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El Salvador
Frieden schaffen ohne Waffen?

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Editorial

Die sandinistische Revolution in Nicaragua und der Aufschwung der Befreiungskämpfe in El Salvador und Guatemala rückten 1979/80 Mittelamerika in den Mittelpunkt der ila-Arbeit. Um die lokale Arbeit zu intensivieren, gründete sich 1980 aus der ila das Bonner Mittelamerika-Komitee. Im selben Jahr benannte die Revolutionäre Demokratische Front (FDR) El Salvadors ihren ersten offiziellen Vertreter in Bonn, der sich mehrere Monate ins Ein-Raum-Büro der ila mit hineinzwängen mußte, bis geeignete Räumlichkeiten für die FDR-Vertretung gefunden waren.

Es war eine aktivitätenreiche Zeit. Noch war der Rollback-Vertreter Reagan nicht im Amt, und gerade erst hatte in Nicaragua eine junge sozialrevolutionäre Bewegung gesiegt. Warum nicht auch in El Salvador ...?

Neben der lokalen Arbeit beteiligte sich die ila natürlich auch an den großen bundesweiten Aktionen der Solibewegung, wie der Besetzung des Kölner Doms 1980 und verschiedener Botschaften oder den beiden Großdemonstrationen in Frankfurt/M. 1981 und 1982 mit jeweils über 20.000 Menschen oder am „Kongreß gegen die US-Intervention in Zentralamerika“ 1982 in Münster.

Der Begeisterung über die Erfolge der Befreiungskräfte und erfolgreichen Soliaktionen bei uns standen die Nachrichten über grauenvolle Menschenrechtsverletzungen in El Salvador entgegen. Einige der Opfer kannten wir persönlich durch unsere Arbeit, etwa Marianela García Vilas, die Vorsitzende der salvadorianischen Menschenrechtskommission CPDH, Jürg Weis, Soliaktivist vom Zentralamerika-Sekretariat in Zürich, oder Ignacio Ellacuría, der Rektor der Zentralamerikanischen Universität (UCA). Ihr Tod ging uns besonders nahe. Mit Padre Ellacuría hatten wir nochim Oktober 89, drei Wochen vor seiner Ermordung, in der ila zusammengesessen. Er hatte uns damals seine Vorstellungen für eine politische Lösung des Konfliktes in El Salvador erläutert. Es waren Überlegungen, die dem heutigen Friedensabkommen sehr nahe kamen.

Aber auch der Mord an der FPL-Kommandantin Ana María durch ihre eigenen Genossen, der anschließende Selbstmord des legendären Comandante Marcial und die zögerliche Aufklärung durch die FPL Bzw. FMLN sorgten in der ila genauso wie in der übrigen Solibewegung für Trauer, aber auch Zorn, Unmut und Enttäuschung. Für einige war es der Anlaß, sich von der Soliarbeit zu verabschieden, nicht zuletzt auch, weil ein Sieg der salvadorianischen RevolutionärInnen in weite Ferne gerückt war.

Für Aufregung in der Solibewegung sorgte 1985 unser Schwerpunkt „No future in El Salvador?“. Die FMLN hatte einige Rückschläge hinnehmen müssen, die Massenbewegung in den Städten war geschwächt, die Christdemokraten mit Duarte hatten überzeugend die Wahlen gewonnen. Die FMLN konnte damals zunächst nicht angemessen politisch reagieren, und es schien, als ob die US-Strategie doch noch Erfolg haben könnte. Mit unserem provokativen Schwerpunkt wollten wir uns nicht von der Arbeit verabschieden, sondern die notwendige Diskussion in der erlahmenden Solibewegung in Gang bringen. Die Leserbriefe ließen nicht auf sich warten. Wir enteten viel Kritik und fühlten uns teilweise mißverstanden, denn unsere Solidarität mit dem salvadorianischen Befreiungsprojekt stand nie zur Disposition.

Zwei Jahre später, 1987, zog die ila in das Oscar Romero Haus, das nach dem von den Todesschwadronen ermordeten Erzbischof von San Salvador benannt ist und sich als Raum für Personen und Gruppen versteht, die im Geiste Oscar Romeros arbeiten. 1988 zog auch die Infostelle El Salvador in dieses Haus in Bonn. Seither hat sich die Zusammenarbeit intensiviert, da einige Leute sowohl in der ila als auch in der Infostellengruppe mitarbeiten.

Mit der Niederlegung der Waffen durch die FMLN beginnt eine neue Phase des Kampfes für soziale Gerechtigkeit in El Salvador. Ob es ein Anlaß zur Freude ist, bleibt auch bei uns – und in den Beiträgen dieser Nummer – umstritten. Nur die Zeit kann diese Frage beantworten. In Gedenken an die 70 000 Opfer werden wir auch weiterhin unseren bescheidenen Beitrag für El Salvador leisten.

Inhaltsübersicht

Schwerpunkt

4  Tommie Sue Montgomery
Revolution am Verhandlungstisch?
Politische Geschichte El Salvadors seit 1979

8  Ernesto Richter
„Ein Sieg wäre das schlimmste gewesen...“
Ist die FMLN zur Zusammenarbeit mit den bürgerlichen Modernisierern verurteilt?

12  Angela Reyes
Szenen eines Friedens
Stimmungsbericht aus den ersten Tagen der Nachkriegszeit

14  Eduard Fritsch
Der Kampf um die Agrarreform hat gerade erst begonnen

15  Erika Harzer / Gerd Hussmann
Demokratie muß erlernt werden
Interview mit der FMLN-Kommandantin Ana Guadelupe Martínez

17  Tommie Sue Montgomery
Den Hinterhof säubern
Zwölf Jahre US-Politik in und um El Salvador

23  Eduard Fritsch
Fortsetzung der „bewährten“ Programme
Die US-Hilfe nach dem Friedensabkommen

24  Wolfgang Seiß
BRD und El Salvador
Eine Chronologie

26  Jürgen Tönnesen
Der lange Weg nach Segundo Montes
Die große solidarische salvadorianische Flüchtlingsbewegung

30  Eduard Fritsch
Smarte „Enklave-Spezialisten“
Neoliberale Wirtschaftspolitik in El Salvador

34  Eduard Fritsch
Neuaufbau oder Wiederaufbau?
Der Wiederaufbauplan der Regierung und die Suche der Befreiungskräfte nach gangbaren Alternativen

38  Ralf Leonhard
Parteienlandschaft

40  Katharine Biesecke / Nicolasa
Den Umständen entsprechend
El Salvadors Frauenorganisationen zwischen Elendsbewältigung, Parteidisziplin und Autonomie

42  Héctor Lara
Carmen, la Colocha
Eine Erzählung aus Morazán

44  Ulf Baumgärtner / Dieter Drüssel
Verzeihen können nur die Opfer
Gespräch mit salvadorianischen MenschenrechtlerInnen über Straffreiheit und Vergangenheitsbewältigung

48  Tom Beier
Das war‘s noch lange nicht
Einige Vorschläge zur Fortsetzung der El Salvador-Solidarität

Berichte & Hintergründe

50  Henry Schmahlfeldt / Ralf Heinen
Abrüstung verordnet
Interview mit dem honduranischen Menschenrechtler Ramón Custodio

52  Roberto Frankenthal
Viel Rauch um nichts?
Menem und die argentinischen Nazi-Archive

54  Gaby Küppers / Wilfried Telkämper
Und es bewegt sich doch
Bericht einer Delegationsreise nach Cuba

58  Die „Lawine“ ist im Tal
Haiti: Die Aristide-Partei Lavalas zieht Bilanz

60  Jutta Bangel
Musikalischer Protest auf kreolisch
Mobilisierung der haitianischen Bevölkerung gegen das Regime per Radio

62  Bettina Reis
Den Kampf auf anderen Ebenen fortsetzen
Interview mit Pablo Tattay von der ehemaligen indianischen Guerilla „Quintin Lame“

Ländernachrichten

64  Chile, Costa Rica, Cuba-USA, Peru

Lebenswege

66  Gert Eisenbürger
Der rassisch Verfolgte hielt sich für minderwertig [1]
Interview mit dem österreichisch-argentinischen Arzt und Schriftsteller Alfredo Bauer

69  Ralf Heinen
110 Jahre Verein „Vorwärts“ in Buenos Aires

70  Alfredo Bauer
Bilanz eines Arztes [2]
Eine Erzählung

Solidaritätsbewegung

73  Michael Friedrichs
Von der Bewegung zum Familientreff
Bundestreffen der Nicaragua-Gruppen in Berlin 21.- 23. 2. 92

75  Notizen aus der Bewegung

78  Zeitschriftenschau

79  Termine, Impressum


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Links:
[1] https://www.ila-web.de/ausgaben/154/der-rassisch-verfolgte-hielt-sich-f%C3%BCr-minderwertig
[2] https://www.ila-web.de/ausgaben/154/bilanz-eines-arztes