ila

Wir brauchen mehr Karawanen!

50 AktivistInnen aus dem Süden auf Tour durch Europa

Im Dezember 2009 zog die „Handel-Macht-Klima-Karawane“ von Genf nach Kopenhagen. Die TeilnehmerInnen brachten in verschiedenen Städten in der Schweiz, Frankreich, Belgien, Deutschland und schließlich bei der Klimakonferenz selbst ihre Kritik an der herrschenden Handels- und Klimapolitik an die Öffentlichkeit. Durch ihre Dynamik überzeugten sie ihre MitstreiterInnen und gaben Anlass zu neuer Hoffnung. Der folgende Beitrag beschreibt die Erfahrungen der Karawane, anschließend kommen zwei TeilnehmerInnen aus Kolumbien und Panama in Interviews zu Wort.

Friederike Habermann

Wir brauchen eine Bewegung von Peoples Assemblies und wir brauchen mehr Karawanen!“, fasst ein Aktivist beim Perspektiventreffen von Climate Justice Action in Kopenhagen im Anschluss an die Proteste seine Wünsche für die Zukunft zusammen. „Als die Karawanenmitglieder auf einem der Plena in Kopenhagen von ihren Kämpfen berichtet haben, war das für mich der bewegendste Moment“, erzählt eine Aktivistin auf dem offenen Auswertungstreffen von „felS“ („für eine linke Strömung“) im Januar in Berlin. Einer der Organisatoren aus Köln bedankt sich im Anschluss bei der Karawane. „Durch euch ist Bewegung in unsere Gruppen gekommen, wir haben begonnen, stärker zusammenzuarbeiten.“

Die „Handel-Macht-Klima-Karawane“ bestand aus zwei Bussen, rund einem Dutzend UnterstützerInnen sowie 50 RepräsentantInnen von Bewegungen aus dem Globalen Süden, die zunächst an den Aktionen in Genf gegen die WTO-Ministerkonferenz und dann an den Protesten im Rahmen der UN-Klimaverhandlungen in Kopenhagen teilnahmen. In der Woche dazwischen trafen sich die TeilnehmerInnen der Karawane mit lokalen Gruppen, mit denen sie gemeinsame Veranstaltungen und Aktionen durchführte. Zum einen sollte hierdurch der Zusammenhang von Handels- und Klimapolitik betont werden, was in den offiziellen Verhandlungen als völlig unabhängig voneinander behandelt wurde; zum anderen sollte die Karawane für Stimmen aus dem Süden eine Plattform im Norden bieten.

Los ging es am 28. November. Bei strahlendem Sonnenwetter begann auf dem Genfer Place Neuve die Demonstration gegen die Welthandelsorganisation (WTO) mit mindestens 5000 TeilnehmerInnen. Einige aus der Karawane trugen das Fronttransparent, direkt dahinter folgten mehrere Traktoren des weltweiten Bauernnetzwerks La Vía Campesina. Schon kurz nach Beginn kippte allerdings die Stimmung: Als in eine Geschäftsstraße eingebogen wurde, begannen einige der DemonstrantInnen Steine und Farbbeutel gegen die Scheiben von Banken und Juwelieren zu werfen. Fast zeitgleich feuerte die Polizei Tränengas in den Demozug. In den engen Gassen der Genfer Innenstadt verteilte sich das Gas schnell und viele verließen die Demo. Die Karawanegruppe zog sich in ein Hausprojekt in der Nähe des Bahnhofs zurück.

Am Montag, dem ersten Tag der WTO-Ministerkonferenz – genau zehn Jahre nach der erfolgreichen Blockade der WTO-Konferenz in Seattle, welche weithin als coming-out-party der Globalisierungsbewegung gilt – , versammelten sich TeilnehmerInnen der Karawane bei strömendem Regen in einem Zelt vor den Gebäuden der UNO-Institutionen. Fischer aus den Philippinen kochten ein traditionelles Gericht, danach begann eine Corporate Criminals Tour, die – einer Touristenführung nachempfunden – über die Verbrechen der Schweizer Banken informierte. Landwirtschaft war das Thema des Stadtrundgangs am Dienstag, der dritte am Mittwoch führte zu Genfer „Klimakriminiellen“ von globaler Bedeutung. Ein weniger offensichtliches Ziel von Protest aber stellte das Hauptquartier des World Wildlife Fund (WWF) in der Nähe von Genf als Abschluss der „Corporate Criminals Tour“ am Donnerstag dar – weder Unternehmen noch Bank, sondern eine Nichtregierungsorganisation, die sich den Klimaschutz auf die Fahnen schreibt. Um so bemerkenswerter war die Einstimmigkeit, mit der dieser Stopp beschlossen wurde, und die Wut, die sich in den Reden ausdrückte. Insbesondere die seit einigen Jahren vom WWF durchgeführten Runden Tische, wie zum Beispiel zu „nachhaltiger“ Soja oder Ölpalmen, gäben Agrarmultis wie Cargill die Plattform, selbst genetisch veränderte Soja als nachhaltig zu deklarieren. „Sie sind die Lobby der Transnationalen Unternehmen!“, rief Javiera Rulli von der argentinischen Organisation Grupo de Reflexión Rural den vereinzelt aus dem Gebäude herauskommenden MitarbeiterInnen des WWF zu. „Ihre Runden Tische sind eine Form des Greenwashing! Ihre Arbeit ist eine Form der Kolonialisierung! Ihre Arbeit hilft uns nicht, Ihre Arbeit schwächt uns!“

Danach trennten sich die beiden Busse in eine westliche und eine östliche Route. Die Route über Belgien und Frankreich war begehrter. Leonor Vilora aus Kolumbien gehörte zu denjenigen, die verzichteten, jedoch nicht ohne hinterher zu seufzen: „Ich hatte schon immer mal Paris sehen wollen!“ Dann in Dijon ein Treffen mit der französischen Kleinbauernorganisation Confederation Paysanne und Attac. Hier wie auch in den anderen Städten folgten gut gefüllte Veranstaltungen – genauso wie während der Route durch Deutschland. In Freiburg wurde die Veranstaltung überschattet von der Mitteilung Benito Calixto Guzmáns, soeben von der Ermordung zweier seiner Compañeros erfahren zu haben.

Am Freitag demonstrierten die Einen auf Fahrrädern durch Freiburg, während die Anderen in Paris mit dem Senat diskutierten. Am Samstag machten die Einen zunächst einen Protestbesuch der Europäischen Zentralbank in Frankfurt, um danach der Mahnwache im Kelsterbacher Wald gegen den Ausbau des Frankfurter Flughafens einen solidarischen Besuch abzustatten, während die Anderen in der Pariser Innenstadt die Methode des flashmob probten, bevor sie mit Sans Papiers, also Illegalisierten, an der jährlichen Demo gegen Prekarisierung teilnahmen. Drei Teilnehmerinnen der Ostroute fuhren von Frankfurt nach Berlin, um dort Veranstaltungen durchzuführen. Am Sonntag wurde in Köln wieder demonstriert und diskutiert, aber auf den Montag hin auch einmal ausgeruht, während die Anderen über Nordfrankreich letztlich Brüssel erreichten. In Hamburg kamen beide Busse wieder zusammen.

Das sind natürlich nur Ausschnitte dessen, was tatsächlich geschah – nicht nur an offiziellen Programmpunkten, an Veranstaltungen, Aktionen und gemeinsamen Feiern. Wesentlich waren ebenfalls die Begegnungen informeller Art: in den unterbringenden Familien in Freiburg, den Hausprojekten in Frankfurt oder den Wohngemeinschaften in Hamburg, auf der Straße – im Regen vielleicht, aber mit Spaß – sowie nicht zuletzt untereinander: zwischen Menschen aus Basisbewegungen aus Neuseeland, Afrika, Asien, Europa sowie Nord- und Südamerika. Auch nach der Karawane sind die meisten entschlossen, an diesen Kontakten festzuhalten und bei nächsten Gelegenheiten daran anzuknüpfen.

Angesichts des offen gehaltenen Aufrufs, an der „Handel-Macht-Klima-Karawane“ teilzunehmen, erstaunte die Einstimmigkeit bei den Diskussionen, mit der marktbasierte Lösungen abgelehnt wurden. Auch auf der großen Demons-tration am Samstag in Kopenhagen mit über 100 000 Teilnehmenden, von denen viele lediglich die Regierungen ermahnen wollten, ein gutes Ergebnis anzustreben, war die Karawane im System change – not Climate change-Block zu finden. Und was wäre die Peoples Assembly der Reclaim Power-Aktion am 16. Dezember ohne die inhaltlichen Beiträge von Leuten aus der Karawane gewesen? Hier wurde besonders deutlich, wie wichtig die Stimmen aus dem Globalen Süden für die Proteste im Norden waren. Zum einen, weil sie als diejenigen, die vom Klimawandel am meisten betroffen sind, unterrepräsentiert sind. Zum anderen aber auch, weil sie durch diese Betroffenheit und durch ihre konkreten Kämpfe genau wissen, warum die in der UN diskutierten Ansätze falsche Lösungen darstellen und in welche Richtung die Alternativen der Bewegungen gehen können – um nicht zu sagen, müssen.
Als falsche Lösungen wurden Techno-Fixes wie das Korallenriffprogramm der Weltbank angeprangert, das traditionelle Fischer ihrer Lebensgrundlage beraubt, oder auch der Glaube, sich mit genetisch verändertem Saatgut dem Klimawandel anpassen zu können. Mit Igor Freeburetka war auf der Karawane ein ehemaliges „Tschernobyl-Kind“ vertreten, der nochmals vor den Gefahren der Atomindustrie warnte.
Viele der Beiträge hatten bereits während der Karawane darauf hingewiesen, wie Kohlenstoffhandel oder das REDD-Programm, das angeblich Wälder schützen soll, ebenso wie das Schlagwort Green New Deal letztlich eine Neuauflage der Durchsetzung von Marktmacht darstellen, oft mit brutalen Folgen wie der Vertreibung indigener Gemeinschaften. Selbst regenerative Energien wie Windräder tragen auf diese Weise zu einem Klimakolonialismus bei, wenn Windparks auf von indigenen KleinbäuerInnen angeeignetem Boden gebaut werden, wie Bettina Cruz aus Oaxaca in Mexiko berichtete.

Die Alternative hierzu lautet Energiesouveränität. Nicht auf technische Lösungen kommt es an – wie sie auch das Mega-Solarprojekt Desertec vorsieht – sondern darauf, dezentrale Lösungen zu finden, über die lokal entschieden werden kann. Hierbei gelten die gleichen Prinzipien, wie sie von La Vía Campesina für die Ernährungssouveränität gefordert werden: kleinteilige, dezentrale, nachhaltige (und zwar nicht in Bezug auf den Fortbestand des Gegebenen, sondern in Bezug auf ein erfülltes, durch gemäßigten Konsum geprägtes „Gutes Leben“ – buen vivir) und tendenziell selbstorganisierte Strukturen.

„Viele von uns, die voller Hoffnung und Energie aus Kopenhagen zurückkehren, können kaum glauben, dass so manche, die den Gipfel aus der Ferne verfolgt haben, die Ereignisse dort als katastrophal ansehen”, schreibt Olivier de Marcellus, einer der Organisatoren der Karawane, wenige Tage nach deren Ende und verteidigt insbesondere die Reclaim Power-Aktion in Kopenhagen als Erfolg: „Das war unser best case scenario. Wir hätten uns nie träumen lassen, dass unsere Feinde so dumm wären, ihre Angst vor unseren Aktionen so sehr zu dramatisieren: Hunderte von Nichtregierungsorganisationen auszuschließen, von denen sie annahmen, sie würden sich uns anschließen, die Demo-SprecherInnen und angebliche Führungspersonen festzunehmen, den Lautsprecherwagen zu erobern und selbst Schlagstöcke einzusetzen, um die Demo der offiziellen Delegierten zurückzudrängen, die sich ihren Weg nach draußen bahnten, um an der Assembly teilzunehmen.”

Das offene Plenum vor dem 16.12. hatte die Reclaim Power-Aktion als Startpunkt bezeichnet, um nach der endgültigen (Selbst-)Delegitimierung der offiziellen Klimaverhandlungen gemeinschaftlich und machtvoll zu handeln: „Die Peoples Assembly ist ein offener horizontaler Prozess”, heißt es in einem kurzen Statement. „Wir sehen dies als Start für Peoples Assemblies auf der ganzen Welt an. Wir beginnen einen Prozess, um die Bewältigung der Krise selbst in die Hand zu nehmen, und laden ein, daran teilzunehmen.“