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Ach so, Bananenrepublik

Ecuador: Noboa macht Politik für seine Unternehmerfreunde

Im Insight-Crime-Bericht rangiert Ecuador mittlerweile vor Kolumbien und Haiti als eines der gewalttätigsten Länder der Region. Dabei galt das Land bis vor Kurzem als „Friedensinsel“ zwischen den konfliktgeplagten Nachbarstaaten. Der im Oktober 2023 gewählte Präsident Daniel Noboa verspricht eine Politik der harten Hand. Es ist die Rückkehr der Eliten durch die gar nicht so versteckte Hintertür.

Stalin Herrera
Anahí Macaroff

Die letzten beiden Regierungen haben den Boden für den Vormarsch des Kapitals bereitet: Lenín Moreno (2017-2021), damals ideologischer Ko-Gründervater der Revolución Ciudadana1, und Guillermo Lasso (2021-2023), der mit Firmeneigentum in Steuerparadiesen auf sich aufmerksam machte. Ihre Regierungen ermöglichten exorbitante Gewinne im Finanzwesen und die Ausbreitung illegaler Geschäfte – diese kriminellen Ökonomien sind heute das größte Problem des Landes. In den Jahren 2019 und 2022 gab es landesweite Proteste gegen die neoliberalen Maßnahmen. Es schien, als würden sie einen erneuten Triumph der Eliten verhindern. Dennoch war es Daniel Noboa, der für die Übergangszeit (2023-2025)2 zum Präsidenten gewählt wurde.

Die Mafias belagern mehr und mehr die nationale Politik und durchdringen Regierung und Sicherheitskräfte. Anhaltspunkte dafür gibt es einige: Drogenkartelle kontrollieren die Gefängnisse und ermordeten den Präsidentschaftskandidaten Fernando Villavicencio und andere Führungspersönlichkeiten und Kandidat*innen. Vertraute von Ex-Präsident Lasso haben finstere Verbindungen zur albanischen Mafia. Die US-amerikanische Botschaft erhebt informell harte Vorwürfe. Die Fälle „Metastasis“ und „Purga“ haben gezeigt, wie Beamte ins organisierte Verbrechen verstrickt sind. Diese neue Wirklichkeit ist die größte Sorge der Bevölkerung – und Dreh- und Angelpunkt sämtlicher Wahlkampagnen.

Wer ist Daniel Noboa?

Gerade einmal 36 Jahre alt, ist Daniel Noboa Erbe eines der größten Vermögen des Landes, der Unternehmensgruppe Noboa (Grupo Noboa oder Exportadora Noboa). Er inszenierte sich als junger Kandidat, der versöhnen will, unterstützte LGBTI-Rechte sowie die Kampagne gegen Ölförderung im Yasuní-Nationalpark (siehe ila 467) und versprach, die Rolle des Staats zu stärken. Während der Kampagne verkündete er: „Meine Ideologie? Mitte-links. Ich glaube an soziale Verantwortung, an Unternehmensfreiheit, ich glaube, dass ein Steuersystem möglich ist, das progressiv für die Menschen, aber wettbewerbsorientiert für die Unternehmen ist. Ich glaube, dass sich der Staat um Bildung und Gesundheit kümmern sollte. Ich glaube auch, dass wir die Erdölförderung und -raffinierung und den Ausbau von Elektrizität intensivieren müssen. Das sind keine extrem rechten Positionen wie die der aktuellen Regierung.“ (Damit meinte er die Regierung Lasso.)

Im Wahlkampf betonte er nicht nur seine Erfahrung als Abgeordneter der Nationalversammlung, sondern auch als Unternehmer. Im zarten Alter von 18 Jahren gründete er sein erstes eigenes Unternehmen, die DNA Entertainment Group. Von 2010 bis 2018 war er der jüngste Versand- und Vertriebsleiter des familieneigenen Exportunternehmens Noboa. Er studierte Betriebswirtschaftslehre an der Stern School of Business in New York und hat drei Masterabschlüsse: in BWL an der Kellogg School of Management, in öffentlicher Verwaltung an der Harvard University und in Politischer Kommunikation und Governance an der George Washington University. Daniel Noboa hat nichts vom Oligarchen-Image seines Vaters Álvaro Noboa, der fünf Mal erfolglos als Präsident kandidierte. Neben seinem großen Erbe ist er bestens vernetzt in der globalen Unternehmerschaft.

Vergangenheit und Gegenwart eines Unternehmers

Daniel ist nicht sein Vater, aber er ist der Erbe einer der einflussreichsten Familien in der nationalen Politik. Luis Noboa Naranjo, Großvater von Daniel und Gründer des Familienimperiums, war persönlich mit den Ex-Präsidenten Carlos Julio Arosemena Monroy (1961-1963) und Luis Febres Cordero (1984-1988) befreundet. Als er sein Unternehmen gründete, war sein Einfluss auf die Politik entscheidend, um bis zum Jahr 1976 48 Prozent des Bananenmarktes zu kontrollieren. Seine Kontakte ermöglichten ihm auch, Subventionen auszuhandeln und sich das ehemals staatliche Unternehmen Flota Bananera Ecuatoriana anzueignen. Mit dem sollte der Siegeszug als Exportunternehmen beginnen.

Die Grupo Noboa gehört zu den 20 wichtigsten Unternehmensgruppen des Landes. 141 bekannte Unter­nehmen vereint sie unter ihrem Dach, die in unterschiedlichen Bereichen tätig sind: Produktion, Verarbeitung, Vertrieb, Export, Import, Finanzwesen, Immobilien, Versicherungen, Telekommunikationswesen. 17 dieser Unternehmen befinden sich in den Steueroasen der Bahamas und Panamas. Im Jahr 2020 entgingen dem Staat dadurch 182 Millionen US-Dollar Steuereinnahmen. Nach Recherchen des Zentrums für Wirtschaftliche und Soziale Rechte (CDES) hatte die Grupo Noboa 2023 Steuerschulden in Höhe von 144 Millionen US-Dollar. Zur Einflusssphäre muss man zudem die Gruppe Nobis zählen, die Daniels Tante Isabel Noboa gehört und auf Platz 28 der wichtigsten Unternehmen rangiert. Zu ihr gehören 85 Unternehmen, davon 14 in Steueroasen. Die Gruppe Noboa und die Gruppe Nobis gehören wiederum zu 44 Holdings, die mit verschiedenen Familien verbandelt sind. Die Familie Noboa ist der „wichtigste Knotenpunkt in einem komplexen Netzwerk, zu dem nahe und ferne Verwandte“ sowie vertraute Verwalter und ausländische Unternehmen zählen, hat Fernando Muñoz Miño dargelegt.

So sehr sich Daniel Noboa auch bemüht hat, sich von Guillermo Lasso zu distanzieren – er hat mehr mit ihm gemeinsam, als er zugeben will. Seine Familie ist Eigentümerin der Privatbank Banco del Litoral und hat somit gleichfalls Finanzinteressen. Außerdem steht Daniel Noboa ebenso wie Lasso auf der Liste von Unternehmern, die Vermögen in Steueroasen besitzen, wie die Pandora Papers offengelegt haben.

Politische Positionen

Noboa als mitte-links einzuordnen ist mehr als schwierig. Dafür würde schon ein Blick auf das Bananenexportunternehmen reichen, das mehrfach wegen Ausbeutung und Kinderarbeit angezeigt wurde, sowohl von Produzenten, die auf dem offiziellen Preis pro Bananenkiste beharren, als auch von bäuerlichen Gemeinden, die ihre Landrechte verletzt sehen. Vor allem aber ist da seine Vizepräsidentin Verónica Abad. Die konservative Unternehmerin aus Cuenca ist eine Anti-Abtreibungs-Hardlinerin und Mitglied im Liberalen Forum Lateinamerikas, eine Plattform, die ultrarechte Positionen wie die von Milei in Argentinien, Bolsonaro in Brasilien und Trump in den USA fördert. Im Jahr 2021 kandidierte Abad für Guillermo Lassos Partei CREO als Abgeordnete.

Die Parteien, die Noboas Bündnis Acción Democrática Nacional (ADN) bilden – Pueblo Igualdad y Democracia (PID) und Movimiento Verde, Ético, Revolucionario, Democrático (Mover) – stützten damals die elitenfreundlichen Reformen von Lenín Moreno.

Die ersten 100 Tage

Zum Amtsantritt präsentierte sich Noboa frisch und unabhängig. Er bildete ein Kabinett der Gleichen: Mit wenigen Ausnahmen besitzen die Minister*innen Unternehmen, kommen aus Unternehmernetzwerken, sind Direktor*innen, Vorsitzende oder Geschäftsführer*innen von Unternehmen, sie sind Mitglieder oder Sprecher*innen von Unternehmensgruppen mit großem Einfluss wie die Handelskammern, die Ecuadorianische Föderation der Exportunternehmen (FEDEXPOR) oder die Vereinigung der Bananenexporteure. Ein Großteil sind junge, gut ausgebildete Leute, Repräsentant*innen der Eliten. Viele sind der Familie Noboa treu ergeben.

Den Blick auf seine Wiederwahl gerichtet, versprach Noboa eine Regierung des Dialogs. Verschiedene Fraktionen von links bis rechts sicherten ihm ihre Unterstützung zu. Dahinter steht das Wissen, dass die Krise dringend aufgehalten werden muss. So schaffte es seine Regierung, ein Bündnis mit dem progressiven Movimiento Revolución Ciudadana3 und der Oligarchenpartei Partido Social Cristiano zu schmieden. Dadurch konnte die Regierung drei „dringende Gesetze“ erlassen.

Noboa reiste in die USA, wo er damit warb, Steuern zu senken, um ausländische Investitionen anzuziehen. Er traf sich mit der Entwicklungsagentur USAID und unterzeichnete mit der US-amerikanischen Regierung einen Vertrag, der Ecuador zum Truppenübungsplatz für das US-Militär macht.

Gerade einmal eine Woche nach Amtsantritt legte Daniel Noboa der Nationalversammlung im Eilverfahren einen Entwurf für ein Gesetz für „wirtschaftliche Effizienz und die Schaffung von Arbeitsplätzen“ vor. Es sieht vor, Großschuldnern Steuerschulden in Höhe von insgesamt etwa 1,35 Milliarden US-Dollar zu erlassen. Es darf darauf hingewiesen werden, dass das Bananenexportunternehmen Noboa der größte Schuldner auf dieser Liste ist. Außerdem soll das Gesetz den Weg freimachen für Freihandelszonen, in denen Exporte und Importe steuerfrei abgewickelt werden können. Hier sind Arbeitsverträge möglich, die noch prekärer wären als die aktuellen. Schließlich erlaubt das Gesetz Public Private Partnerships, privat-öffentliche Unternehmungen, die eine Privatisierung durch die Hintertür von staatlicher Infrastruktur und öffentlichen Dienstleistungen ermöglichen.

Weniger als zwei Monate nach Noboas Amtsantritt erreichte die Gewalt einen Höhepunkt. Bandenführer flohen aus dem Gefängnis, bewaffnete Gruppen griffen einen Fernsehsender an, es kam zu Schreckensszenen auf den Straßen. Noboa ordnete einen Ausnahmezustand an und erklärte anschließend, das Land befinde sich in einem „internen bewaffneten Konflikt“. Die Bandenmitglieder erklärte er zu Terroristen. Die Regierung nutzte die Aufregung und Angst der Bevölkerung aus, um einen gesellschaftlichen Konsens für eine Politik der harten Hand gegen die Gewalt zu schaffen. Die Europäische Union unterstützt diese Law-and-Order-Politik ohne Einschränkungen. Die Gewalt dient als Begründung für eine Reihe von Abkommen, die US-Militärs Immunität sichern.

Der Kriegsdiskurs rechtfertigt die Sparpolitik: die Erhöhung der Mehrwertsteuer, Haushaltskürzungen, eine Debatte darüber, Subventionen zu streichen. Der Krieg dient dazu, einen Konsens zu schaffen: alle zusammen gegen den Feind, „den Drogenhandel“. Jeglicher Kritik wird der Boden entzogen, indem gesagt wird, sie spiele den Banden in die Hände. Auf der Regierungsagenda steht außerdem ein Referendum über eine Verfassungsänderung. Die würde dazu führen, internationale Schiedsgerichte für ausländische Investitionen wieder zu erlauben (die es Unternehmen ermöglichen, den Staat zu verklagen, Anm. d. Red.) und den Arbeitsmarkt zu liberalisieren. Das sind zwei Punkte, die für die Eliten von besonderem Interesse sind.

Was jetzt?

Nach dem Regierungsreinfall von Guillermo Lasso stellen wir fest, wie gut die Eliten darin sind, sich und ihre gesellschaftliche Vormachtstellung neu zu erfinden. Trotz der neoliberalen Kehrtwende mit ihren Folgen für die Gesellschaft, trotz des Spiels mit der Angst und trotz der Schockpolitik genießt Daniel Noboa hohe Zustimmungswerte von 50 bis 80 Prozent. Für den Moment trifft seine Politik der harten Hand den Nerv der Bevölkerung. Gerne wird er mit dem salvadorianischen Präsidenten Bukele (siehe Artikel auf Seite 22) verglichen. Doch in der neoliberalen Orientierung seiner Politik liegen auch ihre Grenzen. Die Maßnahmen lösen die strukturellen Probleme nicht, die die Gewalt befeuern. Sie ändern nichts an der materiellen Lage der Menschen. Dass er den Universitäten Gelder gestrichen hat, bringt die Studierenden gegen ihn auf. Die Verfassungsänderung bringt die Arbeiter*innen gegen ihn auf. Die Schiedsgerichte und das Tourismusgesetz, das erlauben soll, Naturerbe zu privatisieren, bringen die Umweltbewegungen gegen ihn auf. Und die Debatte über die Streichung von Subventionen bringt die indigene Bewegung gegen ihn auf. Der Steuererlass für Reiche schürt in der Bevölkerung ein Bewusstsein für die Ungerechtigkeit. Auch die Angst vor Gewalt hat irgendwann eine Grenze erreicht.

Noboas neoliberale Politik (Privatisierungen, Prekarisierung, Intensivierung des Rohstoffexports, Beugung unter die Interessen der transnationalen Unternehmen, Ausverkauf der Natur) heißt im Klartext: Der Staat garantiert die Gewinne und verbessert die Position der Unternehmen im globalen Markt auf Kosten von Natur und lokaler Bevölkerung. Das Elitenprogramm bedroht die Grundprinzipien der Demokratie. Soziales Wohlergehen und Gerechtigkeit sind ihm egal.

Übersetzung: Mirjana Jandik

  • 1. Progressives politisches und sozioökonomisches Projekt, dessen Aushängeschild der ehemalige Präsident Rafael Correa (2007-2017) war. Die Zeit der Revolución Ciudadana fiel weitgehend mit dem Rohstoffboom zusammen, Einnahmen wurden durch soziale und Infrastrukturmaßnahmen umverteilt.
  • 2. Nachdem Guillermo Lasso 2023 des Amtes enthoben wurde, wurde sein Nachfolger nur für die verbleibende Zeit der regulären Amtsperiode gewählt, also bis 2025.
  • 3. Nachdem sich Alianza País, die Partei von Ex-Präsident Correa, gespalten hat, organisieren sich Correa und seine Anhänger*innen nun in der Partei Movimiento Revolución Ciudadana.

Stalin Herrera ist Soziologe und Koordinator des Instituts für Ecuadorianische Studien, Mitglied des Lenkungsausschusses des Lateinamerikanischen Rates für Sozialwissenschaften; er forscht zu sozialen Bewegungen und sozialen Transformationen.

Anahí Macaroff ist Anthropologin und promoviert in Soziologie und Gender Studies, Mitglied der Arbeitsgruppe „Wirtschaftseliten, Staat und Herrschaft“ der CLACSO.