Veröffentlicht auf ila (https://www.ila-web.de)

Startseite > 252

252

Kolumbien
Krieg gegen die soziale Bewegung

Schwerpunkt Tabs

Editorial

Die Krise im Verhandlungsprozess zwischen kolumbianischer Regierung und der Guerilla-Gruppe FARC Mitte Januar machte Kolumbien kurzfristig zum Thema in der deutschen Presse. So wurde über Staatspräsident Pastrana berichtet, der den Rebellen in großzügiger Manier ein Gebiet so groß wie die Schweiz überlassen habe, und wie dieses von einer Guerilla, die bisher keine konkreten Friedensangebote gemacht hat, missbraucht würde. Kaum wurde dabei erwähnt, dass auch die Regierung keine konkreten Taten in diesem Prozess vorzuweisen hat und dass die Friedenspolitik weiter eine Präsidenten-, aber keine eigentliche Staatspolitik ist. KritikerInnen meinen sogar, Präsident Andrés Pastrana habe die Friedenspolitik geschickt genutzt, um von seiner knallharten neoliberalen Wirtschafts- und Sozialpolitik abzulenken. Gerade die ist es, die den Frieden in Kolumbien in noch weitere Ferne rücken lässt.

Kolumbiens Bevölkerung erlebt eine wahre humanitäre Tragödie. Diese ist von zwei Aspekten bestimmt: den Auswirkungen des bewaffneten Konfliktes sowie der sich rapide verschlechternden sozialen Situation. Indikatoren dafür sind über zwei Millionen Binnenflüchtlinge, die der Krieg und mächtige Interessen an ihrem Land ihrer Heimat beraubt haben, eine Rekordarbeitslosigkeit von 16,8 Prozent und weitere 38 Prozent, die als unterbeschäftigt gelten. Hinter letzterem Begriff verbirgt sich die Tatsache, dass diese Leute mit ihrer Arbeit schlicht nicht genug verdienen, um überleben zu können. Das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts wurde 2001 auf 3,8 Prozent veranschlagt, erreichte schließlich aber nur 1,5 Prozent. Die Außenverschuldung beträgt mit knapp 39 Mrd. US-Dollar zwar nur ein Viertel der argentinischen (155 Mrd. US-$), repräsentiert mit 48 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aber soviel wie dort.

In der deutschen Presse wird viel über die Guerilla, selten über die Paramilitärs, fast nie – zumindest nicht differenziert – über die wirtschaftlichen und sozialen Hintergründe des bewaffneten Konfliktes berichtet, und erst recht nicht, dass die meisten Opfer nicht die bewaffneten KämpferInnen, sondern Zivilpersonen sind. Und eben gegen Letztere wird in Kolumbien in erster Linie – durchaus selektiv – vorgegangen. Trotz des ständigen Prozesses von Vereinzelung und physischer Eliminierung gibt es in Kolumbien immer noch soziale Bewegungen, die ihre Rechte verteidigen und sich gegen wirtschaftliche Ausbeutung, Entmündigung und das freie Schalten und Walten des Auslandskapitals, verquickt mit Oligarchieinteressen, wehren. In dieser ila werden Beispiele der Kämpfe dieser Organisationen – Gewerkschaften, Bauern-, Indígena- und Schwarzen-Organisationen – vorgestellt. Beispiele, die aufzeigen, mit welcher Kraft, Überzeugung und Engagement sie gesellschaftliche Forderungen einbringen, kollektive Rechte und Würde verteidigen und deshalb Opfer einer unbarmherzigen Strategie von individueller und kollektiver Zerstörung werden.

Neben dem eigentlichen Schwerpunkt dieser Ausgabe „Krieg gegen Zivilbevölkerung und soziale Bewegung in Kolumbien“ hat diese ila noch einen zweiten Schwerpunkt, den die aktuelle Entwicklung bestimmt hat: Argentinien. Ein US-amerikanischer, ein französischer und ein österreichischer Autor analysieren die ökonomischen Hintergründe der Krise und die Zwielichtigkeit des neuen peronistischen Führungspersonals. Unsere drei „ilas“ aus Buenos Aires, Esther Andradi, Carlos Flaskamp und Alicia Rivero berichten aus der und über die Wirklichkeit einer Stadt, die trotz der staatlichen Repression einfach „basta“ sagt, weil sie gestrichen die Nase voll hat.

P.S. Wie alljährlich wünschen wir auch für 2002 unseren LeserInnen viel frische Wut. Manchmal spüren wir sie schon: Das letzte Mal war uns das mit unserer Ausgabe „Kontinuitäten kolonialistischer Politik 1492-1992“ im Oktober 1991 „passiert“: Wir mussten Hefte nachdrucken! Das Rentendossier in der ila 251 [1] wurde dermaßen stark nachgefragt, dass wir eine zweite Auflage in Auftrag gegeben haben (Machmal macht ila-Arbeit richtig Spaß!). Sie ist inzwischen gedruckt und verarbeitet. Wer jetzt Veranstaltungen, Diskussionen oder Seminare über das vorbereitet, was die rotgrünen oder schwarzbraunen „Modernisierer“ künftig mit der Altersversorgung vorhaben, kann das Dossier zum Preis von 1,50 Euro (ab 10 Expl. 30 Prozent Rabatt) bei uns nachbestellen!

Inhaltsübersicht

Schwerpunkt

4  Realität und Worte
Kritische Lektüre der kolumbianischen Tragödie  / von Javier Giraldo SJ

7  Zivile Inseln
Landgemeinden im Widerstand  / von Christiane Schwarz

9  Wir werden uns nicht vor ihnen niederknien!
Interview mit Ana von der Gemeinde für Selbstbestimmung, Leben und Würde vom Cacarica-Fluss
/ von Bettina Reis

12  MenschenrechtsverteidigerInnen in Kolumbien
/ von amnesty Bonn

13  Kimy for President!
Interview: Der Urrá-Staudamm und seine Opfer  / von Bettina Reis

16  Meer aus Tränen
Weniger sichtbar und sexualisierter: Gewalt gegen Frauen im bewaffneten Konflikt
vom Arbeitstisch „Frau und bewaffneter Konflikt“

19  Widerstand gegen Sprüh-Terror
Kolumbiens Regierung hält sich nicht an Abmachungen mit der Bevölkerung  / von Stephan Suhner

21  „Freiwillige“ Deportationen
Kolumbianische Flüchtlinge in Panama  / von Laura Held

22  Grenzgänge
Flüchtlinge in den Nachbarländern  / von Laura Held

23  Krimineller Kreuzzug
Von mehreren Seiten bedroht: die Erdölgewerkschaft USO  / von Freddy Pulecio

24  Bundesregierung soll Friedensprozess in Kolumbien aktiv fördern
Hilfswerke kritisieren Militärhilfe der USA

25  Lehren, lernen, kämpfen
Interview mit Luis Fernando Giraldo, Vizepräsident der Erziehungsgewerkschaft des Cauca.
/ von Bettina Reis

Special zu Argentinien

28  Hinter der Globalisierung finden wir den Klassenkampf
Militärdiktatur und IWF legten die Grundlagen des heutigen Desasters  / von Michel Husson

31  Der IWF schlägt wieder zu
Wirtschaftsdebakel in Argentinien  / von Arthur MacEwan

34  Alter Wein in alten Schläuchen
Zweifelhaftes Personal will Argentinien aus der Krise führen  / von Eduard Fritsch

36  ... der Mörder ist immer der Gärtner ...
Chronik eines angekündigten Aufstands  / von Alicia Rivero

38  Lauf, Präsident, lauf!
Neubestimmung von Politik am Río de la Plata  / von Carlos Flaskamp

40  Aufgelesen: Heavy Metal
/ von Esther Andradi

41  Vernehmung eines Top-Managers
Ex-Mercedes-Produktionsleiter will nichts gewusst haben  / von Francisco Martínez

Berichte & Hintergründe

42  Von Teufeln und von armen Teufeln
Neue Eskalation im bolivianischen „Drogenkrieg“  / von Peter Strack

44  Es scheint verboten, miteinander zu reden
Notizen eines Projektbesuchs im Chapare  / von Gualberto Gonzales

46  Ich bin Aymara, du bist Bolivianer
Konzepte gegen den Rassismus in Bolivien: Interviews mit Álvaro García und mit Loyda Sánchez
/ von Andrea Schnieber

50  Die letzte Reise
Digna Ochoa und die campesinos ecologistas  / von Harald Ihmig

52  Zehn Jahre „Frieden“ in El Salvador 
Eine Bilanz  / von Dagoberto Gutiérrez

53  Schurkenstreiche – Luftkrieg und Beute
Der Afghanistan-Krieg und die Öl-Interessen  / von Helmut Reinicke

57  ¡Herzlichen Cumpleaños! [2]
Zum 85. Geburtstag von Ernesto Kroch  / von Gert Eisenbürger

Kulturszene

61  EthnoPolka und Zapatismo
Interview mit „Los de Abajo“  / von Thomas Schulz

66  Im Namen der Salomé
Buchbesprechung  / von Hans-Ulrich Dillmann

Ländernachrichten / Poonal

64  Chile, Argentinien, Brasilien


Quell-URL: https://www.ila-web.de/node/387

Links:
[1] https://www.ila-web.de/ausgaben/251
[2] https://www.ila-web.de/ausgaben/252/herzlichen-cumplea%C3%B1os