ila

Gerangel um Ressourcen

Interview mit dem salvadorianischen Ökonom Raúl Moreno über das Assoziierungsabkommen EU-Zentralamerika

Am 1. Dezember fand in der Handelskammer Hamburg ein Wirtschaftstag statt, auf dem „Perspektiven für eine Partnerschaft zwischen Zentralamerika und der EU“ besprochen wurden. Bei dem illustren Stelldichein von Vizeaußenministern, Wirtschaftsministeriumsvertretern und Unternehmensspitzen gab es zwei Panels: zu den „Vorteilen eines Assoziierungsabkommens“ und zu „Energie, Infrastruktur, Handel“. Des einen Freud, des anderen Leid: Im Juni 2007 begannen die Verhandlungen für ein Assoziierungsabkommen zwischen der EU und Zentralamerika, zurzeit findet die achte Verhandlungsrunde statt. Nichtregierungsorganisationen wie die Alianza Social Continental haben von Anfang an das Abkommen kritisiert und berufen sich dabei auf die schlechten Erfahrungen, die Zentralamerika mit CAFTA, dem Freihandelsabkommen mit den USA, gemacht hat. Mit Raúl Moreno von der Alianza Social Continental sprach die ila über das Abkommen und aktuelle Entwicklungen in Zentralamerika.

Britt Weyde

Welche Folgen wird das Assoziierungsabkommen EU-Zentralamerika für die mittelamerikanischen Länder haben? 

Der erste Punkt, in dem sich die europäische Delegation und die zentralamerikanischen Regierungen einig sind, ist die Gleichstellung mit CAFTA (US-Freihandelsabkommen mit den zentralamerikanischen Staaten und der Dominikanischen Republik). Die Europäer wollen also kein Abkommen zulassen, das nicht gleich oder besser für die europäischen Interessen ist als CAFTA. Allein dieser Umstand bedeutet für die zentralamerikanischen Länder einen enormen Nachteil, wenn wir die negativen Folgen berücksichtigen, die CAFTA in den letzten drei Jahren seit Inkrafttreten mit sich gebracht hat, nicht nur im Hinblick auf die Handelsbeziehungen – so ist z.B. unser Handelsbilanzdefizit gegenüber den USA im Moment größer als vor drei Jahren – sondern auch im Hinblick auf die Produktionskapazitäten unserer eigenen Lebensmittel. Das spiegelt sich darin wider, dass auch die salvadorianische Handelsbilanz im Bereich der Agrargüter und Lebensmittel negativ ist.

Außerdem zeigt sich, wie aufgrund von CAFTA der Zugang der Bevölkerung zu Medikamenten erschwert worden ist. Das liegt daran, dass CAFTA den patentierten Medikamenten gegenüber den preisgünstigeren Generika den Vorzug gibt, so dass viele öffentliche Krankenhäuser wegen der gestiegenen Medikamentenpreise unterversorgt sind. Das Assoziierungsabkommen sieht Ähnliches vor, der wichtigste Punkt sind jedoch die Patente im Bereich der biologischen Vielfalt. Auf der Grundlage dieser Vereinbarungen können die europäischen Chemie- und Pharma-Unternehmen Patente auf alle unsere Mikroorganismen und Pflanzen erheben.

Beim Assoziierungsabkommen mit der EU ist die Rede von „Kooperation“ und „politischem Dialog“ – was ist davon zu halten?

Das Assoziierungsabkommen ist ein politisches Instrument, das unserer Meinung nach nicht auf Zusammenarbeit setzt und noch weniger die Integration Zentralamerikas anstrebt. Vielmehr hat es zum Ziel, bessere Bedingungen für das europäische Kapital in Zentralamerika zu schaffen. Was bei CAFTA das Kapitel zu Investitionen ist, heißt beim Assoziierungsabkommen EU-Zentralamerika „Recht auf Niederlassung“; auf dieser Grundlage können europäische Investitionen in Zentralamerika getätigt werden, ohne dass die Regierungen der zentralamerikanischen Mitgliedsländer regulierend eingreifen können. 

Wir haben zwei Fälle, die im Rahmen von CAFTA unsere Thesen bestätigen: Das sind die beiden Bergbauunternehmen Pacific Rim, ein kanadisch-US-amerikanisches Unternehmen, sowie die US-amerikanische Commerce Group Corp.. Beide beziehen sich auf das Investitionskapitel von CAFTA, um vor dem CIADI, der Internationalen Schlichtungsstelle für Investitionsstreitigkeiten mit Sitz in Washington, 100 Millionen bzw. 77 Millionen US-Dollar Entschädigungsforderungen vom salvadorianischen Staat einzuklagen, da El Salvador den Unternehmen Lizenzen für den Goldabbau verweigert hat. Zweifellos sind auch die europäischen Unternehmen, die in Zentralamerika tätig sind und von denen sich viele während der Privatisierungswelle von öffentlichen Unternehmen in der Region niedergelassen haben, an einem ähnlichen juristischen Rahmen im Assoziierungsabkommen interessiert.

Es gibt also mehrere Gefahren, nicht nur einen Souveränitätsverlust, weil dieses Abkommen die zentralamerikanischen Staaten bei der Entwicklung ihrer eigenen Politik einschränkt. Hinzu kommt eine größere Verletzbarkeit, was die Versorgung mit Agrargütern und Lebensmitteln oder die Umwelt betrifft, sowie der Umstand, dass wir immer weniger Zugriff auf unsere Naturressourcen haben. Der zentralamerikanische Energiesektor wird aktuell von US-amerikanischen und europäischen Unternehmen kontrolliert; bei den Wasserkraftwerken sind die spanischen Unternehmen Iberdrola, Endesa und Unión Fenosa federführend. Andere europäische Firmen, wie z.B. LaGeo aus Italien, sind sehr an den Möglichkeiten der geothermischen Energiegewinnung in El Salvador interessiert. Infolgedessen entstehen gerade mehrere Megaprojekte in Zentralamerika – im Rahmen des Plan Puebla Panamá.

Hinzu kommen die europäischen Firmen, die den Telekommunikationssektor kontrollieren, sowie Finanzunternehmen, die am Rentenversicherungsmarkt und dem Bankensektor interessiert sind. Wir gehen davon aus, dass sich im Zuge des Assoziierungsabkommens EU-Zentralamerika noch mehr europäische Firmen in Zentralamerika niederlassen und dass sich die europäischen Interessen vor allem auf die Dienstleistungen im Umweltbereich konzentrieren und darauf abzielen, Zugriff auf unsere Naturressourcen zu haben, besonders im Bereich der biologischen Vielfalt. 

Was für Auswirkungen haben die Ereignisse in Honduras auf die Verhandlungen zwischen den zentralamerikanischen Staaten und der EU?

Wir haben festgestellt, dass die Kapitel zur Kooperation und zum Politischen Dialog eher einen Ankündigungscharakter haben und nicht verbindlich sind. Das bestätigt wiederum, dass der Handelsbereich das Hauptinteresse bei den Verhandlungen ist. Das zeigt sich auch in dem Dokument „Wettbewerbsfähiges Europa“1, in dem von einer europäisch-lateinamerikanischen Freihandelszone die Rede ist, die günstige Investitionsbedingungen in Zentralamerika schaffen soll. Das bestätigt uns in unserer Annahme, dass sich der Verhandlungsprozess vor dem Hintergrund eines Wettbewerbs zwischen den großen Handelsblöcken vollzieht – eines Wettbewerbs um Märkte, aber vor allem um Naturressourcen. Dabei möchte ich darauf hinweisen, dass die hegemoniale Strategie der USA sehr genau ausgearbeitet ist.

Diese Strategie enthält drei Komponenten: Zum einen haben wir die Freihandelsabkommen, ein politisch-juridisches Instrument, mit Hilfe dessen die Verfassungen der jeweiligen Länder eine untergeordnete Stellung einnehmen und somit optimale Bedingungen für die transnationalen Firmen geschaffen werden. Die zweite Komponente sind die Mega-Infrastrukturprojekte, die oft mit Haushaltsmitteln der einzelnen Länder bzw. mit internationalen Krediten finanziert werden. Hiermit wird die Infrastruktur bereitgestellt, die für die Ausbeutung der Naturressourcen und Bodenschätze notwendig ist. Und die dritte Komponente ist die Militarisierung, ein wichtiger Faktor in der Region, der einen Machtzuwachs für die jeweiligen militärischen Eliten mit sich bringt. Teil davon ist auch die Einrichtung einer Militärbasis, einer Überwachungsstelle am Flughafen von San Salvador, der Ausbau der US-amerikanischen Militärbasis in Palmerola, Honduras, sowie die ILEA (International Law Enforcement Academy), eine „light“-Version der berüchtigten Militärschule School of the Americas in El Salvador.

Dazu kommt, dass in verschiedenen zentralamerikanischen Ländern sogenannte Anti-Terrorismus-Gesetze verabschiedet worden sind – was ein bisschen absurd ist, mit denen jedoch repressive Maßnahmen legitimiert werden: gegen die sozialen Bewegungen, die gegen die Mega-Infrastrukturprojekte und Freihandelsabkommen kämpfen. In allen diesen Ländern ist außerdem eine bemerkenswerte Militarisierung festzustellen; in El Salvador z.B. werden seit einigen Jahren die Streitkräfte eingesetzt, um die öffentliche Ordnung sicherzustellen. Am 6. November gab es jetzt die Entscheidung des Präsidenten, mehr als 3000 Soldaten auf die Straße zu schicken, verteilt auf fünf Departements in El Salvador, die als Risikozonen eingeschätzt werden. Diese Soldaten agieren oft unabhängig von den Polizeikräften, die von der Verfassung her die einzigen sind, die für die öffentliche Sicherheit zu sorgen haben. Diese Maßnahme ist also verfassungswidrig und überträgt den Streitkräften Aufgaben, die ihnen nicht zustehen. Gerechtfertigt wird dies mit dem hohen Ausmaß an Gewalt und Verbrechen im Land; de facto wird damit eine Strategie aufrechterhalten, die mit „harter Hand“ gegen das Verbrechen vorgehen will, ohne dass die strukturellen Ursachen beseitigt werden.

Was fordern Organisationen wie die Alianza Social Continental von den jeweiligen Regierungen?

Wir denken, dass die zentralamerikanischen Regierungen solche Instrumente nicht ratifizieren, sondern darauf bestehen sollten, das Allgemeine Zollpräferenzsystem (General System of Preferences, GSP +) aufrechtzuerhalten. Hiermit können einige Güter aus Zentralamerika mit sehr niedrigen Zöllen oder frei in die EU eingeführt werden. Außerdem sollten die Kontrollmechanismen im Hinblick auf Arbeitsrechte und Umweltschutz gestärkt werden, die mit dem GSP + einhergehen. Darüber hinaus fordern wir eine wirkliche Zusammenarbeit zwischen der EU und Zentralamerika sowie politischen Dialog. Ein Kooperationsabkommen sollte die Möglichkeiten überprüfen, Mittel für nachhaltige Projekte und ganzheitliche Entwicklungsvorhaben in Zentralamerika bereitzustellen. 

Im Rahmen eines politischen Dialogs sollten auch die Schulden angesprochen werden, die Europa gegenüber Lateinamerika und der Karibik seit der Kolonialisierung hat: die historischen Schulden, da unsere Reichtümer ausgebeutet und unsere Naturressourcen geraubt sowie zahllose Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Zuge der Kolonialisierung begangen wurden. Diese Schulden haben auch eine ökologische Dimension: Umweltschäden und der Niedergang der Naturressourcen. Hinzu kommen die sozialen Schulden, die negativen Folgen für die Gesundheit und das Leben vieler Menschen in Zentralamerika aufgrund der Produktion der transnationalen Unternehmen. Diese sozialen, ökologischen und historischen Schulden anzuerkennen – das ist der erste Schritt in einem politischen Dialog, der offen und ernsthaft geführt werden sollte.

Das Interview führte Britt Weyde im November 2009 in Bonn.