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Neue Männer braucht das Land!

Monika Krause-Fuchs berichtet über ihre Erfahrungen in Cuba

Sie war in den achtziger Jahren in Cuba eine Institution, die 1942 in Mecklenburg geborene Monika Krause-Fuchs. Als Leiterin des Nationalen Zentrums für Sexualerziehung initiierte sie große Aufklärungskampagnen, beantwortete im Radio Fragen zu sexuellen Problemen oder sprach im Fernsehen über Verhütungsmethoden. Letzteres brachte ihr den Spitznamen „La Reina del condón“ (Die Königin des Kondoms) ein. Unter dem Titel „Machismo ist noch lange nicht tot“ hat sie nun ein Buch über ihre sexualpädagogische Arbeit auf Cuba vorgelegt. Bei der Lektüre wird deutlich, dass die Überwindung sexistischer Herrschaftsstrukturen auch in einer Revolution ein unendlich mühsamer Prozess ist.

Gert Eisenbürger

Du entwischt mir nicht, du Biest. Du kriegst deine Strafe. Das hast du davon. Von wegen den Weibern Flöhe in die Ohren setzen, von wegen denen zu sagen, dass sie sexuelle Bedürfnisse haben, dass die Männer Scharlatane sind. Du hast die Schuld, dass es so viele Scheidungen gibt, dass die Weiber Ansprüche stellen, dass sie jetzt auf einmal was haben wollen, von dessen Existenz sie nicht einmal wussten, bevor du ihnen solche Schundbücher wie dieses hier präsentiert hast. Du bist eine Verbrecherin. Du gehörst in den Knast!“ (S. 98f.) Diese Drohungen eines Cubaners, der eines Tages wutentbrannt in ihr Büro in Havanna stürmte, waren nicht gerade an der Tagesordnung, zeigen aber recht drastisch, dass sich Monika Krause-Fuchs mit ihrer sexualpädagogischen Arbeit in Cuba nicht nur Freunde machte.

Frau Krause kam 1961 zusammen mit ihrem Mann nach Cuba. Nach dem Studium und zweifacher Babypause begann sie 1970 bei der Nationalen Frauenföderation FMC zu arbeiten. Zunächst als Übersetzerin, später als Verantwortliche für die Europabeziehungen der FMC. Durch ihre Arbeit in der Frauenorganisation wurde ihr klar, dass die nach der Revolution gesetzlich festgeschriebene Gleichstellung von Männern und Frauen noch längst nicht erreicht war. Zwar nahmen immer mehr Frauen eine Erwerbsarbeit an und erreichten dadurch eine gewisse ökonomische Unabhängigkeit, doch im reproduktiven Bereich existierten weiterhin die alten Verhaltensmuster: Haushalt und Kindererziehung blieben Frauensache. Bei der Sexualität waren weiterhin die Bedürfnisse der Männer maßgeblich, Frauen hatten ihnen zu Diensten zu sein. Dazu kam jene für Lateinamerika typischen Macho-Traditionen, dass Männer selbstverständlich Sexualbeziehungen mit anderen Partnerinnen pflegten, von ihren Frauen aber absolute Treue erwarteten. Ihren Söhnen schärften sie ein, dass sie, um richtige Männer zu werden, möglichst viele Mädels rumkriegen müssten.

Die Revolution hatte zu einer grundlegenden Umgestaltung des Bildungswesens auf Cuba geführt. Kernpunkt des neuen Schulwesens waren die Internatsschulen, die in den siebziger Jahren bereits von der Hälfte der SekundarschülerInnen besucht wurden. Abseits der Städte lebten dort Jugendliche beiderlei Geschlechts, besuchten den Unterricht, arbeiteten einige Stunden pro Woche in der zur Schule gehörenden Obstplantage und verbrachten auch ihre Freizeit im Internatskomplex. Ihre Familien besuchten sie nur an den Wochenenden und in den Ferien. Bei 12- bis 18jährigen Jugendliche ist naturgemäß die Sexualität ein zentrales Thema. Zunächst versuchten Erziehungsministerium und Schulleitungen dies dadurch zu „lösen“, dass sexuelle Beziehungen in den Internaten strikt untersagt waren. Bei Zuwiderhandlungen drohte Schulverweis. Wie man sich vorstellen kann, bewirkten solche Verbote nichts, die Internatsschulen wurden der Ort, wo die meisten Jugendlichen ihre ersten sexuellen Erfahrungen machten. Das wäre ja auch kein Problem, wenn die Jugendlichen vernünftig aufgeklärt wären, über Verhütung und Geschlechtskrankheiten Bescheid wüssten und Zugang zu Verhütungsmittel hätten. Dies war aber in den siebziger Jahren in Cubas Internatsschulen keineswegs der Fall, denn sexuellen Beziehungen waren ja untersagt. Und da nicht sein kann, was nicht sein darf, gab es auch keine Sexualerziehung. Die Folge war eine rasant ansteigende Zahl von Teenagerschwangerschaften. Das bedeutete dann meist, dass die schwangeren Mädchen von der Schule verwiesen wurden, während die jugendlichen Väter keine Probleme bekamen.

Die meisten schwangeren Mädchen ließen einen Abbruch vornehmen, was seit 1965 in Cuba legal und kostenlos möglich war. In ihrem Buch berichtet Monika Krause-Fuchs, dass die Freigabe des Schwangerschaftsabbruchs für Mädchen durchaus zweischneidig gewesen sei. Denn er habe den Druck erhöht, den Jungs nachzugeben, wenn diese einen „Liebesbeweis“ forderten. Die Angst vor einer Schwangerschaft hätten die Jungs häufig mit dem Hinweis abgetan, wenn „etwas passieren“ würde, könnte sie das Kind doch einfach wegmachen lassen. Die Möglichkeit des Abbruchs sei so an die Stelle von Verhütung getreten, ohne dass den Mädchen klar gewesen wäre, dass eine Abtreibung immer auch Risiken birgt. Als das Problem der Teenagerschwangerschaften auch von offizieller Seite nicht mehr zu ignorieren war, wurde auf Anregung der FMC-Vorsitzenden Vilma Espín, der Ehefrau Raúl Castros, 1977 eine Nationale Arbeitsgruppe für Sexualerziehung eingerichtet. Monika Krause-Fuchs wurde wegen ihrer guten Kontakte nach Europa mit deren Leitung beauftragt. Sie sollte die Sexualerziehungsprogramme der europäischen Länder auswerten und auf deren Grundlage mit der Kommission entsprechende Programme für Cuba ausarbeiten.

Nach ihren Recherchen in Europa befand Monika Krause-Fuchs in der Sexualerziehungspraxis Schwedens und der DDR viele Elemente, die für entsprechende Programme in Cuba nützlich sein konnten. Die Kommission erarbeitete entsprechende Konzepte, die Ausbildung und Fortbildung von MultiplikatorInnen und LehrerInnen, Publikationen von wissenschaftlichen Arbeiten für MedizinerInnen und populärwissenschaftlichen Sachbüchern für Jugendliche und Erwachsene, Aufklärungsfilme, Kampagnen für die Benutzung von Verhütungsmitteln und entsprechende Programme im Radio und Fernsehen, beinhaltete. Die ersten Schulungen für die Mitglieder der Kommission und wichtige MultiplikatorInnen hielt ein Sexualwissenschaftler aus der DDR, danach lagen die Programme in der Hand von CubanerInnen. 
Die Durchsetzung der Sexualerziehung in Cuba und die damit gemachten Erfahrungen bilden den Hauptteil des Buches „Machismo ist noch lange nicht tot“. Denn obwohl sie von höchster Stelle abgesegnet war, versuchten Funktionäre (teilweise auch Funktionärinnen) auf allen Ebenen, sie immer wieder zu torpedieren. Immer wieder wurde Monika Krause-Fuchs vorgeworfen, die Jugendlichen zu verderben und zu unmoralischen Handlungen anzustiften. Da weigert sich ein Spitzenfunktionär, die zugesagte Devisensumme für den Import von Verhütungsmitteln auszugeben, da verlangt der Chef für die Verteilung von Medikamenten des Gesundheitsministeriums, dass zehn Paletten importierter Kondome sofort aus seinem Lager entfernt werden („Mónica, das sind deine Kondome, ich verteile die nicht“), da verbietet ein Fernsehmensch, das Wort Kondom in einer Aufklärungssendung überhaupt zu benutzen. 

Vor allem die Proklamierung des Kondoms, das einzige von Männern zu benutzende Verhütungsmittel, brachte Cubas Herren der Schöpfung in Rage. So empörte sich der Vorsitzende des Kommunistischen Jugendverbandes UJC in einer Sitzung der Arbeitsgruppe für Sexualerziehung: „Ihr könnt Euch nicht vorstellen, was für eine unangenehme, groteske, ja unmoralische Show wir in diesem Zentrum mit ansehen mussten! Da hat doch irgendjemand ein großes Spruchband an die Wandzeitung geheftet, auf dem Reklame für das Kondom, ja, genau dieses ekelhafte Wort stand groß darauf, gemacht wurde. Dazu hatte man Karikaturen gezeichnet, die das Präservativ anpreisen und die Leute aufrufen, es zu benutzen. Ich war empört, und da sagte man mir doch, Mónica habe eine Palette Präservative geschickt mit der Anleitung, diese Art Propaganda zu machen. Ich frage Euch, gibt es Schlimmeres, gibt es Groteskeres (...), Entwürdigenderes, Unmoralischeres als diese furchtbare, als diese verletzende Propaganda? Ich habe angeordnet, die Wandzeitung sofort abzunehmen und sie erst wieder anzubringen, wenn diese Schande verschwunden ist.“ (S. 125f.) Doch trotz aller Widerstände und Störmanöver konnten Monika Krause-Fuchs und ihre MitstreiterInnen die Aufklärungsprogramme durchführen, teilweise in den Hauptsendezeiten von Fernsehen und Radio, was sonst nirgendwo in Lateinamerika denkbar war.

Konnte sich Monika Krause-Fuchs bei ihren Aufklärungsprogrammen der Unterstützung der mächtigen Vilma Espín sicher sein und damit den Widerstand mancher Funktionäre brechen, hatte sie bei einem anderen Thema keine Hilfe von oben. Als sie öffentlich über Homosexualität sprechen wollte, wurde ihr das untersagt, weil die Zeit dafür noch nicht reif sei. Wie in den meisten Ländern der Karibik waren auch in der cubanischen Bevölkerung homophobe Einstellungen weit verbreit, weitaus stärker als etwa in Südamerika. Selbst prominente RevolutionärInnen äußerten sich abfällig über Homosexuelle, konkret über schwule Männer. Weil sie durch ihre Radio- und Fernsehsendungen sehr bekannt war, wandten sich viele Leute mit sexuellen Problemen an Monika Krause-Fuchs. Darunter war auch Post von Homosexuellen, die verzweifelt baten, sie zu „heilen“, damit sie endlich ein normales Leben führen könnten und nicht dauernd diskriminiert und verspottet würden. Als eines Tages ein Redakteur der StudentInnenzeitung Alma Mater ein langes Interview mit Monika Krause-Fuchs führte, sprach er auch das Thema Homosexualität an. Trotz der Weisung über dieses Thema nicht öffentlich zu reden, beantwortete sie seine Fragen, stellte klar, dass Homosexualität etwas ganz normales sei, dass Schwule und Lesben selbstverständlich das Recht hätten, ihre Sexualität zu leben und dass ihrer Meinung nach Homosexuelle in Cuba diskriminiert würden. Überraschenderweise wurde das Interview publiziert. Zwar wurde sie wegen ihrer unautorisierten Äußerungen zurechtgewiesen, doch nun fand endlich eine öffentliche Diskussion über Homosexualität statt, die langsam zu einer grundlegenden Neuorientierung der cubanischen Politik gegenüber Schwulen, Lesben und Transsexuellen führte. Hatten internationale Organisationen die Diskriminierung von Schwulen und Lesben auf Cuba noch in den achtziger Jahren scharf kritisiert, räumen sie heute ein, dass sich die Situation entscheidend verbessert habe und Cuba heute zu den Ländern Lateinamerikas gehöre, wo Schwule und Lesben sicher leben können.

Das Buch „Machismo ist noch lange nicht tot“ ist eine sehr anregende Lektüre, weil Monika Krause-Fuchs sozusagen von innen berichtet, welche tradierten Vorstellungen über Sexualität und Partnerschaft in der cubanischen Gesellschaft existierten und wie versucht wurde, diese zu überwinden. Spannend sind nicht nur ihre Darstellung der Einzelschicksale von Menschen, die Beratung und Hilfe suchten, sondern auch ihre Beschreibung der Funktionsweise des Staats- und Parteiapparates und wie man damit umgehen musste, wenn man etwas erreichen wollte.

Monika Krause-Fuchs: Machismo ist noch lange nicht tot – Kuba: Sexualität im Umbruch, Projekte-Verlag Cornelius, Halle 2008, 240 Seiten, 13,50 Euro