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So darf das nicht weitergehen

Interview mit Lourdes Castro von Grupo Sur zum Stand des EU-Handelsabkommens mit Peru, Kolumbien und Ecuador

Die dritte Verhandlungsrunde zu einem so genannten Mehrparteien-Handelsabkommen zwischen der EU, Kolumbien, Peru und Ecuador fand in der ersten Maiwoche in Brüssel statt. Die verharmlosende Formulierung steht für ein Freihandelsabkommen, das nach dem Scheitern eines Assoziationsabkommens mit der gesamten Andengemeinschaft nur mehr die weitgehende Liberalisierung des Handels mit Waren und Dienstleistungen jenseits dessen, was die Welthandelsorganisation WTO ohnehin schon vorschreibt, zum Ziel hat. Bolivien ist aus den Verhandlungen mit gutem Grund ausgestiegen, Ecuador könnte folgen. Soziale Bewegungen und AktivistInnen zu Handelsfragen aus der EU und den Andenländern verfolgen die Entwicklungen äußerst kritisch. Die EU-Kommission versucht nach außen hin abzuwiegeln und hinter verschlossenen Türen ein Maximum durchzusetzen. Mit mäßigem Erfolg.

Gaby Küppers

Die letzte Verhandlungsrunde in Brüssel wurde von kritischen Parallelveranstaltungen begleitet, die du mit organisiert hast. Welche Bilanz ziehst du? 

Nun, einerseits sind wir zufrieden mit dem, was wir als soziale Organisationen auf die Beine gestellt haben. Wir hatten exzellente VertreterInnen von Organisationen aus den drei Ländern hier, es gab spannende inhaltliche und strategische Debatten. Andererseits aber sind wir außerordentlich irritiert, was Transparenz und Zugang zu Information von Seiten der UnterhändlerInnen angeht. Auch wenn es uns erst einmal begrüßenswert schien, dass es nach Abschluss der Verhandlungsrunde eine Informations- und Auswertungsrunde für die Zivilgesellschaft gab, war ich mir am Ende der Übung keineswegs sicher, ob es sich um einen Akt der Information oder der Desinformation gehandelt hatte. Die Aussagen über Entwicklungen und Ergebnisse blieben so vage, dass ich den Eindruck hatte, die Unterhändler wollten einfach nur ablenken von dem, was wirklich an Brisanz in den Verhandlungen steckt.

Gab es während der Verhandlungstage die Möglichkeit, ernsthaft Einblick in das Geschehen zu nehmen?

Zum einen liefen unsere eigenen Veranstaltungen zu den Themen „Welche Art von Abkommen wollen wir?“ und „Welche Gefahren bergen die aktuellen Verhandlungen?“, bei denen RednerInnen sprachen, die bereits Einblick in die eigentlich geheim gehaltenen Verhandlungsunterlagen hatten. Wir hatten auch bilaterale Kontakte zu Beamten des so genannten 133er Ausschusses des Rates, die diese Verhandlungen verfolgen, um sie mit den Einschätzungen und Befürchtungen der von uns eingeladenen VertreterInnen aus den Andenländern zu konfrontieren. Außerdem fanden „Nebenzimmergespräche“ statt, ein Mechanismus der Andenländer, die in örtlicher Nähe zu den Verhandlungsräumen jeden Abend ihre jeweiligen VertreterInnen der Zivilgesellschaft zum Verhandlungsstand informieren und konsultieren. Die EU lehnt diese Einrichtung der Andenländer rundweg ab. Im Vorfeld der Verhandlungen, als es noch um ein Assoziationsabkommen ging und Bolivien mit am Tisch saß, ließ die EU-Kommission sogar durchblicken, sie sei außerstande, bei den in Brüssel stattfindenden Runden geeignete Räume zur Verfügung zu stellen. So etwas sei in ihrem Verhandlungsschema nicht vorgesehen und folglich ließe sich auch keine Infrastruktur dafür auftreiben.

Wer sitzt in diesen „Nebenzimmern“?

Das kommt auf das Land an, aber im Wesentlichen Unternehmer und Wirtschaftsverbände. Doch die „Nebenzimmer“ sind offen, daher nehmen auch VertreterInnen sozialer Organisationen teil. Bei allen Schwächen oder auch Kritiken, die man bei der Anlage dieser Art von Verhandlungsbegleitung äußern kann, ist doch nicht von der Hand zu weisen, dass man dort noch relativ die meiste Information bekommt, jedenfalls mehr als das, was wir als europäische Organisationen von Seiten des Rates und der Kommission erfahren.

Was haben TeilnehmerInnen in diesen „Nebenzimmern“ konkret erfahren können?

Die BeobachterInnen von NRO waren besonders beeindruckt von der Art, wie die Konsultationen ablaufen. Es wird einem vieles klar, wenn man sieht, wie knallhart die UnterhändlerInnen von WirtschaftvertreterInnen in die Zange genommen werden, damit sie ihre spezifischen Interessen in den Verhandlungen durchsetzen.

Das macht die europäische Industrie mit der Kommission doch genauso.

Aber hinter verschlossenen Türen. Die Wirtschaftslobbies gehen bei der EU-Kommission ein und aus. Seitdem klar ist, dass das kontroverse Thema Bananen Teil der Agenda sein würde, machen etwa europäische Bananenimporteure permanent Druck, dass Konzessionen in ihrem Sinne ausfallen. Sie treffen sich bilateral direkt mit Handelskommissar Ashton und dem Kommissionspräsidenten Barroso und das hat Wirkung.

Bei den von uns organisierten Veranstaltungen gibt sich die EU-Kommission dagegen sehr zurückhaltend und zugeknöpft. Wenn aber die Unternehmer einladen, benimmt sich die EU-Kommission wie ein Befehlsempfänger. Kürzlich organisierte die europäische Handelskammer Eurocamara ein Treffen „der Zivilgesellschaft“ im Rahmen der laufenden Verhandlungsrunde zwischen der EU und den zentralamerikanischen Ländern in Brüssel. Für diese Konferenz warb die Kommission sogar auf ihrer eigenen Website. Unsere Parallelkonferenz indessen kam dort nicht vor, obwohl sie in den Räumen des Europäischen Parlaments stattfand.

Bedeutet das von dir genannte „Debriefing“ nach Abschluss der Verhandlungsrunde mit den Andenländern einen Strategiewechsel der Kommission gegenüber der „non-profit“- Zivilgesellschaft?

Das könnte man meinen. Aber dann hätte sie uns anders behandeln müssen. Im Saal saßen VertreterInnen von andinen Bauern- und Indígenabewegungen und andere AktivistInnen von dort, um zu hören, was die Chefunterhändler der EU und der drei Andenländer zu resümieren hatten. Wegen solcher Menschen hatte übrigens Bolivien, als es noch Verhandlungspartner war, darauf bestanden, dass die Verhandlungen zweisprachig ablaufen – anders als bei den Verhandlungen mit Zentralamerika, wo alles auf Englisch stattfindet, obwohl es dort nirgendwo Landessprache ist. Bei besagtem Debriefing nun ergreift der europäische Chefunterhändler, ein Deutscher, das Wort – und spricht englisch, trotz der fragenden Gesichter und obwohl er durchaus des Spanischen mächtig ist. Verdolmetschung hatte die Kommission nicht vorgesehen. Von wegen Transparenz und Information!

Wurden wenigstens irgendwelche Unterlagen verteilt?

Nein, nichts. Es gab weder eine Tagesordnung noch sonst eine inhaltliche Struktur. Jeder konnte verstehen, was er wollte oder eben konnte. Jeder der vier Chefunterhändler gab eine Zusammenfassung von maximal fünf Minuten, die in etwa folgenden Informationswert hatten: „Bei den Verhandlungen wurden gute Fortschritte erzielt, deswegen sind wir sehr zufrieden, auch wenn es in einigen Aspekten noch Schwierigkeiten gibt.“ Kein Wort darüber, worin diese Fortschritte und Schwierigkeiten bestehen. 

Dann folgten mehrere Fragerunden, zu deren Beantwortung die Fragen gebündelt wurden, eine bewährte Methode, um nicht genehme Themen unter den Tisch fallen zu lassen. Danach ein „Vielen Dank, dass Sie gekommen sind.“ Das war's.

In den vergangenen Monaten sind einige besonders problematische Verhandlungspunkte ans Licht gekommen. Gibt es da – trotz aller Schwierigkeiten bei der Informationsbeschaffung – Neuigkeiten?

Bei Patentschutz und intellektuellem Eigentum ging die EU-Kommission zunächst in ihren Forderungen über das hinaus, was im Freihandelsabkommen (FTA) zwischen den USA und Peru festgeschrieben ist. Jetzt schraubt sie wohl ihre Forderungen auf das Niveau dieses FTA zurück. Aber auch dieses Niveau beeinträchtigt den Zugang zu erschwinglichen Medikamenten erheblich. Zudem müsste etwa Ecuador, das kein FTA unterzeichnet hat, trotzdem solche harten Bestimmungen einführen. Der Alarm ist also noch längst nicht vorbei. Offenbar hat insbesondere Kolumbien bei der Rubrik intellektuelles Eigentum das Thema Biodiversität eingebracht, was höchst verdächtig ist.

Im positiven Sinne interessant dagegen sind Signale aus Ecuador, die einen zumindest partiellen Rückzug aus den Verhandlungen andeuten. Der Chefunterhändler hat Vorbehalte bei Themen angemeldet, die in Konflikt mit der neuen Verfassung des Landes stehen könnten. Die Ecuadorianer wollen erst noch Gutachten abwarten, inwieweit der Verhandlungsrahmen insbesondere im Hinblick auf intellektuelles Eigentum, Niederlassungsfreiheit bei Dienstleistungen, Wettbewerb und öffentliches Beschaffungswesen modifiziert werden muss. Wenn aber Ecuador hinter den Verhandlungsrhythmus zurückfällt, könnte es eng werden mit der Absicht, dieses Jahr zu einem Abschluss zu kommen. Die EU-Kommission bleibt indessen bei ihrer Behauptung, es gäbe am Ende nur einen für alle gleichen Text und Bolivien könne weiterhin, wenn es nur wolle, diesen mit unterzeichnen, was ziemlich absurd ist.

Ecuador ist somit das aktuelle Problem. Glaubst du nicht, dass dem Land hinter verschlossenen Türen Daumenschrauben angelegt werden?

Ecuador ist mit Sicherheit starkem Druck ausgesetzt. Die EU wird eine Karte ausspielen, die für Ecuador äußerst sensibel ist: Bananen. Mit Zugeständnissen beim Thema Bananen wird die EU Ecuador zu erpressen versuchen. Gleichzeitig will Peru die Verhandlungen so schnell wie möglich zum Abschluss bringen, um eine seiner zahlreichen FTA-Verhandlungen vom Hals zu haben. Bei Kolumbien kommt zum ökonomischen ein politisches Interesse hinzu: Ein Abschluss mit der EU soll das Land rehabilitieren und das wegen Menschenrechtsverletzungen eingefrorene FTA mit den USA enteisen.

Siehst du weiteren Sprengstoff für die kommenden Runden?

Ja. Die beiden nächsten Runden folgen dicht aufeinander, im Juni und Juli, viel zu schnell meines Erachtens, wo die Positionen in vielen Bereichen noch weit auseinander liegen. Über die genannten Themen hinaus hat die Arbeitsgruppe „Handel und nachhaltige Entwicklung“ besondere Probleme. Bananen wurden aus der vergangenen Runde ganz ausgeklammert, um Streit vorerst zu vermeiden. Marktzugang etwa für Zucker, für die Andenländer sehr interessant, ist überhaupt noch nicht diskutiert worden.

Abgeschlossen ist allein das Kapitel „Stärkung der Handelskapazitäten“, das macht uns Sorgen. Da laut Kommission bis 2013 alle Ressourcen in Länderstrategiepapieren festgelegt sind, müsste es zu Umwidmungen kommen. Das heißt, Entwicklungsgelder würden abgezogen für Maßnahmen zur Handelsförderung. 

Gibt es innerhalb der sozialen Organisationen nach der Runde schon Vorstellungen, wie sie weiter agieren?

Jede Region und jede Gruppe von Organisationen hat ihre eigenen Strategien. Aber es gibt inzwischen ein gemeinsames Ziel: Die Verhandlungen in ihrer jetzigen Form müssen gestoppt werden. Manche Gruppen gehen soweit, nein zu solchen Verhandlungen überhaupt zu sagen, weil dabei immer ein FTA herauskäme. Andere wollen andere Inhalte. Konsens ist aber inzwischen auf alle Fälle, dass die Verhandlungen in ihrer jetzigen Ausrichtung sehr negativ laufen und den Bevölkerungsmehrheiten der Andenländer keine Vorteile bringen.

Das Gespräch führte Gaby Küppers am 20. Mai 2009 in Brüssel.