Mittelamerika ist keine „Krisenregion“ mehr. So sehen es jedenfalls die politisch Verantwortlichen in den USA und Europa: Nicaraguas Contra-Krieg ist lange vorbei. Auch die FMLN in El Salvador legte die Waffen nieder und nahm Anfang dieses Jahres an den Wahlen teil. Ebenfalls für dieses Jahr wird ein Friedensabkommen zwischen Regierung und Guerilla in Guatemala erwartet. Es scheint ein Prozeß zu Ende zu gehen, der die Region erfolgreich befriedete.
Dabei ist im Grunde nichts erreicht. Entgegen den damaligen optimistischen Erwartungen in der Solidaritätsbewegung gelang es den Befreiungskräften nicht – oder zumindest nicht dauerhaft, die Machtverhältnisse grundlegend zu verändern und einen Reform- und Umverteilungsprozeß im Sinne der seit Jahrhunderten Benachteiligten in Gang zu setzen. Nach wie vor lebt ein Großteil der Menschen in Mittelamerika unter menschenunwürdigen sozialen Bedingungen, ihre Situation hat sich im vergangenen Jahrzehnt überwiegend sogar weiter verschlechtert.

Zwar gelang es den Herrscherschichten Mittelamerikas und den sie stützenden Regierungen in den USA und Europa nicht, die Befreiungskräfte vollständig auszuschalten, doch sehr wohl gelang es, sie zu weitestgehenden politischen Zugeständnissen zu zwingen, die faktisch eine Festschreibung des Status Quo bedeuten:
– in Nicaragua wurden die Sandinisten 1990 durch Wahlen abgelöst. Seitdem leidet das Land unter einer konservativen Regierung, die eine rigorose neoliberale Privatisierungspolitik mit verheerenden sozialen Folgen betreibt;
– in El Salvador wurde ein Friedensabkommen unterzeichnet, das die politische und wirtschaftliche Hegemonie der Großgrundbesitzer nicht in Frage stellt;
– in Guatemala wird voraussichtlich im Laufe dieses Jahres ein Friedensabkommen zwischen Regierung und Guerilla unterzeichnet, das außer einer Amnestie und gewissen Garantien für ehemalige GuerillakämpferInnen, die sich ins politische Leben integrieren wollen, kaum Veränderungen bringen wird.

Somit steht der Kampf um soziale Gerechtigkeit und politische Demokratie in Mittelamerika auch nach dem Ende der bewaffneten Auseinandersetzung auf der Tagesordnung. Derzeit ist noch völlig unklar, wer die ProtagonistInnen dieser Kämpfe sein werden, da die ehemaligen Befreiungsbewegungen FSLN, FMLN und URNG wegen fehlender politischer Perspektiven und interner Grabenkämpfe massiv an Reputation in der Bevölkerung verlieren, während neue soziale und politische AkteurInnen wie die autonome Frauenbewegung, die Kooperativenbewegung, landlose Bauern und Bäuerinnen sowie ehemalige Flüchtlinge und Kriegsvertriebene dabei sind, politische Räume zu besetzen.
Die Frage nach neuen AkteurInnen stellt sich auch vor einem anderen Hintergrund: Die ökonomischen Strukuren Mittelamerikas verändern sich. Zwar sind die traditionellen Exportprodukte wie Kaffee und Bananen weiterhin die wichtigsten Devisenbringer für die meisten zentralamerikanischen Länder, aber es kommen neue Wirtschaftszweige hinzu. Die Maquiladora-Industrie (Guatemala, Honduras) oder der Tourismus (Costa Rica) gewinnen stark an Bedeutung. Deshalb bemüht sich dieser ila-Schwerpunkt nicht nur um eine Bestandsaufnahme der politischen Prozesse, sondern auch darum, die wirtschaftlichen Entwicklungen in der Region zu analysieren.

PS  Diese Ausgabe der ila wurde in Zusammenarbeit mit den Informationsstellen El Salvador und Guatemala sowie dem Informationsbüro Nicaragua erstellt.