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Stadt – Land – Fluss

Das Cutzamala-System versorgt die mexikanische Hauptstadt mit Wasser und gräbt es der Landbevölkerung ab

Wenn die BewohnerInnen des kleinen als El Monumento bekannten Örtchen im Bundesstaat Mexiko auf den gegenüber liegenden Berghang blicken, kommt manches Mal Wut auf. Was da durch eine breite Schneise wie eine lang gestreckte Schlange den Berg hinauf kriecht, ist ein Symbol für die eigene Marginalisierung und die vieler Nachbargemeinden. Von der nur zwei Kilometer entfernten Trinkwasseraufbereitungsanlage Los Berros werden pro Sekunde bis zu 19 000 Liter Wasser durch ein riesiges Rohrsystem auf den Bergkamm gepumpt, um von dort ins 130 Kilometer entfernte Mexiko-Stadt und andere urbane Zentren geleitet zu werden. Dagegen haben viele Menschen im Landkreis Villa de Allende, zu dem El Monumento gehört, nach wie vor keinen Wasseranschluss im Haus. Die Bevölkerung in der überwiegend von den Mazahua-Indígenas bewohnten Region ist auf Tankwagen oder lange Wege zu den verbleibenden Quellen angewiesen.

Gerold Schmidt

Los Berros ist zentraler Bestandteil des so genannten Cutzamala-Systems, das einen wichtigen Teil der Wasserversorgung für die mexikanische Metropole garantiert. Ein System, das beispielhaft mehrere Aspekte der potentiellen Wasserkonflikte zwischen Stadt und Land aufzeigt. Bereits in den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts wurde deutlich, dass die rasant wachsende Hauptstadt ihren Wasserbedarf nicht mehr länger ausschließlich durch die Ausbeutung der eigenen Grundwasserreserven werde stillen können. Die Entscheidung, Wasser aus den Einzugsgebieten außerhalb des Hochtals von Mexiko-Stadt her zu transportieren, stand fest. Das erste größere und in mehreren Etappen konstruierte Netzwerk baute auf dem den Bundesstaat Mexiko durchziehenden Río Lerma und seinen Zuflüssen auf. Bereits wenige Jahrzehnte später reichte das „Sistema Lerma“ nicht mehr aus, den Durst der Hauptstadt zu löschen. Erfahrungen mit negativen ökologischen, ökonomischen und soziologischen Auswirkungen auf die Landbevölkerung, der das Wasser vor ihren Augen zugunsten der Hauptstadt abgezogen wurde, verdrängten die staatlichen Autoritäten. 

Mit dem Cutzamala-System, benannt nach dem im Nachbarbundesstaat entspringenden Fluss, kam das nächste Großvorhaben zur Ausführung:  Acht Stauseen mit ganz unterschiedlichem Fassungsvermögen, die zuvor überwiegend der Stromerzeugung gedient hatten, sollten nun als „Sistema Cutzamala“ in die Wasserversorgung von Mexiko-Stadt einbezogen werden. Dabei bestand die Hauptschwierigkeit nicht in den knapp 130 Kilometern Entfernung bis ins Hochtal von Mexiko, sondern im Höhenunterschied zwischen der Metropole und den in der Mehrzahl weitaus tiefer liegenden Stauseen. Dies bedeutete hohe Investitionen in Pumpstationen und gewaltige Ausgaben für laufende Energiekosten. Die erste Etappe des Sistema Cutzamala war 1982 mit der Einweihung einer Verbindung zwischen dem Stausee Villa Victoria und der Haupstadt abgeschlossen. Nach und nach wurden die anderen Stauseen integriert. Deren Wasser wird heute bis zur Trinkwasseraufbereitungsanlage Los Berros geführt. Es soll die größte Anlage dieser Art in ganz Lateinamerika sein. Damit beispielsweise das Wasser des Stausees Colorines dort gereinigt werden kann, muss es mit Hilfe der Pumpen einen Höhenunterschied von mehr als 1000 Meter bewältigen. Insgesamt kommt der Energieverbrauch der verschiedenen im Sistema Cutzamala eingesetzten Hochleistungspumpen in etwa dem Stromverbrauch der mexikanischen Millionenstadt Puebla gleich.

Es gibt weitere Kostenfaktoren: Beispielsweise durch die zunehmende Urbanisierung im Bereich des größten Stausees, Valle de Bravo. Längst ein Erholungsort für die Reichen und Superreichen, wird der See durch Motorboote und die Einleitung von Abwässern verschmutzt. Das bedeutet mehr Aufwand bei der Trinkwasseraufbereitung in Los Berros. Und die Anlage ihrerseits leitet Schadstoffe direkt in den unterhalb gelegenen kleinen Fluss Malacatepec, der von Teilen der Landbevölkerung für die Bewässerung ihrer Felder genutzt wird. An guten Tagen, so die Mazahuas bei einer Ortsbesichtigung im vergangenen Oktober, sei das Flusswasser nur braun. Oft hat es aufgrund des Chemiecocktails aus Los Berros eine eher schwarze Farbe. Gleichzeitig sind in den letzten Jahren in der Region viele natürliche Quellen mit hervorragender Wasserqualität versiegt oder wesentlich weniger ergiebig geworden. Der Aderlass Richtung Hauptstadt mit der Zwischenstation Stausee gräbt den Campesinos das Wasser regelrecht ab. Als ob dies nicht genug wäre, geht von den in die Städte kanalisierten Wassermengen auf dem Transportweg ein gutes Drittel verloren. Denn für die Instandhaltung des aufwändigen Röhrensystems werden nicht ausreichend Mittel zur Verfügung gestellt. Lecks sind keine Seltenheit, oft werden die Leitungen auch angezapft. Trotzdem gibt es immer wieder Überlegungen, den Wasserdurchlauf des Sistema Cutzamala noch weiter zu steigern, indem die derzeitige Rohrkapazität von maximal 19 Kubikmetern pro Sekunde ausgebaut bzw. ständig bis ans Limit ausgenutzt wird. Dabei ist das Augenmerk verstärkt auf die Versorgung von Umlandkommunen der Hauptstadt gerichtet, in denen zum Teil immer noch riesige Wohnsiedlungen aus dem Boden gestampft werden oder in Planung sind. 

Doch der Widerstand gegen den Umgang mit den Wasserressourcen mehrt sich. Ein Beispiel sind die Mazahuas selber. Vor anderthalb Jahren erregten sie mit ihrem Zapatistischen Frauenheer Aufsehen. Ausgangspunkt waren von offizieller Seite geflissentlich überhörte Entschädigungsforderungen wegen der zeitweisen Überflutung von 300 Hektar landwirtschaftlich genutzter Flächen. Der Schaden war durch das Überlaufen des Stauwerks Villa Victoria entstanden. Im September 2004 waren es die Mazahuas endgültig leid. „Wir haben gemerkt, dass der Gesprächsweg erfolglos war und die Männer nicht für voll genommen wurden. Jetzt sind wir an der Reihe und wir werden zeigen, dass mit den Mazahuafrauen kein Spiel getrieben werden kann“, begründete die Comandanta Victoria Martínez damals die aktive Rolle der Frauen. Mit Macheten, Stöcken und Holzgewehren bewaffnet blockierten sie monatelang symbolisch den Eingang zu Los Berros und führten eine Reihe weiterer öffentlichkeitswirksamer Aktionen durch. Sie beschränkten sich nicht darauf, die Entschädigung einzuklagen, sondern verlangten den Anschluss der Gemeinden im Landkreis Villa Allende an das Trinkwassernetz. Auch Unterstützung für ökologisch nachhaltige Projekte in ihrer Region, darunter ein breit angelegtes Wiederaufforstungsprogramm, waren Bestandteil ihres Forderungskatalogs. Und die Mazahuas forderten den Boden zurück, der vor Jahrzehnten mit der Begründung vom Staat enteignet wurde, er werde für die Trinkwasserversorgung und die entsprechende Infrastruktur benötigt. In der Praxis lag das Land aber einfach nur brach. 

Die Frauen stellten sich sogar dem Militär entgegen. „Wir haben keine Angst vor der Armee, sondern vor Hunger und Elend, vor der fehlenden Zukunft für unsere Kinder“, machten sie klar. Mehrere Männer warfen sich an Händen und Füßen gefesselt in einen der von Los Berros wegführenden Wasserkanäle. Nur ein symbolischer Akt, doch die Indigenas drohten, dies mit hundert Personen zu wiederholen und sich in den Kanälen verbluten zu lassen, „damit das in den Bundesdistrikt geschickte Wasser mit unserem Blut ankommt. Wir geben das Leben für das, was uns gehört: das Land und das Wasser dieser Region.“ Gleichzeitig verdeutlichten die Mazahuas, den StadtbewohnerInnen das Recht auf die Wasserversorgung nicht verweigern zu wollen. Ihre Proteste richteten jedoch das Augenmerk auf die ungleichen Maßstäbe, die die staatlichen Autoritäten bezüglich der Stadtbevölkerung und der einfachen Landbevölkerung anlegen. 

Nicht zuletzt das Medienecho bewegte das Umweltministerium, die ihm formal unterstellte Nationale Wasserkommission sowie weitere Regierungsstellen zum Nachgeben. Nach langwierigen Verhandlungen wurde zumindest ein Teil der Mazahua-Forderungen erfüllt. Die Zugeständnisse bezogen sich aber nur auf den Landkreis Villa de Allende. In den vier weiteren Landkreisen der Mazahua-Region sahen die staatlichen Autoritäten keinen Handlungsbedarf. Mit ihrer so oft bewährten Zermürbungs- und Spaltungsstrategie haben sie im Fall der Mazahuas aber bisher nur sehr bedingten Erfolg. Zwar gab sich ein Teil der Indígenas mit dem Erreichten zufrieden und stellte den Widerstand weitgehend ein. Andere wie die Comandanta Victoria dagegen halfen mit, die Gemeinden in den vier Nachbarlandkreisen zu organisieren. Im Movimiento Mazahua tragen sie den Protest weiter. Die Forderungen nach besseren Versorgungsleitungen werden von Wiederaufforstungsprojekten und der Anlage kleiner Wasserspeicher in Eigenregie begleitet. Zur Praxis kommt inzwischen auch die theoretische Auseinandersetzung. Das über die eigene Situation hinaus weisende Konzept vom Wasser als Menschenrecht ist nicht wenigen Mazahuas inzwischen vertraut. Auf den Alternativveranstaltungen zum offiziellen Weltwasserforum Mitte März in Mexiko-Stadt wird ihre Stimme mehrfach zu hören sein.