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Rap latino

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Editorial

Der gute alte Hiphop, nun ist er schon über 40 Jahre alt, aber von Midlife Crisis keine Spur. Im Gegenteil, er ist dominante Gegenwartskultur, er ist Pop, er ist ein Riesengeschäft.

Vor gut 15 Jahren veröffentlichten wir unseren Schwerpunkt „Hip Hop in Lateinamerika“ (ila 246 [1]). Höchste Zeit für ein Update also. Aber zunächst eine Begriffsklärung, damit wir uns nicht missverstehen: Rap und Hiphop werden gewöhnlich synonym verwendet, was nicht ganz korrekt ist. Hiphop ist die umfassende Kultur, die auch andere Ausdrucksformen enthält – den Breakdance der B-Boys, das Writing der Graffiti-KünstlerInnen, die Musikproduktion der DJs an den Turntables oder den Beatboxer mit dem Mund –, während Rap der „Sprechgesang“ über die instrumentale Grundlage, das „Instrumental“ ist (bei Freestyle-Battles, den Wettbewerben unter Rappern, kann allerdings auch ohne Instrumentals gebattlet werden). Wenn wir über Rap schreiben, ist also meist die Hiphop-Kultur mitgedacht.

Das gängige Bild von Rap – in den USA und auch in Deutschland – ist geprägt vom Klischee der machistischen, sexistischen und homophoben Gangster-Rapper. Dies trifft auch auf die kommerziell erfolgreichen Rap-Acts aus der Latino-Diaspora in den USA oder aus Mexiko zu. Aber es gibt auch die anderen, die dissidenten, kritischen, emanzipatorischen Rap-Stimmen aus Lateinamerika. Schließlich hat Rap auch lateinamerikanische Wurzeln: Zu den Pionieren des Hiphop Mitte der 70er-Jahre in New York gehörten Latino-Musiker. Und Rap ist ein musikalisches Genre, das in den letzten zwei Dekaden in ganz Lateinamerika heimisch geworden ist.

Rap ist auch – jenseits von kommerziellen Erfolgen – immer noch DAS Ausdrucksmedium der an den Rand gedrängten Menschen. Rap steht für eine Subkultur, die nach wie vor attraktiv für junge Leute ist. Rap hilft bei der Identitätsfindung und der Selbstermächtigung. Für jede „Minderheit“ haben sich Rap-Nischen entwickelt: indigener Rap, Afrolatino-Rap, feministischer oder queerer Rap. Es gibt also zuhauf politische Diskurse im Rap made in Lateinamerika zu entdecken: Da wird Geschichtsaufarbeitung betrieben, es wird über HeteroSexismus, Rassismus, Gewaltverherrlichung, Ressourcenausbeutung reflektiert und Kapitalismuskritik geübt. Viele kulturelle Debatten – Fragen zu Identität, Gender, Empowerment, zu gewollter und fragwürdiger Aneignung – werden in Raptexten und bei Auftritten aufgegriffen. Das Panorama der aktuellen lateinamerikanischen Rap-InterpretInnen, die erklärtermaßen eine gesellschaftskritische Agenda vertreten, spiegelt die aktuellen Auseinandersetzungen in einer in vielerlei Hinsicht ungleichen Welt wider.

Auch musikalisch gibt es Ausdifferenzierungen, Rap ist in viele Richtungen anschlussfähig. Die Hürden, einen Rap-Song zu produzieren und an die Öffentlichkeit zu bringen, werden immer niedriger: Ein mit dem Smartphone aufgenommenes Home-made-Video kann auf Facebook und YouTube hochgeladen werden und mit viel Glück geht es viral, verbreitet sich also in Windeseile in den Algorithmen des WWW. Rap im Jahr 2016 ist zum einen zutiefst global. Seine InterpretInnen bedienen sich überall auf der Welt der gleichen technischen Hilfsmittel und der sozialen Netzwerke, wodurch sich neue Möglichkeiten zur Zusammenarbeit und Vernetzung ergeben. Zum anderen sind sie häufig lokal verwurzelt. Die ursprünglich urbane Subkultur ist heute überall anzutreffen, auch in schwer zugänglichen ländlichen Regionen.

Wir haben uns auf die Suche begeben, um die spannende Gegenwart des lateinamerikanischen Rap zu untersuchen. Ohne es konkret geplant zu haben, sind dabei eine Menge Porträts und Interviews weiblicher Rap-Acts zustande gekommen, was an der Zusammensetzung der Arbeitsgruppe zum Schwerpunkt liegen mag, vielleicht aber auch an einem Phänomen, das Rapperin Taiga 13 so ausdrückt: „Insgesamt habe ich das Gefühl, dass es in Lateinamerika mehr Rapperinnen gibt und sie auch mehr akzeptiert werden. (…) Meine persönliche Erfahrung ist, dass hier in Deutschland die Männer stärker versuchen, das Terrain zu schützen.“

Mit dieser Ausgabe verabschieden wir uns in die Winterpause, die nächste ila erscheint Anfang Februar. Wir wünschen allen unseren LeserInnen eine gechillte Zeit! 

1976 - 2017. Wir bleiben realistisch und versuchen auch im neuen Jahr das Unmögliche [2].
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Inhaltsübersicht

Schwerpunkt

  4    Trap aus Lateinamerika
Elektronische Synthesizer und Schlagzeug haben die Ästhetik im Hiphop verändert
von Fred Caselitz

  6    Die Szene explodiert
Gute Zeiten für Rap in Argentinien
von Manuel Cullen

  9    Urbane Heldengeschichten
Das Hiphop-Urgestein La Teja Pride aus Montevideo
von Carlos Ramos

10    Soundtrack zur Emanzipation
Interview mit der chilenischen Rapperin Ana Tijoux
von Alix Arnold

12    Unsere Mütter sind Kriegerinnen
Pearls Negras: Die schwarzen Badass-Rapperinnen aus der schicken Favela
von Caren Miesenberger

15    Ein Hoch auf die bärtigen Dicken! [3]
Las Krudas Cubensi – ein Porträt
von Britt Weyde

18    Mein Feminismus ist durch Aktivismus geprägt
Sie hat viel zu sagen: Rebeca Lane, Rap-Vorbild aus Guatemala
von Kathrin Zeiske

21    Wenn meine Nachbarinnen verschwinden, kann ich nicht über Wüstenblumen rappen
Ein Porträt der Batallones Femeninos aus Ciudad Juárez
von Kathrin Zeiske

23    Zu Hause in Mexiko und München [4]
Im Gespräch mit Taiga Trece
von Jen Wörz

25    Banditenreime
Von den Narcocorridos zum Narcorap
von Enrique Flores

29    Abrahams Erben
Indigene Identität in kosmopolitischem Gewand im Rap aus El Alto und La Paz
von Peter Strack

31    Unsere besten Fehler
Bolivien:  Yogui Trece aus Santa Cruz versucht den Spagat zwischen Kritik und Affirmation
von Peter Strack

33    Der kämpferische Archivar aus Santiago de Chile
Interview mit Waikil, Rapper und Mitglied der Mapuche-Band Wechekeche Ñi Trawün
von Alina Rodenkirchen

35    Die Rückeroberung des öffentlichen Raumes
Interview mit dem Rapper Niko RST aus Cali (Kolumbien)
von Evelyn Schreiber

37    Rapfan’s Delight [5]
Rezension: Rap im 21. Jahrhundert. Eine (Sub-)Kultur im Wandel
von Britt Weyde

39    Unsere Playlist Latino-Rap [6]
Das virtuelle Mixtape aus zweieinhalb Jahrzehnten
von Alix, Fred und Britt

Berichte & Hintergründe

40    Nicaragua, immer weiter so?
Ein Land zwischen Revolution und autoritärer Familiendynastie
von Celia Schmidt

42    Avocado oder Wasser
Der Anbau der Boomfrucht zerstört in Chile eine ganze Region
von Gaby Küppers

44    Le gang salvadoregne
Salvadorianische Maras in Mailand
von Roberto Valencia

48    Die Erinnerung kann eine große Last sein
Portrait von Mariana Eva Pérez, deren Eltern während der argentinischen Diktatur „verschwunden“ sind
von Sandra Schmidt

Kulturszene

51    Manche glauben noch an den Weihnachtsmann
Interview mit dem argentinischen Schriftsteller Martín Kohan über Argentinien in der Ära Macri
von Sandra Schmidt

54    Integration durch Musik
Interview mit der deutsch-kolumbianischen Musikpädagogin Patricia Renz
von Mauricio Isaza-Camacho

57    Die letzten Tage des Comandante [7]
Ein Roman des venezolanischen Schriftstellers Alberto Barrera Tyszka über Chávez
von Ute Evers

58    Angekommen und doch nicht gerettet [8]
Zwei Bücher über Menschen, für die das Exil in Brasilien tödlich endete
von Gert Eisenbürger

Solidaritätsbewegung

60    Viel mehr als ein Reiseführer [9]
Ralf Leonhards Zentralamerikabuch bietet kompetente Einblicke
von Helmut Schaaf

61    Schutzmechanismen verstärken
Runder Tisch Zentralamerika in Hofgeismar
von Ina Hilse
62    Notizen aus der Bewegung
63    Impressum

Titel: Rotmi Enciso


Quell-URL: https://www.ila-web.de/node/5892

Links:
[1] https://www.ila-web.de/ausgaben/246
[2] https://www.ila-web.de/notizen/40-jahre-und-24-000-000-w%C3%B6rter-sp%C3%A4ter-wir-bleiben-realistisch-und-versuchen-das-unm%C3%B6gliche
[3] https://www.ila-web.de/ausgaben/401/ein-hoch-auf-die-b%C3%A4rtigen-dicken
[4] https://www.ila-web.de/ausgaben/401/zu-hause-in-mexiko-und-m%C3%BCnchen
[5] https://www.ila-web.de/ausgaben/401/rapfan%E2%80%99s-delight
[6] https://www.ila-web.de/ausgaben/401/unsere-playlist-latino-rap
[7] https://www.ila-web.de/ausgaben/401/die-letzten-tage-des-comandante
[8] https://www.ila-web.de/ausgaben/401/angekommen-und-doch-nicht-gerettet
[9] https://www.ila-web.de/ausgaben/401/viel-mehr-als-ein-reisef%C3%BChrer