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Biodiversität
Wa(h)re Vielfalt

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Editorial

Bio ist in aller Munde – die Umsätze der Biobranche in Deutschland steigen jährlich um 15 Prozent. Ein Discounter setzt auf die Überzeugungskraft der Verdopplung und nennt das entsprechende Lebensmittelsortiment BioBio. Den meisten VerbraucherInnen geht es aber gar nicht so um die Umwelt, sondern um ihre Gesundheit, um Body-Perfektion und Lifestyle. „Bio“-Treibstoffe werden die Agrotreibstoffe genannt, die aus Zuckerrohr, Raps, Palmöl, Soja etc. hergestellt werden und die unser Klima sowie die Energieversorgung der Zukunft retten sollen. Mittlerweile haben mehrere Studien gezeigt, dass diese Treibstoffe mitnichten eine bessere CO2-Bilanz aufweisen und dass sie in den Anbauländern das vorherrschende monokulturelle Agrarexportmodell festigen. Die Expansion der landwirtschaftlich genutzten Fläche ist nur eine der negativen Konsequenzen dieses Anbaumodells. Jährlich werden sechs Millionen Hektar Wald vernichtet oder in Agrarflächen umgewandelt, worunter die Artenvielfalt und das Klima leiden.

Damit wären wir beim nächsten Bio-Wort, der Biodiversität. Im Mai 2008 werden in Bonn die 9. Vertragsstaatenkonferenz der Konvention über biologische Vielfalt (CBD) und das Treffen der Vertragsparteien des Cartagena-Protokolls zu Biosicherheit stattfinden. Um die Biodiversität ist es nicht gut bestellt: Zur Waldvernichtung kommt die Überfischung, die die weltweiten Fischbestände drastisch verringert. Die Rote Liste der bedrohten Arten nennt aktuell 16 306 Tier- und Pflanzenarten, die vom Aussterben bedroht sind. Der Verlust von Artenvielfalt, von Ökosystemen und genetischen Ressourcen bedroht gerade die BewohnerInnen ländlicher Regionen in Lateinamerika unmittelbar in ihrer Existenz. Vor 16 Jahren wurden die drei Ziele der Biodiversitätskonvention formuliert: Erhalt und nachhaltige Nutzung von biologischer Vielfalt sowie als drittes Ziel Zugangsrechte und gerechter Vorteilsausgleich – und das ist der Knackpunkt.

Bei unserem nächsten Bio-Wort, der Bioprospektion, handelt es sich um die Suche nach Rohstoffen, die für Landwirtschaft, Pharma- und Nahrungsmittelindustrie nützlich sind. Dabei wird auf das traditionelle Wissen indigener Gemeinden zurückgegriffen. Doch aus der so neutral klingenden Biosprospektion kann schnell Biopiraterie werden, vor allem wenn die betroffenen lokalen Gemeinden keine Kompensationszahlungen – eben jenen Vorteilsausgleich, wie in der CBD vorgesehen – bekommen. Dabei trägt Biopiraterie zur Kluft zwischen Nord und Süd bei: Die Ressourcen der an Biodiversität reichen Länder des Südens werden von Pharma- und Agroindustrie des Nordens ausgebeutet und kommerziell nutzbar gemacht.

Eine Gefahr für die Biodiversität ist auch die Gentechnik, die neutraler bezeichnet als „Biotechnologie“ daherkommt. Gentechnisch modifizierte Organismen (GMO) sind ebenfalls Gegenstand des Cartagena-Protokolls zu Biosicherheit, welches den grenzüberschreitenden Verkehr eben jener GMO regelt. Weitere Themen auf der Biodiversitätskonferenz lesen sich wie aus einem Gruselfilm: Da wird es um gentechnisch manipulierte Bäume, um Terminator-Technologie und Zombie-Pflanzen gehen.

Amüsanter ist folgende Meldung: Der britische Guardian berichtete Mitte Februar von einer Lobbygruppe aus der biotechnischen Industrie, die sich beim britischen Umweltministerium darüber beschwerte, dass Testanbauflächen mit genetisch veränderten Organismen öffentlich bekannt gemacht werden müssen. Damit würde militanten GegnerInnen „carte blanche“ gegeben. Tatsächlich zerstörten Anti-Gentech-AktivistInnen das einzige Versuchsfeld, das es in Großbritannien letztes Jahr gab, komplett.

Das soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Gentech-Pflanzen weltweit auf dem Vormarsch sind. In den letzten zehn Jahren hat sich der Anbau von gentechnisch manipuliertem Getreide weltweit um das 70fache gesteigert. Mitte Februar hat in Brasilien die „Nationale Kommission für Biosicherheit“ (CNB) zwölf Sorten von gentechnisch verändertem Mais zur kommerziellen Nutzung frei gegeben – entgegen der Ratschläge vom Brasilianischen Umweltinstitut Ibama und der Nationalen Agentur für Nahrungsmittelüberwachung (Anvisa). Eine Verunreinigung der konventionellen Anpflanzungen ist nahezu unvermeidlich. Und genau darauf setzen auch die BefürworterInnen der Gentechnik. So bemerkte Biotechnikvertreter Don Westfall: „Die Industrie hofft, dass der Markt mit der Zeit so überflutet ist, dass du nichts mehr dagegen machen kannst. Du ergibst dich einfach.“ Stopp, so einfach geht das aber nicht.

Es gibt durchaus Initiativen, direkt betroffene LandarbeiterInnen und AktivistInnen, die sich gegen Gentechnik, Vereinnahmung von Wissen und Ausverkauf der Natur zur Wehr setzen. 
Ihre Positionen und Kämpfe werden in diesem ila-Dossier vorgestellt. Und es gibt eben jene VerbraucherInnen, die lieber „Bio“ als Genmanipuliertes verspeisen ...

Inhaltsübersicht

Dossier

2  COPMOP in Bonn
Hintergründe, Akteure und Schwerpunkte der Konferenzen zu Biodiversität und Biosicherheit
/ von Gregor Kaiser

4  Terminator oder Zombie?
Was passiert, wenn Saatgut patentiert und transformiert wird  / von Silvia Ribeiro

6  Schritte in die falsche Richtung [1]
Positive und negative Seiten der Konvention über biologische Vielfalt und ein anderer Ausblick
/ von Gregor Kaiser

9  Innen hui, außen pfui
Problematische Schutzzonen  / von ECO

10  Alles für alle
Zugang und gerechter Vorteilsausgleich  / von Mute Schimpf

12  Die feinen Unterschiede
Agroökologie versus ökologische Landwirtschaft  / von Miguel A. Altieri

15  Bittersüße Ernte
Die Ethanol-Hausse verwüstet Brasiliens Biodiversität  / von Norbert Suchanek

17  Noch mehr Gift
Unheilige Allianz zwischen Monsanto und Uribe-Regierung  / von Aurelio Suárez Montoya

18  Vielfältige Angriffe auf die Artenvielfalt 
Kolumbien: Biodiversitätstribunal richtet über Konzerne  / von Observatorio Colombia

20  Fehlende Überwachung als Standortvorteil [2]
Costa Rica: Die heimliche Kontamination in Mittelamerikas Urlaubsparadies  / von Ute Sprenger

22  Ein grüner Tukan im Korridor
Über den Umgang mit Biodiversität in El Salvador  / von Anne Hild

24  Dreist und gesetzeswidrig
Mexiko: Gengefahr im Maiswunderland  / von Ana de Ita

26  Der Schatz der Anden
Ein Besuch im Internationalen Kartoffelzentrum in Lima  / von Hildegard Willer

29  Abschotten reicht nicht
Sojaanbau in Uruguay  / von Nausicaa Palomeque

32  Argentinien war bereit für dieses Experiment [3]
Interview mit Jorge Eduardo Rulli von der Grupo de Reflexión Rural (GRR) über das Sojamodell
/ von Britt Weyde

35  Das Umweltunglück: Soja in Südamerika
/ von Britt Weyde

Berichte & Hintergründe

4  Niemals geht man so ganz
Gedanken zum Rücktritt von Fidel Castro  / von Gert Eisenbürger

6  Wenn alles zur Ware wird [4]
Die Folgen des Privatisierungsmodells für Chiles Mapuche-Indígenas  / von Peter Strack

9  Staudamm gegen die Menschen
Beim geplanten Xalalá-Projekt in Guatemala drohen wieder Vertreibungen  / von Caro Köhli

11  Weiter im Visier von Kapital und Politik
Wie Chiapas „entwickelt“ werden soll  / von Luz Kerkeling

13  Heute werden sie kommen und uns alle umbringen! [5]
Interview mit Momo Bauer zur Menschenrechtslage in Chiapas  / von Luz Kerkeling

14  Viele Welten in der einen
Bericht über ein Praktikum in Guadalajara/Mexiko  / von Nina König

17  Die Revolution ist nicht mehr tabu [6]
In Grenada wird wieder über die Jahre 1979 bis 1983 diskutiert  / von Gert Eisenbürger

18  Abschaffung des Privatlebens [7]
Flüchtlinge in Deutschland: Leben in Lagern  / von Sigmar Walbrecht

Ländernachrichten / Poonal

20  Brasilien, Guatemala, El Salvador, Bolivien, Panama, Kolumbien

22  Notizen aus der Bewegung  Impressum


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Links:
[1] https://www.ila-web.de/ausgaben/313/schritte-in-die-falsche-richtung
[2] https://www.ila-web.de/ausgaben/313/fehlende-%C3%BCberwachung-als-standortvorteil
[3] https://www.ila-web.de/ausgaben/313/argentinien-war-bereit-f%C3%BCr-dieses-experiment
[4] https://www.ila-web.de/ausgaben/313/wenn-alles-zur-ware-wird
[5] https://www.ila-web.de/ausgaben/313/heute-werden-sie-kommen-und-uns-alle-umbringen
[6] https://www.ila-web.de/ausgaben/313/die-revolution-ist-nicht-mehr-tabu
[7] https://www.ila-web.de/ausgaben/313/abschaffung-des-privatlebens