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Machtkritisch und fehlerfreundlich

Bildungsmaterialien „Fokuscafé Lateinamerika“ ab Januar 2018 wieder erhältlich
Britt Weyde

Zwei Knackpunkte, aufgrund derer die Jamaika-Sondierungen nach der Bundestagswahl 2017 scheiterten, waren der Ausstieg aus der Kohle und der Familiennachzug von Geflüchteten. Bei diesen Themen ist Standhaftigkeit gefragt und Aufklärungsarbeit vonnöten. Mit den Themen „Migration“ und „Klimawandel“ befassen sich auch zwei der insgesamt fünf Werkhefte der vom Informationsbüro Nicaragua herausgegebenen Werkheft-Box „Fokuscafé Lateinamerika“. Weitere Oberthemen sind „Wirtschaft“, „Kolonialismus und Rassismus“ sowie ein einführendes Heft mit einer Handreichung für Seminarleiter*innen. Die fünf Werkhefte samt Begleit-DVD sind die aktualisierte und erweiterte Version der ersten Auflage von 2011 (siehe Besprechung aus Schülersicht in ila 347). Auf rund 240 Seiten werden vielseitig einsetzbare Workshopkonzepte des Globalen Lernens vorgestellt. Mit konkreten Beispielen aus Lateinamerika und Deutschland soll laut den Herausgeber*innen „eine (macht-)kritische Auseinandersetzung mit globalen und innergesellschaftlichen Verhältnissen angeregt und ein Bezug zur Lebenswelt und dem Alltag von Jugendlichen in Deutschland hergestellt werden“. Das „Fokuscafé Lateinamerika“ ist so angelegt, dass alle Gruppen unabhängig von Vorwissen die Materialien nutzen können; speziell eignen sie sich für die entwicklungspolitische Bildungsarbeit mit Schüler*innen ab Klasse 10, Auszubildenden, jungen Eine-Welt-Engagierten, Menschen, die sich auf ein Freiwilligenjahr im Ausland vorbereiten, Bundesfreiwilligendienstleistenden und FSJler*innen, Studierenden im Grundstudium.

Wer sich die Hefte und die DVD mit den Arbeitsmaterialien gründlich anguckt, erahnt, wie viele Diskussionen und Fleißarbeiten hinter der Erarbeitung und Strukturierung der Werkheft-Box stecken. Die Methoden und Materialien sind vielfältig, von klassischer Textarbeit über Spiele (etwa ein Kolonialismus-Quiz oder eine nachgespielte Talkshowrunde), Bilderstrecken, Begriffskarten, Tabellen, Weltkarten, Grafiken, Comics, Song- oder Theatertexten bis hin zu Videos. Unter letzteren sind wahre Perlen zu finden, etwa die Rede der Schriftstellerin Chimamanda Ngozi Adichie über die „Gefahr einer einzigen Geschichte“. Mitunter greifen die Macher*innen auch auf Videos zurück, die zwar anschaulich, aber auch verkürzt sind (beispielsweise das Video „Migration“ von WissensWerte, dessen Perspektive recht eurozentristisch ist). Aber in solchen Fällen gibt es in den Werkheften Hinweise auf die problematischen Aspekte sowie Vorschläge, wie die Seminarleiter*innen damit umgehen können. Überhaupt sind die Abschnitte zu möglichen „Fallstricken“ nach verschiedenen Übungen ein Plus. Darin wird auf Vereinfachungen hingewiesen oder auf die Gefahr, dass sich bei den Teilnehmer*innen Ohnmachtsgefühle einstellen können, nach dem Motto: Wir können ja eh nichts an diesen Missständen ändern. Des Weiteren ist es durchaus möglich, dass im Lauf bestimmter Übungen stereotype Aussagen fallen, was andere Seminarteilnehmer*innen verletzen oder diskriminieren und auch Vorurteile verfestigen könnte. Dies zeigt, dass Seminarleiter*innen Vorwissen mitbringen und sich schon kritisch mit den Themen der Werkhefte auseinandergesetzt haben sollten. Schließlich müssen die Teamenden in der Lage sein, mögliche Fallstricke zu erkennen und sensibel damit umzugehen.

Weitere Boni der Werkheft-Box: Bei jedem Baustein gibt es gezielte Hinweise zu weiterführender Literatur, weiteren Methoden, Weblinks, Videos, Audios. Auch wenn die Materialsammlung in den Werkheften umfangreich ist und zahlreiche Workshopstunden damit gefüllt werden können, gibt es stets Themen des Globalen Lernens, die noch ausführlicher dargestellt werden könnten; die Rezensentin denkt da zum Beispiel an den Themenkomplex „Freihandel“.

Im einführenden Werkheft „Handreichung für Teamer*innen“ wird über die Entstehung der Neuauflage berichtet (unter anderem über die Hintergründe dafür, warum das Werkheft zum Thema „Migration“ komplett neu aufgelegt wurde), über Auseinandersetzungsprozesse innerhalb des Autor*innen-Teams und über dessen Grundlagen für ein machtkritisches, partizipatives und fehlerfreundliches Globales Lernen. Ein Glossar mit Begriffserklärungen für ein angemessenes Wording rundet dieses Heft ab.

Fazit: Die Werkheft-Box ist nicht nur für Seminare zu Lateinamerika eine Fundgrube, sondern für die allgemeine politische Bildungsarbeit geeignet, da sie aktuelle, brennende Themen aufbereitet. Auch Eltern finden vor allem bei den Materialien auf der DVD eine Menge Anregungen; in Zeiten geschwätziger Social-Media-Überflutung und sonstiger oberflächlicher oder gar rassistischer Politperformances ein wohltuendes Gegenmittel. Auch gewisse Politiker würden, wenn sie sich denn ernsthaft damit auseinandersetzen würden, bestimmt noch eine Menge vom „Fokus Café Lateinamerika“ lernen können.

 

Die Werkheft-Box „Fokuscafé Lateinamerika“ kann für 12 Euro (zuzüglich Versand) bestellt werden bei: info@informationsbuero-nicaragua.org

Das Otros-Mundos-Team bietet außerdem an, Workshops mit den Methoden des „Fokuscafé Lateinamerika“ durchzuführen: http://otrosmundos.infobuero-nicaragua.org/

Außerdem regelmäßig Fortbildungen, in denen die Methoden der Werkhefte vorgestellt und gemeinsam erprobt werden: http://otrosmundos.infobuero-nicaragua.org/multiplikator_innen-seminare/