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Im Interesse der alten Eliten

In Honduras baut die Rechte seit dem Putsch von 2009 das Land nach ihren Bedürfnissen um

In Honduras gab es 2009 den ersten lateinamerikanischen Putsch des 21. Jahrhunderts, eine Reaktion der traditionellen Rechten auf den damaligen Vormarsch progressiver Bewegungen und Regierungen in Lateinamerika. Vier Jahre vorher war Manuel „Mel“ Zelaya zum Präsidenten von Honduras gewählt worden. Er wandte sich zwar nicht grundlegend von der traditionellen Politik ab, setzte aber während seiner Amtszeit einige Maßnahmen um, die sich eher an den linken Regierungen Lateinamerikas orientierten. Unter ihm trat Honduras Petrocaribe bei, der Mindestlohn wurde von 180 auf 290 US-Dollar monatlich erhöht und das Land wurde Mitglied des alternativen Wirtschaftsbündnis ALBA. Seit dem Sturz Zelayas wurden von den nachfolgenden rechten Regierungen vor allem die ökumenischen Interessen der kleinen Oligarchie bedient und die ohnehin schwachen demokratischen Strukturen weiter ausgehöhlt.

Ina Hilse
Manuel Torres

Anfänglich hatten sowohl der damalige US-Präsident Obama als auch Außenministerin Clinton den Putsch gegen den sozialliberalen Präsidenten Zelaya verurteilt. Schnell änderte sich jedoch die offizielle Marschroute. Um einen treuen Verbündeten in der Region nicht zu verprellen, fingen die USA an, den unrechtmäßig vereidigten Übergangspräsidenten Micheletti zu unterstützen.

Seitdem fanden drei Präsidentschaftswahlen statt. Im November 2009, fünf Monate nach dem Putsch, wurden trotz der eigentlich verfassungswidrigen Situation und anhaltenden Protesten turnusgemäß Wahlen durchgeführt. Sieger war Porfirio „Pepe“ Lobo von der Nationalen Partei. Die darauf folgenden Wahlen 2013 und 2017 entschied nach offizieller Lesart jeweils Juan Orlando Hernández für sich, ebenfalls Mitglied der Nationalen Partei. Obwohl die Wahlprozesse von Unregelmäßigkeiten geprägt waren, wurden die Ergebnisse anerkannt. Besonders bei den Wahlen 2017 ist fraglich, ob die Auszählung der Stimmen rechtmäßig verlief. Nach der Veröffentlichung erster Hochrechnungen lag die Oppositionspartei „Allianz gegen die Diktatur“ mit fünf Prozent vor Hernández‘ konservativer Nationaler Partei. Bevor weitere Ergebnisse veröffentlicht werden konnten, brach nach offiziellen Angaben der Rechner der Obersten Wahlbehörde zusammen. Nach Neuauszählung der Stimmen lag Juan Orlando vorn.

Juan Orlando Hernández, kurz „JOH“, nutzt sein Präsidentenamt, um seine Machtposition zu festigen und Justiz, Wahlinstitutionen sowie die Gesetzgebung zu kontrollieren. Schon vor seiner Wahl zum Präsidenten führte er 2009 als Kongresspräsident den so genannten „technischen Putsch“ an. Drei der vier Richter*innen des Obersten Gerichtshofs wurden unter fadenscheinigen Vorwänden unrechtmäßig abgesetzt. Darunter Richter Adán Guillermo López Lone, nachdem er als Privatperson an einer großen Demonstration gegen den Putsch teilgenommen hatte. Bereits einen Tag nach den Absetzungen wurden die Nachfolger*innen ins Amt berufen.

Zudem erweiterten Änderungen gesetzlicher Vorgaben Hernández' Kontrolle über Polizei und Militär. Neue Abhör- und Geheimdienstgesetze wurden verabschiedet, eine neue Militäreinheit, die Tigres (Tropa de Inteligencia y Grupo de Respuesta Especial de Seguridad, eine Elitetruppe aus Polizei und Militär), geschaffen und die Militärpolizei gegründet. Das Dekret, das dem Militär nach dem Putsch weitgehende Polizeiaufgaben übertrug, ist mehrfach verlängert worden. Seit 2014 sind die Budgets des Verteidigungsministeriums und des Ministeriums für Sicherheit kontinuierlich angestiegen.

Zusätzlich hat JOH durchgesetzt, dass er 2017 erneut für die Präsidentschaft kandidieren durfte, obwohl dies in der honduranischen Verfassung explizit verboten ist. Die Macht des Regierungsoberhaupts überschreitet weit die vorgesehenen Grenzen, die Gewaltenteilung ist nicht mehr gewährleistet.

Bereits vor dem Putsch gab es in Honduras Korruption und Vetternwirtschaft, aber die Nach-Putsch-Regierungen legitimierten illegales Verhalten noch weiter. Im Frühling 2015 wurde ein Korruptionsskandal öffentlich. JOH und seine Partei hatten 90 Millionen US-Dollar aus den Rücklagen der Sozialversicherung zur Finanzierung ihrer Wahlkampagne entwendet. Mindestens 3000 Menschen starben daraufhin aufgrund mangelnder Versorgung mit Medikamenten. Erstmals in der honduranischen Geschichte löste ein Korruptionsfall so große Proteste aus. Besonders viele junge Menschen organisierten sich in der Protestbewegung Los Indignados (Die Empörten). Sie forderten u.a. die Aufklärung der Korruptionsfälle, rechtliche Konsequenzen für die Verantwortlichen, den Rücktritt von JOH und die Einrichtung einer Internationalen Kommission gegen Straflosigkeit in Honduras.

Obwohl Hernández sogar öffentlich zugab, die Rücklagen für seine Wahlkampagne verwendet zu haben, blieb er im Amt. Die geforderte Kommission wurde mit Unterstützung der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) eingerichtet. Zentrale Themen der MACCIH (Misión de Apoyo contra la Corrupción y la Impunidad en Honduras) sind Korruptionsbekämpfung und -prävention, Kriminaljustiz, Reform der Parteien- und Wahlkampagnenfinanzierung sowie die öffentliche Sicherheit. Ein im Januar 2018 vom Kongress verabschiedetes Gesetz, das Untersuchungen von Korruptionsfällen früherer und aktueller Politiker*innen verhindert, stellte die ganze geleistete Arbeit auf den Kopf. Der Sprecher der MACCIH Juan Jiménez Mayor erklärte seinen Rücktritt, mit diesem so genannten Straflosigkeitspakt seien alle bisherigen Fortschritte im Kampf gegen Korruption zunichte gemacht worden.

Die Post-Putsch-Politik zeichnet sich außerdem durch die strenge Ausrichtung auf den Ausbau der Exportwirtschaft aus. Unternehmens- und investitionsfreundliche Gesetze wurden verabschiedet und Freihandelsverträge abgeschlossen (DR-CAFTA, Assoziierungsabkommen mit der EU, Verhandlungen mit Kanada und Mexiko zu Freihandelsverträgen). 154 Bergbaukonzessionen waren bereits vergeben, weitere 300 wurden erteilt – insgesamt 40 Prozent der Landesfläche sind davon betroffen. Hinzu kommt die Privatisierung des öffentlichen Sektors, besonders der Bildung, die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes und der Arbeitsgesetzgebung (Zeitarbeitsverträge) und die Abwertung des Lempira zur Senkung der Lohnkosten.

Im Jahr 2013 wurde das Gesetz ZEDEs (Zonas de Empleo y Desarrollo Económico) zur Einrichtung von Sonderwirtschaftszonen erlassen. Es erlaubt die Errichtung von Territorien mit eigener Rechtsform auf dem Gebiet des Nationalstaates.

Menschenrechte und indigene Rechte wurden zur Durchsetzung dieser Interessen und für die Umsetzung von Großprojekten hintangestellt. Wegen der Abhängigkeit Honduras' im Energiesektor von Importen fossiler Brennstoffe werden erneuerbare Energien, insbesondere Wasserkraft und Windenergie, seit Jahren durch Investitionserleichterungen gefördert. Das Wasserkraftwerk Agua Zarca ist das prominenteste Beispiel für eine Politik, bei der rücksichtslos gegen die indigene Bevölkerung vorgegangen und zugunsten von Unternehmen entschieden wird. Für die im Gebiet des Kraftwerkes ansässigen Lenca, die größte indigene Gruppe in Honduras, bedeutet das Projekt eingeschränkten Zugang zu Wasser und Land. Obwohl Honduras den Artikel 169 der ILO-Konvention ratifiziert hat, wurden die Lenca nicht vor Beginn des Projekts konsultiert. Die von den Lenca eingereichte Klagen gegen das Unternehmen und die zuständigen staatlichen Institutionen wurden nicht beachtet.

Berta Cáceres, international anerkannte und ausgezeichnete Umwelt- und Indigenenaktivistin und Stimme der Lenca-Bewegung gegen den Agua-Zarca-Staudamm, wurde im März 2016 ermordet. Ihr Tod ist nur einer von zahlreichen politischen Morden. Hunderte von Rechtsanwält*innen, Journalist*innen, Landrechtsaktivist*innen und Angehörige der LGTBI-Communitiy sind nach dem Putsch umgebracht worden. In den seltensten Fällen gab es eine strafrechtliche Verfolgung oder gar eine Verurteilung der Täter. Im Fall von Berta Cáceres wurden acht Tatverdächtige in Untersuchungshaft genommen. Der Prozess begann im September 2018, wurde jedoch im Oktober schon wieder unterbrochen.

Aus dem Protest gegen den Putsch entstand eine Widerstandsbewegung aus Gewerkschaften, Frauenbewegung, indigenen Gruppen, LGTBI-Initiativen, Menschenrechtsorganisationen, Umweltgruppen, Anwält*innen, Maquilaarbeiter*innen, Künstler*innen und Teilen der Liberalen Partei, die Zelaya unterstützten. Insgesamt mehr als 60 Basisgruppen, ein so breites Bündnis hatte es in Honduras noch nicht gegeben. Die LGTBI traten während des Putsches zum ersten Mal als organisierte Bewegung auf. Die Interessen dieser Bewegung gingen weit über die Wiederherstellung der rechtmäßigen Ordnung und das Wiedereinsetzen von Zelaya als Präsident hinaus. In intensiven Debatten wurde die Möglichkeit erwogen, eine neue Verfassung zu schaffen, diesmal unter Beteiligung der Bevölkerung in regionalen Versammlungen.

Die Partei Libertad y Refundación (Libre) wurde als Teil des Prozesses der „nationalen Versöhnung“ gegründet. Aktivist*innen der sozialen Bewegung wurden plötzlich zu politischen Funktionär*innen und mussten sich im Alltag der Politik zurechtfinden. Ehemalige Mitglieder der Liberalen Partei, die diese als Unterstützer*innen von Mel Zelaya verlassen hatten, nutzten die Gelegenheit, wieder Parteipolitik zu betreiben. Die Linke schwächte sich damit selbst. Die große Vielfalt der Bewegung spiegelte sich nicht in der Führungsriege der Partei wider, da Zelaya und andere altbackene Politiker*innen von Anfang an diese für sich beanspruchten. Die Beteiligung der Bevölkerung blieb auf die Teilnahme an den Protesten beschränkt und dehnte sich nicht auf die Entscheidungsfindung aus. Rückwirkend betrachtet, war Zelaya damit einerseits Motor und Gesicht des Widerstands, gleichzeitig aber auch Bremse. Außerparlamentarische politische Opposition wurde dem Erfolg auf dem parlamentarischen Weg untergeordnet.

Es folgte die Kriminalisierung der sozialen Bewegung durch neue Terrorismus-, Abhör- und NRO-Gesetze. Darüber hinaus lässt sich der ausbleibende Erfolg der linken Bewegung damit erklären, dass Abgeordnete und Bürgermeister*innen der LIBRE ihr Amt nicht signifikant anders ausüben als ihre rechten Vorgänger*innen. Es ist zwar gelungen, das Zwei-Parteien-System aufzubrechen und LIBRE als ernstzunehmende dritte Kraft zu etablieren, aber in realpolitischen Entscheidungen zeigt sich, dass die alten Strukturen fortbestehen. Honduras ist jahrzehntelang von den zwei Parteien der Eilte regiert worden, die jeweils die eigenen Interessen, nicht aber das Wohl der Gesamtgesellschaft verfolgt haben.

Nach wie vor mangelt es an einer wirksamen Opposition im Parlament, denn die nicht regierenden Parteien schließen sich nur in Ausnahmefällen zusammen. Die Linken setzen auf die Aufrechterhaltung der schmerzhaften Erinnerung des Putsches, aber dies geht über das Motto Fuera JOH (JOH raus) nicht hinaus. Es existiert kein reales alternatives politisches Programm, wie die Zeit nach Hernandez aussehen könnte. Ebenso liegt kein Vorschlag für neue staatliche Strukturen vor, um die stetige Verschlechterung der Lebensbedingungen für zwei Drittel der Bevölkerung aufzuhalten.

Auch für unmittelbare Herausforderungen wie die Karawane der Tausenden von Migrant*innen, die aus dem Land fliehen (vgl. Beitrag in dieser ila), hat die Opposition eine Lösung. Der offensichtliche Hintergrund für diese massenhafte Flucht, 70,8 Prozent der Erwerbsbevölkerung haben nur eine informelle oder eine prekäre Arbeitsanstellung, scheint vergessen. Die Opposition improvisiert vor sich hin und glaubt, damit die nächsten Wahlen gewinnen zu können.

Es gibt kleine Erfolge, zum Beispiel ist es der indigenen Bewegung gelungen, den Agua-Zarca-Staudamm bislang zu verhindern und andere Projekte stark zu verzögern, das allerdings jedoch zu einem sehr hohen Preis.

Der Putsch und seine Folgen sind bis heute im Bewusstsein und der Kommunikation der Honduraner*innen allgegenwärtig, in jedem Gespräch wird er irgendwann zum Thema. Es gibt ein Vorher und ein Nachher. Der Land wurde in zwei Teile gespalten: golpistas und antigolpistas. Gleichzeitig haben die Rechtsregierungen seit 2009 die Macht der kleinen Oligarchie und der mit ihr verbündeten internationalen Unternehmen und Banken wieder gefestigt.