeben. Seitdem hat Chile noch 138 Schützenpanzer Marder-1A3 sowie 30 Flakpanzer Gepard bei der Bundeswehr bestellt.

Wie sind diese Waffengeschäfte zu bewerten? Verglichen mit anderen Weltregionen wie Südasien oder Naher und Mittlerer Osten bilden bewaffnete Konflikte, die sich durch den Einsatz militärischer Großwaffensysteme wie U-Boote, Fregatten oder Kampfpanzer auszeichnen, im lateinamerikanischen Raum eher die Ausnahme. Zudem handelt es sich bei den Empfängern deutscher Waffentechnologie in dieser Region zum größten Teil um demokratisch legitimierte, teilweise linke Regierungen. Aber können allein diese Umstände den massiven Export von Kriegsgerät, etwa nach Brasilien oder Chile, rechtfertigen? 
Mit Blick auf die gültigen „Grundsätze der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern“ gilt es zunächst einmal festzustellen, dass der Ausfuhr von deutschen Waffen, zumindest in der Theorie, klare Beschränkungen auferlegt sind. So heißt es darin zum Beispiel, dass der „Export von Kriegswaffen“ in so genannte „Drittländer“, die weder der EU noch der NATO angehören, grundsätzlich „nicht genehmigt“ wird – „es sei denn, dass im Einzelfall besondere außen- oder sicherheitspolitische Interessen der Bundesrepublik Deutschland … für eine ausnahmsweise zu erteilende Genehmigung sprechen“. Wirtschaftliche bzw. „beschäftigungspolitische“ Begründungen – darauf weisen auch die Grundsätze der Bundesregierung ausdrücklich hin – stellen dabei keine ausreichende Rechtfertigung für Waffenlieferungen in Drittländer dar.

Durch die Ausfuhr von Kriegsgerät in Länder Lateinamerikas scheint die Bundesregierung ihren eigenen Absichtserklärungen zum Rüstungsexport zu widersprechen. Die genauen Begründungen für Panzerlieferungen nach Chile und Brasilien sind zwar nicht bekannt, da der Bundessicherheitsrat, der über Exporte dieser Größenordnung entscheidet, im Geheimen tagt. Ein besonderes „außen- oder sicherheitspolitisches Interesse“ der Bundesrepublik ist bei diesen Geschäften gleichwohl nicht auszumachen. Wie auch der kritische „Rüstungsexportbericht“ der Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung (GKKE) fordert, sollte deshalb nicht allein die Ablehnung eines Waffengeschäfts durch die zuständigen Stellen der Bundesregierung begründet werden. Auch die Genehmigung eines Rüstungsexports, insbesondere in Drittländer, bedarf einer öffentlichen Rechtfertigung. In vielen Fällen dürfte eine derartige Begründung im Sinne der politischen Grundsätze aber schwierig werden. Es spricht im Gegenteil einiges dafür, dass deutsche Waffengeschäfte oftmals nicht in vollem Umfang den Kriterien des Verhaltenskodex' der Europäischen Union zum Rüstungsexport entsprechen, der im Dezember 2008 zu einem Gemeinsamen Standpunkt aufgewertet wurde und zu dessen Einhaltung die Bundesregierung sich bekannt hat.

Diese Beobachtung betrifft vor allem die Panzerlieferungen nach Chile. So sollte nach Kriterium 4 des EU-Kodex' ein Waffenexport die „regionale Stabilität [um das Empfängerland] nicht wesentlich…beeinträchtigen“. Dies wäre insbesondere dann der Fall, wenn etwa „Ansprüche auf das Hoheitsgebiet eines Nachbarlandes bestehen“, die möglicherweise mit Waffengewalt geltend gemacht werden könnten. Mit Verweis auf einen bereits seit Jahren schwelenden Grenzkonflikt zwischen Chile, Peru und Bolivien warnte der Bundesausschuss Friedensratschlag bereits 2006 „eindringlich“ vor Waffenexporten in die Region, könnten diese doch eine gefährliche „Rüstungsspirale“ in Gang setzen (vgl. www.uni-kassel.de/fb5/frieden/themen/export/chile.html). Ein Beitrag in der Schweizer Wochenzeitung (WoZ) vom 9. März 2006 weist auf Umfragen hin, nach denen „mehr als die Hälfte der peruanischen Bevölkerung“ glaubt, Chile „rüste sich für einen Angriffskrieg gegen sie“. Für das Jahr 2008 verzeichnet das „Konfliktbarometer“ des Heidelberger Instituts für Internationale Konfliktforschung (HIIK) einen erneuten Anstieg der zwischenstaatlichen Spannungen zwischen Chile und Peru.

In der Tat ist in Chile seit mehreren Jahren ein massiver Aufrüstungstrend zu beobachten. Neben den deutschen Kampfpanzern haben über die letzten Jahre neun Fregatten aus Großbritannien und den Niederlanden, zwei U-Boot-Prototypen aus spanisch-französischer Koproduktion sowie mehr als zwei Dutzend US-Kampfflugzeuge ihren Weg nach Santiago gefunden (vgl. Michael Radseck, Die stille Aufrüstung: Südamerika erneuert seine Kriegswaffenarsenale“, in: Matices, Frühjahr 2008, S. 27). Dementsprechend sind die Militärausgaben des Landes zwischen 1998 und 2007 real um 56 Prozent gestiegen. Wie aus dem aktuellen Globalen Militarisierungsindex (GMI) des Bonn International Center for Conversion (BICC) hervorgeht, der die dem staatlichen Militärapparat zur Verfügung stehenden Ressourcen und Kapazitäten im Verhältnis zu wirtschaftlichen, demographischen und sozialen Faktoren darstellt, ist Chile das am stärksten militarisierte Land Lateinamerikas (weltweit auf Platz 29).
Gerade vor diesem Hintergrund sind weitere Waffenlieferungen nach Chile als hochproblematisch zu bewerten. Es ist deshalb ausdrücklich einzufordern, dass überschüssiges und ausgemustertes Kriegsgerät der Bundeswehr verschrottet und nicht weiterexportiert werden sollte – schon gar nicht, um damit massive Aufrüstungsbestrebungen fremder Streitkräfte in regional instabilen Drittländern zu unterstützen. Dies unterminiert nicht nur den EU Verhaltenskodex für Rüstungsexporte, sondern steht auch im Widerspruch zu den erklärten Bestrebungen der Bundesregierung, die weltweite Anzahl konventioneller Waffen reduzieren zu wollen. 

Marc von Boemcken ist Mitarbeiter des Bonn International Center for Conversion (BICC).