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Schwarze Kultur - Schwarzer Widerstand
1492-1992

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Editorial

Mit dem Schwerpunktthema dieses Heftes „Schwarze Kultur – Schwarzer Widerstand“ wollen wir auf eine wichtige historische und aktuelle Bewegung aufmerksam machen, die bei der Verarbeitung von 500 Jahren Kolonialismus und Widerstand meistens zu kurz kommt oder gar nicht vorkommt.

Es fällt nun aber dieses Unternehmen in eine Zeit, da fast niemand mehr von Klassenwidersprüchen spricht, jedeR aber gelernt hat, daß es patriarchalische Herrschaft gibt und selbst bei passiver Zeitungslektüre dieser Tage darauf kommen muß, daß der Rassismus, der mittlerweile alltäglich nachrichtenrelevante Opfer hat, ein Herrschaftsinstrument ist.

Wo also Herrschaft aufgrund des sozialen Status, der Hautfarbe, des Geschlechts, der Sprache, der Religion ausgeübt und entsprechend ausgebeutet wird, vermischen sich die Widersprüche und lassen uns nicht unverschont.

Deshalb kommt es auch unter Linken – die sich in Fragen der Klassenwidersprüche und des Imperialismus einig sein mögen – vor, daß es Latinos/as normalerweise in deutschen Soligruppen nicht lange aushalten, weil sie sich latent bevormundet fühlen, daß Frauen mit dem Rassismusvorwurf („Du willst nicht mit mir schlafen, weil ich schwarz bin.“) erpreßt werden oder daß eine abweichende Meinung zwischen EuropäerInnen und LateinamerikanerInnen mit dem Argument „Ihr seid Eurozentristen!“ totgeschlagen wird. Zurück bleiben Ratlosigkeit, schlechtes Gewissen und oft genug die Unfähigkeit zu einer normalen Kommunikation zwischen Latinos/as bzw. Schwarzen und Deutschen.

Da lohnt es sich mal, die Luft anzuhalten und sich auf den Kern rassistischer Herrschaft zu besinnen. Montesquieu, 1748: „Weil die Völker Europas diejenigen Amerikas ausgerottet haben, müssen sie die Afrikaner versklaven... Der Zucker wäre auch viel zu teuer, wenn man den Zuckerrohranbau nicht von Sklaven durchführen ließe.“ Die AfrikanerInnen wurden also nicht versklavt, weil sie schwarz sind, sondern weil SklavInnen gebraucht wurden. Von der Lohnsklaverei unterscheidet sich die Sklaverei dadurch, daß im ersten Fall der im übrigen „freie“ Staatsbürger bzw. die „freie “ Staatsbürgerin ihre Arbeitskraft als Ware verkaufen, während im zweiten Fall der ganze Mensch von Kopf bis Fuß Ware ist. Weshalb denn auch konsequenterweise die afrikanischen SklavInnen juristisch unter das Sachrecht fielen. Um den Menschen aber ganz und gar zum Ding zu machen, bedarf es nochmals einer besonderen Legimitation, weshalb es in der Blütezeit des europäischen Sklavenhandels denn auch ausschweifende Diskussionen darüber gab, ob die schwarzen Sklav/inn/en nicht eventuell doch eine sechzehntel oder zweiunddreißigstel Seele besäßen. Montesquieu, dortselbst: „Man kann unmöglich annehmen, daß diese Leute Menschen sind, denn sonst könnte man auf den Gedanken kommen, daß wir keine Christen sind.“

Im Gegensatz zu Vorurteilen und Mißtrauen, die gegenüber Fremden in beinahe jeder Kultur ebenso verbreitet sind wie das Gastrecht, ist der Rassismus ein Herrschaftsinstrument. Es mag erfolgreich an vorhandene oder mobilisierbare Vorurteile gebunden werden, aber es dient der Herrschaftsausübung, die ihrerseits ökonomische Hintergründe hat. Die totale Herrschaft aber bedarf der totalen Entmenschlichung, weshalb der Rassismus als System sich Legitimation zu schaffen sucht, indem er seine Opfer zu Un-Menschen macht. Ferner: das System von 1492 ist nicht einfach ein rassistisches, sondern es ist das Herrschafts- und Ausbeutungssystem der weißen Rassisten. Indem aber auch der radikalste Linke und die radikalste Feministin hierzulande nicht einfach aus ihrer Geschichte aussteigen können, müssen wir ständig auf der Hut sein vor rassistischen Denk- und Verhaltensweisen und daran arbeiten, diese zu überwinden.

Freilich: ob des aktiven Ausstiegs aus der eigenen rassistischen Strukturierung, der, so wie die Dinge liegen, eine Lebensaufgabe ist, sollten wir nicht vergessen anzukämpfen gegen die rassistische Politik unserer Regierenden, gegen die Schmutzkübel der intellektuellen und publizistischen Rassismus-Propheten, gegen die ausführenden Organe mit Baseball-Schlägern und Gummiknüppeln. Denn der Widerstand, ob schwarz, weiß, indigen oder Volx, fängt vor der eigenen Haustür an und endet nicht vor den Marmorstufen!

 

P.S. Das Titelbild dieser Ausgabe hat der afrobrasilianische Maler Ronaldo Martins gestaltet, wofür wir uns an dieser Stelle herzlich bedanken möchten.

P.S.S. Nach Redaktionsschluß dieser Nummer kehrten vier ila-MitarbeiterInnen aus Sevilla zurück, wo sie ZeugInnen bzw. Opfer des Polizeiterrors gegen die GegnerInnen der 500 Jahr-Feierlichkeiten und der Eröffnung der Weltausstellung „Expo 92“ wurden. Wir haben uns daraufhin kurzfristig entschlossen, den Drucktermin um einige Tage zu verschieben und den Umfang dieser Ausgabe zu erweitern (was wir uns eigentlich nicht leisten können), um noch einige aktuelle Beiträge über die Ereignisse in Sevilla mit aufnehmen zu können.

Inhaltsübersicht

Schwerpunkt

4  Claus F. Stolberg
Afrika in Amerika
Sklavenhandel und Plantagensklaverei in der Neuen Welt

8  Gaby Küppers
„Gutes“ und „böses“ Haar
Interview mit dem afrokubanischen Soziologen Osvaldo Cárdenas

12  Henning Sonnemann
Zucker: Not und Peitsche
Die Plantagenwirtschaft auf Jamaica

15  „Wir sind Bewohner der Karibik“
Interview mit Luc Reinette vom Mouvement Populaire pour la Guadéloupe Indépendante (MPG)

18  Wolfgang Gabbert
Creoles – die vergessenen Schwarzen von Nicaragua

21  Lioba Rossbach
Pazifische Entwicklung: Traum oder Trauma?
Schwarze Basisorganisationen in Kolumbien gegen Modernisierungsgehabe

24  Emperatriz Valencia
Flußleben – Frauenleben
Schwarze Frauen im pazifischen Regenwald Kolumbiens

27  Gaby Küppers
„Die Weißen wußten immer alles besser“
Interview mit der schwarzen Uruguayerin Vicentra Camusso

29  Inaldete Pinheiro
Nicht schwarz sondern zimtfarben
Ein Brief aus Brasilien

31  Alrich Nicolas
Zombies oder Freiheitsgeister?
Der Vaudou in Geschichte und Politik Haitis

34  Moema Parente Augel
Er heißt Jesus und ist Oxanguian
Im Candomblé verschmelzen afrikanische Religion und kultureller Widerstand

38  Moema Parente Augel
Poesia Negra
Ein Aspekt der afrobrasilianischen Dichtung

41  Albrecht Kiesel / Jan U. Krauthäuser
Alle Weißen sind Rassisten
Gespräch mit drei schwarzen Deutschen und drei EinwanderInnen

44  Wera Reusch / Robert Schumacher
Immer nur die anderen?
Rassismus in der Frauenbewegung und in der Linken?

Berichte & Hintergründe

46  Rainer Huhle
Der „Kaiser“ setzt aufs Militär
Nach Fujimoris Staatsstreich ist die politische Lage in Peru schwieriger denn je

48  Siegfried Pater
„Grünes Gewissen“ entlassen
Brasiliens Umweltminister José Lutzenberger zur Aufgabe gezwungen

50  Peter Grohmann
Venezuela: Wohin geht die Reise?
Drei Monate nach dem Putschversuch ist die Zukunft des Landes noch völlig offen

Lebenswege

54  Gert Eisenbürger
Theaterspielen als Überlebensmittel [1]
Exil in Mexico: Steffie Spira

57  Gert Eisenbürger
Gelebte Geschichte
Zwei Bücher von Steffie Spira

Solidaritätsbewegung

58  1992 hat sich demaskiert!
Brutales Vorgehen des spanischen Staates gegen KritikerInnen der 500 Jahr-Feierlichkeiten und der Expo 92

59  Ulf Baumgärtner / Gert Eisenbürger / Gaby Küppers
Ostern in Sevilla
Das offizielle Spektakel, der Polizeiterror und wir

61  „Willkür, Gewaltandrohung und Einschüchterung“
Die Ereignisse aus Sicht der in Richtung Deutschland abgeschobenen Gefangenen

63  Stefan Padberg
Anders reisen
Gedächtnisprotokoll meiner Gefangennahme, Inhaftierung und Abschiebung

66  Gastlichkeit statt Entwicklung
Buchbesprechung

67  Siegfried Pater
Die Einsamkeit der Dritten Welt
Buchbesprechung

68  Notizen aus der Bewegung

70  Termine

71  Zeitschriftenschau, Impressum

Titelbildentwurf: Ronaldo Martins


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