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Türöffner, hoffentlich

Bettina Bremme macht mit ihrem neuen Band Lust auf lateinamerikanisches Kino
Gaby Küppers

Genau dieses Buch hatte gerade noch gefehlt. Jetzt ist es da. MOVIE-mientos II setzt da ein, wo der erste, im Jahre 2000 erschienene Band mit dem mehrdeutigen Namen notwendigerweise endete. Bettina Bremme, ausgewiesene Lateinamerikexpertin unter den FilmkritikerInnen, verfolgt in diesem zweiten Band Themen und Tendenzen des lateinamerikanischen Films im 21. Jahrhundert. Doch gibt es überhaupt so etwas wie den Film eines Kontinents, der weitaus größer ist als Europa, das seinerseits schon eine sehr diverse Filmlandschaft aufweist? Machen die im Untertitel zitierten „globalen Umbrüche“, internationale Ko-Produktionen und Produktionsbedingungen, ein internationalisiertes SchaupielerInnenset, ja, überhaupt die Tatsache, dass BewohnerInnen von, sagen wir, Buenos Aires und Berlin ein einander ähnlicheres Leben führen als die von Buenos Aires und einem Dorf in der argentinischen oder paraguayischen Provinz, die Idee von Gemeinsamkeit, von einer lateinamerikanischen Identität nicht schon im Ansatz zunichte?

Bettina Bremme stellt sich all diesen Fragen. Aber – dafür ist sie zu sehr versierte Journalistin – nicht abstrakt in Form einer akademischen Abhandlung, sondern illustriert anhand von Filmbeispielen. Kurz, wir gehen sozusagen mit ihr ins Kino und hören im Foyer zu, wie sie die Filme einordnet, querverweist, Verwandtschaften von Sujet und Filmtechnik aufdeckt und so unversehens, ohne Einführungskapitel oder separate Schlussfolgerungen, eine Art knappes Jahrzehnt Sozialgeschichte Lateinamerikas anhand seines Kinos entwickelt.

Nun sind LeserInnen bei Bettina Bremmes Arbeitsgebiet nicht unbedingt gleich im Bilde. Denn an welchen neueren lateinamerikanischen Film erinnert man sich überhaupt, angesichts der überaus eingeschränkten Programmauswahl in deutschen Kinosälen? – An keinen?? – Doch richtig, da gab es einen:
„Die Tagebücher des Che“, die waren auch in Multiplexsälen zu sehen. Bettina Bremme holt uns zu Beginn ihres Buches, wie es so schön heißt, dort ab, wo wir stehen. Die „Tagebücher“ als Aufhänger und Einstieg sind gut gewählt, sind sie doch symptomatisch in vielerlei Hinsicht. Der Film handelt von einem, der vom Revolutionär und Politiker zur Popikone wurde. Er beschreibt dessen persönlichen Aufbruch und eine Reise quer durch den Kontinent, wobei die verschiedensten sozialen Probleme eben dieses Kontinents gestreift und selbiger damit in seiner Vielfalt entdeckt, im Sinne von entdeckt, wird. „Die Tagebücher“ sind transamerikanisch im Personal vor und hinter der Kamera. Der Film wurde weltweit rezipiert und er stand am Anfang einer Welle von Che-Filmen, die ebenso multinational sind. Mithin wäre dieser Film ein Phänomen einer „globalisierten“ Industrie und Kultur, ohne jedoch abzuheben von der lateinamerikanischen Realität. Im Gegenteil, in ihm werden lateinamerikaweit wiederkehrende Themen wie Wirtschaftskrise, offene Gewalt und deren neuere Formen Jahre und Jahrzehnte nach den Diktaturen, Beziehungsleben und schließlich Migration/kulturelle Identität angerissen, die Bettina Bremme zu vier zentralen Themen des aktuellen lateinamerikanischen Films herauskristallisiert, ohne indessen zu sehr zu schematisieren. Damit steht das Gerüst des Buches. In den vier mit diesen Themen überschriebenen Kapiteln beleuchtet die Autorin gründlich und kenntnisreich, was sich bislang in diesem Jahrtausend im Filmgeschäft Lateinamerikas getan hat, im Spielfilm wie im sich mehr und mehr Spielfilmelemente aneignenden Dokumentarfilm, in den (fast immer unzureichenden) nationalen Filmpolitiken und den Tücken privaten Kultursponsorings wie bei Petrobras in Brasilien, in Vermarktung und Rezeption, sprich Festivals, Webportalen und Verleih, speziell auch in Deutschland.

Nun kann man das Buch auch anders benutzen. Etwa klassisch wie ein Lexikon, einen der beachtlichen 252 besprochenen Filmtitel im Register heraussuchen und vor dem nächsten Kinobesuch Standfotos dazu angucken und Inhaltsangaben und alles Wichtige zum Film lesen, einschließlich der immer bemerkenswerten Angaben zum „The Making of“ und den (bisweilen kontroversen) Kritiken. Oder man/frau ist AktivistIn und holt sich Inspirationen für eine zu organisierende Filmreihe zum Thema Fußball im Film, Männerbilder (siehe den Buchauszug „Ein Kuss mit Folgen“ in dieser ila, s. 27) oder – derzeit sehr zu empfehlen – den sehr originellen Umgang der ArgentinierInnen mit ihrem Finanzcrash 2001/2002, sozusagen präventiv, damit es hierzulande demnächst nicht mentalitätsentsprechend eher tieftraurig wird. Am spannendsten aber ist, wie gesagt, sich von Bettina Bremme an die Hand nehmen zu lassen und ihrem Streifzug zu folgen. Am Ende hat man eine Menge gelernt. Aber was das Wichtigste ist: Das Buch macht Lust, sich die Filme samt und sonders anzusehen. Dass der Goldene Bär in diesem Jahr wieder an einen peruanischen Film ging („La teta asustada“ von Claudia Llosa) lässt hoffen, dass es nicht bei den 0,14 Prozent EU-weitem Marktanteil von Kinokarten für lateinamerikanische Filme zur Jahrtausendwende bleibt. Und dass demnächst ein MOVIE-mientos III unvermeidlich ist.

Bettina Bremme: Movie-mentos II – Der lateinamerikanische Film in den Zeiten globaler Umbrüche, Schmetterling-Verlag Stuttgart 2008, 152 Seiten, 24,80 Euro