Esoterik und Wunderheilung sind wieder da, mitten unter uns sogar. Und wer’s nicht glaubt, schaue bitte auf die Anzeigenseiten eines x-beliebigen Stadtmagazins. Das nicht Erklärbare avanciert derzeit in gewissen nicht unbetuchten, auf alle Fälle postmodernen Kreisen zum In-Thema der neuen Innerlichkeit. Bhagwan ist out, Bigwahn kommt. Wo der Glaube an die Wunderkraft des Geldes sinkt, muß es schließlich noch an anderer Stelle Wunder geben! So war es nur eine Frage der Zeit, daß in den Metropolen der großen Finanztempel nun auch der brasilianische Candomblé oder die Umbanda von seelisch umherirrenden Wohlstandsweißen entdeckt wurden. Die Faszination, die vom Blute eines geopferten Hahnes und von wilden Trommelrhythmen ausgeht, ist „etwas ganz anderes“, das muß man und frau einfach spüren! Falls die Vibration noch nicht angekommen ist, hilft das Frauenmagazin „Brigitte“: „Trance als Wundermittel gegen Not und Probleme“, wird da getitelt. Das könnte auch die Armen hoffen lassen, oder?

„Brigittes“ Zielgruppe war sicher eine andere, dennoch war die Aussage keineswegs verkehrt: der Candomblé hat seine Formen und Mythen aus afrikanischen Agrargesellschaften nach Brasilien hinübergerettet. In der Versklavung konnten sich deren Nachkommen  drei Jahrhunderte lang nur auf sich selbst und ihre Erinnerungen verlassen. Erinnerungen, die in den Trommeln, in Mythen und in mündlich weitergegebenem Wissen zur Heilkunst lebendig blieben, und natürlich in einer ganz spezifischen Religionsausübung. Das - und nur das – war die einzige und ausschließliche Grundlage für die Wahrung schwarzer Identität. Nur so – und genau deswegen – konnten die afrobrasilianischen Religionen beibehalten und weiterentwickelt werden.

Das eigentlich Faszinierende für Menschen, die sich mit dieser in Europa fremden Religion beschäftigen, wäre genau dies: wie konnte eine Religion dreihundert Jahre lang ohne Pomp, ohne Hierarchie, ohne interessengeleitete Mission auskommen? Die materielle Basis war denkbar unspektakulär: die aus Afrika verschleppten hatten nichts als ihre jeweiligen Traditionen, die Armut und die Solidarität der Entrechteten.
Ist nun der Candomblé im Umkehrschluß in der Lage, die Solidarität unter den Ärmsten zu fördern? Gibt es mehr Solidarität unter armen Candomblé-AnhängerInnen als etwa unter PfingstlerInnen oder KatholikInnen? Die Frage ist verfrüht und verkürzt. Der Candomblé ist kein Fundus, aus dem jeder das Seine und jede das Ihre pflückt. Genau das aber tun die neuen Candomblé-JüngerInnen hierzulande.
Im Candomblé setzen sich historische Erfahrungen ungebrochen fort. So die Notwendigkeit einer Harmonisierung der zwischenmenschlichen Beziehungen und der Gerechtigkeit allen gegenüber. So die Beziehung zwischen seelischer und physischer Geundheit. Die Opferung eines Hahnes ist im Candomblé so rational wie eine im Fernsehen übertragene Herztransplantation im „rationalen System“. Sicherlich mag letztere den einen oder anderen Herzkranken kurieren, viel sicherer aber füllt sie das Konto eines bereits reichen Arztes. (Ausnahmen bestätigen natürlich auch in den Ländern der „Postmoderne“ die Regel.) Der Candomblé versucht, das Kranksein eines Menschen zu heilen und gleichzeitig eine soziale oder religiöse Verbindung zwischen Gott und Mensch, damit auch zwischen den Menschen, herzustellen und darüber mögliche Quellen von Kranksein abzuschalten. Wer glaubt, das mit ein paar Trancekursen zu schaffen, wird bestimmt nicht selig.

Der Candomblé hat heute hervorragende Intellektuelle und KünstlerInnen als AnhängerInnen – wie z.B. den Maler Ronaldo Martins –, die ihn begreifen und lieben und die ihm über die Religion hinaus Ausdruck verleihen. Und dies ist eine ent-täuschende, eine Täuschungen zerstörende Botschaft dieser ila: Jede Religion hat etwas mit gewachsenen Beziehungen zu tun, mit bestimmten Macht- und Gewaltverhältnissen, und mit wirtschaftlichen Grundlagen. Und die kapiert niemand in drei Trommelwochen pauschal mit Flughafentransfer.

So ist unser Ziel auch ganz bescheiden: der Candomblé soll als Religion und als soziale Kraft auch von EuropäerInnen anerkannt und ernst genommen werden. Mehr nicht.
Bei dieser Arbeit haben uns viele unterstützt. Wir bedanken uns an dieser Stelle besonders bei Pater Volney Berkenbrock, der mit seinem fundierten Wissen und eigenen Beiträgen sowie durch die Vermittlung von Kontakten sehr für das Gelingen des Schwerpunktes beitrug.