Das Schöne daran, ein Schwerpunktheft zu Musik zu machen, besteht darin, sich guten Gewissens tonnenweise neue Tonträger anzuschaffen und sich daran zu begeistern. Und draußen spielt die Welt mal wieder verrückt. Nicht enden wollende Anschläge im Irak und in Israel, Folterungen an irakischen Gefangenen, Festschreibung der israelischen Siedlungspolitik, „Zuwanderungs“gesetz vor dem Aus (ist auch besser so, mit Ermöglichung von Zuwanderung und Herstellung gleicher Rechte hatte das Ganze eh nichts mehr zu tun), Initiative zur Schaffung von Billiglohngebieten, Bomben in Madrid – um nur einige Stichworte der letzten Wochen zu nennen. Und wir widmen uns schöngeistigen Themen. Vermeintlich schöngeistig, denn natürlich haben wir uns einen ila-typischen Zugang erlaubt und sind nicht auf einmal zu einer Musik-Zeitschrift mutiert. Auch wenn der Schwerpunkt diesmal besonders dick ist – „Yo Alter, fette Sache!“ wie es in Musikkreisen heißen würde. Wichtig waren uns historische und soziopolitische Zusammenhänge, die Bedeutung von Musik für Selbstverständnisse, Herrschaftsdiskurse und für Zuschreibungen unterschiedlicher Natur, sei es in Bezug auf Geschlechterrollen oder auf „ethnische“ Identitäten. Bei der Recherche und AutorInnensuche stießen wir auf so manche Hindernisse: Zum einen mussten wir betrübt feststellen, dass die meisten MusikjournalistInnen scheue Rehe und zu einer Zusammenarbeit kaum zu bewegen sind. Zum anderen war es recht mühselig, Informationen zu finden; auf der Suche nach einer bestimmten Band oder Musikrichtung stießen wir im Internet zunächst immer nur auf Angebote für die entsprechenden Tonträger derselben.

Okay, erst mal die CD anschaffen. Das lohnt sich ja auch meistens. Bietet doch die Musik einen – oft ersten – Zugang zu unbekannten Regionen, liefert die Software für unzählige Soli-Partys, ist eines der globalisiertesten Güter überhaupt und spielt nicht zuletzt im Alltag der Menschen – hüben wie drüben – eine wichtige Rolle. Und bei Musik aus der Karibik potenziert sich das Ganze noch: Sie ist beredtes Zeugnis einer wechselvollen Geschichte, erzählt von Eroberung, Kolonialismus, Versklavung und einer Vermischung von Kulturen, deren Ergebnis die Herausbildung einer schier unglaublichen Vielfalt von Rhythmen und Stilen gewesen ist. Dieser Prozess der Kreolisierung ist das genaue Gegenteil der heutigen ökonomischen Globalisierung. Nicht extrem zentralisierte Riesenkonzerne und Apparate setzen bestimmte Marken oder Konsumgewohnheiten weltweit durch, sondern KünstlerInnen, im konkreten Fall MusikerInnen, beschäftigen sich neugierig mit von außen kommenden Klängen, Rhythmen und Instrumenten, verbinden sie kreativ mit dem Eigenen und entwickeln daraus etwas spannendes Neues.

Wir haben 52 karibische Musikstile gezählt, die in den Beiträgen dieser ila vorkommen. In jedem Karibikland gibt es eine Vielzahl unterschiedlicher Stile, selbst wenn es weniger EinwohnerInnen als Gelsenkirchen hat. Einige davon entwickelten sich zu weltweit erfolgreichen Pop-Phänomenen – Reggae etwa oder Salsa, um nur die bekanntesten zu nennen. Aber außer Cuba und Jamaica gibt es noch so viel mehr zu entdecken. Haiti zum Beispiel, dieses absolute Armenhaus, ist, was die Musik anbelangt, eine wahrhaftige Grande Nation. Oder die beiden Überseedepartements – sprich Kolonien – Frankreichs, Guadeloupe und Martinique, auf denen einer der erfolgreichsten Stile der Karibik entstanden ist: Zouk. Gerade der letztgenannte Stil spiegelt sehr gut wider, dass die Musik der Karibik auch eine Geschichte der Diaspora erzählt, eine Geschichte der Migration, beispielsweise nach New York, London oder Paris. Ohne diesen beständigen Austausch und die gegenseitige Beeinflussung gäbe es viele der wunderbaren Klänge nicht, zu denen wir so gerne tanzen, Artikel schreiben oder uns vom Elend der Welt ablenken lassen.