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Mate

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Editorial

Bereits in ihren frühen Chroniken berichteten die spanischen Konquistadoren über ein anregendes Getränk, welches die Ureinwohner zu sich nehmen würden. Gemeint waren die Blätter (Yerba) des Matestrauches, die mit heißem Wasser aufgebrüht wurden. Zwar wetterte die Kirche zunächst gegen den Aufguss, weil sie ihm – völlig zu Unrecht – eine aphrodisierende Wirkung unterstellte. Doch als der Kirchenbann nicht fruchtete, fand der Klerus es nützlicher, den Matehandel zu besteuern und sich so eine weitere Einnahmequelle zu sichern. Die findigsten waren die Jesuiten, die ab dem 17. Jahrhundert in Teilen des heutigen Argentinien, Brasilien, Paraguay und Bolivien wirtschaftlich unabhängige Missionsgemeinden aufbauten, die als „Jesuitenstaat von Paraguay“ in die Geschichte eingingen. Ihnen gelang es, den Anbau von Mate zu kultivieren. Bis dahin waren nur die Blätter der wild wachsenden Bäume gesammelt worden. Da die spanische Krone den Jesuiten das Handelsmonopol für die Yerba Mate einräumte, entwickelten sich ihr Anbau und ihre Vermarktung zu einer der ökonomischen Säulen des jesuitischen Missionsprojektes in Lateinamerika. Mate wurde sogar kurzfristig als „Jesuiten-Tee“ nach Europa exportiert, konnte sich dort aber nicht durchsetzen. Nicht abschließend geklärt ist, ob dafür der bittere Geschmack des Mateaufgusses verantwortlich war oder eine engagierte Lobbyarbeit der Niederländischen und der Britischen Ostindischen Gesellschaften, die ihrem wichtigsten Handelsgut, dem schwarzen Tee, keine Konkurrenz angedeihen lassen wollten.

Im 18. Jahrhundert eigneten sich nach der Vertreibung der Jesuiten aus dem heutigen Paraguay spanische und portugiesische Großgrundbesitzer deren Ländereien an. Viele der zuvor von den indigenen Bewohner*innen der Jesuitenreduktionen (der Missionsdörfer) bearbeiteten Plantagen verödeten, ein Teil der lateinamerikanischen Märkte für Mate brach weg. Dort, wo die Nachfrage weiterhin bestand, vor allem im Cono Sur, den Regionen des südlichen Südamerika, wurde sie mit der nun extraktiven Ausbeutung der wild wachsenden Matebäume befriedigt. Im 19. Jahrhundert entstanden dann auch wieder neue Matepflanzungen.

Auch wenn der Mate nicht mehr nach Europa exportiert wurde, begannen die im 19. und frühen 20. Jahrhundert in großer Zahl nach Argentinien, Uruguay und Südbrasilien strömenden europäischen Migrant*innen Gefallen an dem anregenden Gebräu zu finden. So blieb Mate nicht nur bei den Bauern, Bäuerinnen und Gauchos (Viehhirten) in der Pampa beliebt, sondern mauserte sich auch in den großen Städten der Einwandererstaaten Argentinien und Uruguay sowie im Süden Brasiliens, bei den Mapuche und in Paraguay zu einem ungemein populären Getränk. Viele Argentinier*innen und noch weit mehr Uruguayer*innen betrachten es als integralen Teil ihrer Nationalkultur.

In den letzten zwei/drei Jahrzehnten fand der Mate aus Südamerika, der sich schon länger in einigen Regionen des Nahen Ostens großer Beliebtheit erfreut, doch noch den Weg in die Metropolen Europas und Nordamerikas. Bei uns wird er inzwischen in verschiedenen Formen konsumiert. Als hippe Limonade hat er mittlerweile seinen festen Platz im Kioskregal.

Grund genug, uns dem Mate einmal aus unterschiedlichen Perspektiven zu nähern. Im Vorfeld dieser Ausgabe wurden wir mehrfach überrascht gefragt, ob das Thema Mate denn genug Material für einen ganzen Schwerpunkt hergäbe und politisch interessant sei. Wir denken, nach der Lektüre der vorliegenden ila kann man diese Fragen wohl eindeutig mit „Ja“ beantworten.

Die aktuelle Ausgabe ist das letzte Heft des Jahrgangs 2017. Wie in jedem Jahr liegt der November- und Dezember-ila unser Brief mit der Bitte um Unterstützung bei. Wir freuen uns immer, wenn es darauf positive Reaktionen gibt, denn nur dann ist sichergestellt, dass die ila weiterhin erscheinen kann.

Bei uns ist jetzt erstmal Winterpause, im Januar erscheint traditionell keine ila, wir melden uns Mitte Februar mit der ila 412 zurück. Unseren Leser*innen wünschen wir einen angenehmen und entspannten Jahreswechsel.

Inhaltsübersicht

Schwerpunkt

4  Von den Guaraní zu den Gauchos [1]
Kleine Kulturgeschichte des Mate in Südamerika
von Robin Tunger

6  Das grüne Gold vom Paraná
Geschichte und ökonomische Bedeutung der Mateproduktion im Cono Sur
von Robin Tunger

7  Agrarkompetenz und fromme Mythen
Die Jesuiten und der Mate
von Karl-Ludolf Hübener

9  Die grünen Blätter und der große Krieg
Der Konflikt um die Yerba Mate als eine Ursache des Krieges der Triple Alianza gegen Paraguay
von Wolfgang Ecker

13  Von Misiones nach Montevideo
Begegnungen an Orten, wo Mate allgegenwärtig ist
von Karl-Ludolf Hübener

16  Bitter oder mit Zucker, heiß oder kalt
Die Geschmäcker sind in den Ländern des Cono Sur verschieden
von Gert Eisenbürger

17  Eine Perspektive für Hunderte Familien [2]
Interview mit Luiz Z. Gomes aus der Kooperative COPERMATE der Landlosenbewegung MST
von Gert Eisenbürger und Gaby Küppers

19  Die Matepflücker
Ein Roman des Argentiniers Alfredo Varela thematisiert Arbeitsbedingungen und ökologischen Raubbau am Alto Paraná in den zwanziger Jahren
von Gert Eisenbürger

21  Gleich praktisch und doch verschieden
Kalebassen in Mittelamerika und im Cono Sur
von Eduard Fritsch

23  Die unverzichtbaren Utensilien für den Matekonsum
von Gert Eisenbürger

24  Ein Name als historischer Bezug
Die Zeitung „Mate Amargo“ der MLN-Tupamaros in Uruguay
von Wolfgang Ecker und Barbara Kwapkowski

25 Von Sekt-Bronte zum Club-Mate-Hype
Mate-Limonade wird in Deutschland immer beliebter
von Alix Arnold

26  Alles über meinen Mate [3]
Der Film „Todo sobre mi mate“ gibt unterhaltsame Einblicke in das beliebteste Genussmittel der Uruguayer*innen
von Britt Weyde

Berichte & Hintergründe

28  Frente Amplio etabliert sich als aufstrebende dritte Kraft
Überraschung bei den Präsidentschafts-/Parlamentswahlen in Chile
von Ingrid Wehr

31  Teure Rente
Brasilien: Rendite auf Kosten von Menschenrechten und Umwelt
von Nina Bünger

33  Die Landoffensive
Agrobusiness versus Agroökologie in Brasilien – ein Reisebericht
von Gaby Küppers

36  Brasilien: Wie der Hunger zurückkehrt [4]
von Gaby Küppers

37  Nur als Mutter bist du heilig
Evangelikale in Brasilien: Fundamentalisten machen Frauenpolitik
von Anna Schlidt

39  Wir wollen das Gesetz 180 zurück!
Boliviens Präsident Morales macht ernst: Neue Konflikte beim Straßenbau durch den TIPNIS
von Britt Weyde

42  Friedensprozess auf der Kippe?
Interview mit Gustavo Gallón Giraldo, Direktor der kolumbianischen Juristenkommission
von Knut Henkel

44  Der Hurrikan Maria traf ein faktisch bankrottes Land
Interview mit Victor R. Castro über eine Naturkatastrophe und deren Folgen in Puerto Rico
von Gert Eisenbürger und Maria Sagué

47  Ein bolivianischer Schindler war er nicht [5]
Mauricio Hochschild und die jüdische Immigration in Bolivien
von León E. Bieber

Kulturszene

49  Kultur ist kein Privileg für Wohlhabende
Chile: Zum 13. Mal fand das Encuentro de Teatro Achupallas Cerros de Cultura in Viña del Mar statt
von Sarah Moldenhauer

51  Eine Stimme Lateinamerikas ist verstummt [6]
Abschied von Daniel Viglietti (1939 - 2017)
von Gert Eisenbürger

52  Kleine Geschichten, große Dramen [7]
Die Erzählungen der Kolumbianerin Esther Fleisacher
von Gert Eisenbürger

Solidaritätsbewegung

53  Machtkritisch und fehlerfreundlich [8]
Bildungsmaterialien „Fokuscafé Lateinamerika“ ab Januar 2018 wieder erhältlich
von Britt Weyde

54  Notizen aus der Bewegung, Impressum

Titelfoto: Wolfgang Ecker, Teil eines Wandbildes in Montevideo


Quell-URL: https://www.ila-web.de/node/6956

Links:
[1] https://www.ila-web.de/ausgaben/411/von-den-guaran%C3%AD-zu-den-gauchos
[2] https://www.ila-web.de/ausgaben/411/eine-perspektive-f%C3%BCr-hunderte-familien
[3] https://www.ila-web.de/ausgaben/411/alles-%C3%BCber-meinen-mate
[4] https://www.ila-web.de/ausgaben/411/wie-der-hunger-zur%C3%BCckkehrt
[5] https://www.ila-web.de/ausgaben/411/ein-bolivianischer-schindler-war-er-nicht
[6] https://www.ila-web.de/ausgaben/411/eine-stimme-lateinamerikas-ist-verstummt
[7] https://www.ila-web.de/ausgaben/411/kleine-geschichten-gro%C3%9Fe-dramen
[8] https://www.ila-web.de/ausgaben/411/machtkritisch-und-fehlerfreundlich