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Rolle rückwärts zwischen Washington und Havanna

Interview mit dem cubanischen Politikwissenschaftler Esteban Morales

Als der damalige US-Präsident Barack Obama im März 2016 Havanna besuchte, schien ein neues Kapitel in den Beziehungen zwischen den USA und Cuba zu beginnen. Auch die Aufnahme voller diplomatischer Beziehungen deutete auf eine Entspannung des Verhältnisses zwischen beiden Staaten hin. Schon wurden riesige Tourist*innenströme aus den USA prognostiziert und ein baldiges Ende der Blockade erwartet, worauf auch viele US-Unternehmen hofften. Doch dann wurde Donald Trump zum Präsidenten gewählt. Von einer Normalisierung der Beziehungen ist seitdem keine Rede mehr. Über die Entwicklung der US-amerikanisch-cubanischen Beziehungen sprach Knut Henkel mit Esteban Morales, emeritierter Professor der Universität Havanna und des Instituts für Amerikaforschung.

Knut Henkel

Die durch Schallwellen hervorgerufene Erkrankung mehrerer Mitarbeiter der US-Botschaft in Havanna macht derzeit Schlagzeilen. Erst haben die USA den kompletten Abzug ihrer Mitarbeiter aus der Botschaft erwogen, sodass die Schließung im Raum stand. Nun sind sechzig Prozent des Personals abgezogen und eine Reisewarnung für US-Bürger erlassen worden. Haben Sie eine Erklärung für die mysteriöse Erkrankung?

Es gibt Informationen einer Nachrichtenagentur, dass diese Schallattacke auf technisches Versagen einiger Geräte zurückzuführen ist, die die USA selbst installiert haben, um sich vor Überwachung zu schützen. Es handelt sich um Geräte, die die Kommunikation mit Agenten erlauben sollen, ohne abgehört zu werden. Ich beziehe mich dabei auf Agenturmeldungen, die sich teilweise auf die NASA beziehen. Interessant ist auch, dass niemand offen die cubanische Regierung beschuldigt. Was für ein Interesse könnten wir haben, das Verhältnis zu den USA zu beschädigen? Warum sollten wir uns solche Probleme mit den USA ins Haus holen? Das ist absurd.

Bezeichnend ist ja auch, dass Raúl Castro die CIA nach Cuba eingeladen hat, um zu ermitteln.

Ja, auch Cubas Regierung hat ein Interesse, diesen mysteriösen Fall aufzuklären. Die Reaktion der USA, sich auf die Position zurückzuziehen, dass Cuba die Sicherheit der Botschaftsangehörigen garantieren müsse, ist wirklich etwas naiv. Im Mai des Jahres haben sie zwei Mitarbeiter unserer Botschaft in Washington nach Haus geschickt, um Druck aufzubauen. Das Ergebnis ist aber gleich null, denn letztlich weiß niemand, was da passiert ist und weiter passiert. Auch die CIA hat keine Beweise ausfindig machen können, dass Cuba für diese Attacken verantwortlich sei. Unsere Regierung ist sich zudem absolut sicher, dass kein anderes Land in Cuba eine derartige Attacke lancieren könnte.

Das US-amerikanisch-cubanische Verhältnis hat sich seit dem Antritt von Donald Trump merklich geändert. Gibt es eine Rückkehr zu alter Rhetorik?

Es entsteht der Eindruck, dass sich Donald Trump in der Cubapolitik zurückorientiert und sich an Marco Rubio (republikanischer Senator für Florida) hält. Das wäre ein unlogischer Rückschritt, da sich die Beziehungen für beide Seiten zum Vorteil entwickelt hatten.

Es kursierten lange Gerüchte, dass die USA die Botschaft wieder schließen könnten.

Ja, das ist richtig. Wenn das der Fall sein sollte, fallen wir zurück in die Zeit der diplomatischen Vertretungen so wie früher. (Bis zur Aufnahme voller diplomatischer Beziehungen 2016 unterhielten beide Länder keine Botschaften im jeweils anderen Land, sondern „diplomatische Vertretungen“, ähnlich wie seinerzeit die BRD und die DDR – die Red.) Für Cuba sind die Botschaft und ihr Status nicht so wichtig wie für die USA. Denn die wollten schließlich ihre Präsenz hier erhöhen. Eine Botschaft hat mehr Einflussmöglichkeiten und einen größeren Radius als eine Interessenvertretung. Allerdings wäre das Ende der Botschaft auch ein Rückschritt für Trump, denn dessen Position in den USA ist alles andere als unumstritten. Das sollte man nicht vergessen.

Spielen Sie auf die Pleite mit Obamacare an oder die Situation in Nordkorea?

Nicht nur das. Trump fährt einen aggressiven Stil gegenüber Venezuela, gegen den Iran, gegen Nordkorea, seine Rede vor der UN war ein Desaster. Ich persönlich denke, dass Trump sich mit seinem Stil selbst abschafft, aber das wird noch etwas dauern. Die ersten Republikaner wenden sich ab, er hat die schwarze Minderheit komplett gegen sich aufgebracht und der Arbeiterschicht den Mindestlohn von 15 US-Dollar versprochen, aber dieses Versprechen bisher nicht eingelöst. Das macht ihn nicht populärer.

Wie denken Sie über Donald Trump, kehrt er zur Sanktionspolitik zurück?

Donald Trump ist ein Demagoge, der seine Position von heute auf morgen ändert. Er ignoriert, dass die Bevölkerungsmehrheit in den USA die Öffnung gegenüber Cuba befürwortet und dass es nur vier, fünf alte Kader der Ultrarechten sind, die für die Sanktionspolitik der Vergangenheit stimmen. Das hat keine Zukunft. Aber wir müssen abwarten. Trump wird sicherlich keine zweite Amtszeit im Weißen Haus absolvieren und ob er seine erste Amtszeit beenden wird, ist alles andere als sicher. Es gibt in seiner Regierung keine Stabilität, keine Kontinuität.

Ökonomisch wäre das für Cuba ein herber Rückschritt, denn der US-Tourismus ist gewachsen und das Land richtet sich auf mehr US-Besucher*innen ein.

Richtig, aber Cuba hat mehr als fünfzig Jahre mit der Sanktionspolitik gelebt und überlebt, das können wir auch weitere fünfzig Jahre. Wir sind keine Kolonie der USA und werden es nie wieder sein, auch wenn das Embargo uns nach wie vor das Leben schwer macht. Das bekommen wir gerade wieder zu spüren, denn Ersatzteile für die Reparatur der Stromversorgung nach dem Hurrikan Irma sind nur mit Zusatzkosten zu besorgen. Generell steht Cuba aber deutlich besser da als in den 1990er-Jahren, als wir die schlimmste ökonomische Krise der Geschichte durchlebten.

Sind die US-Tourist*innen für Cuba eine Zukunftsoption?

Der US-Tourismus hat mittlerweile einen ökonomischen Effekt, aber noch lange nicht den, den er haben könnte. Bis dato kommen ja noch keine normalen Tourist*innen. US-Bürger reisen illegal über Drittstaaten ein oder kommen mit Sondergenehmigungen, um das Land kennenzulernen, als Bildungsreisende, im wissenschaftlichen Austausch oder dergleichen. US-Normalbürger*innen haben noch nicht das Recht, nach Cuba zu reisen. Wenn sich das wirklich ändert, wird es eine Welle von US-Tourist*innen geben, und darauf bereiten wir uns vor. Da fehlt aber noch viel, denn die Kapazitäten reichen in der Hochsaison kaum aus. Es gab Berichte über Tourist*innen, die in Parks übernachten müssten. Wir müssen die Qualität der touristischen Dienstleistungen in Cuba erhöhen, da gibt es große Defizite. Aber Cuba hat aus touristischer Perspektive einiges zu bieten: Naturschönheiten, eine lebendige Kulturlandschaft und es ist sehr sicher. Außerdem kann man hier für fünf bis zehn Pesos ins Ballett gehen und welches Land hat schon eine eigene Hochschule für Tanz, die kann man an einer Hand abzählen. Cuba gehört dazu.

Wie denken Sie über die Entscheidung der cubanischen Regierung, die Produktion von Traktoren aus den USA in der Freihandelszone von Mariel nicht zu genehmigen. Was steckt dahinter?

Das ist eine Entscheidung der Verantwortlichen. Sie haben sich dagegen entschieden, aber andere Unternehmen werden kommen und dort produzieren. So zum Beispiel ein spanisches Unternehmen, welches Lebensmittel dort verarbeiten will. Ein großes Werk soll da entstehen. Die Freihandelszone wird langsam ausgebaut, es gibt derzeit 24 Investitionsprojekte, davon sind zwölf abgesegnet und befinden sich in der Umsetzungsphase. Es geht nur sehr langsam voran.

Sie sind ein Verfechter der cubanischen Revolution. Was hat sie dem Land gebracht?

Cuba ist ein anderes Land als 1959. Ich war 17 Jahre alt, als die Revolution siegte. Ich komme aus einer einfachen Familie. Wir haben alle in einem Zimmer gelebt, meine Mutter, mein Vater, meine drei Brüder und ich. Mein Vater war Tischler und meine Mutter Hausfrau. Ich hatte schlechte Zukunftsperspektiven, schwarz und auch noch arm, das hatte keine Zukunft. Heute habe ich zwei Doktortitel, bin Mitglied der Leitung der UNEAC, der Vereinigung der Künstler*innen und Schriftsteller*innen Cubas. Das wäre ich nie geworden ohne die Revolution. Natürlich braucht Cuba den Wandel und es gibt Druck von unten, er müsse schneller vonstatten gehen. Aber dieser Wandel soll den Sozialismus in Cuba nicht beenden, sondern ihn erhalten, denn er steht für ein Minimum an sozialer Gerechtigkeit. Ich denke, das ist nach wie vor Konsens in diesem Land.

Steht dem aber nicht die doppelte Währung entgegen? Cuba lebt seit 24 Jahren mit dem schwachen Peso nacional, in dem alle Staatsangestellten bezahlt werden, und dem an den US-Dollar gekoppelten Peso convertible (CUC).

Generell ist es richtig, dass die Löhne zu niedrig sind und mit der Legalisierung der Arbeit auf eigene Rechnung (Trabajo por Cuenta Propia) ist da ein bisschen Bewegung eingekehrt. Wichtige Berufe, etwa im Bildungssektor, sollen alsbald aufgewertet werden. Es sind Lohnerhöhungen vorgesehen, ähnlich wie das bei den Ärzten schon passiert ist. Das ist überfällig, denn viele Lehrer*innen haben die Schulen oder gar die Insel verlassen, um sich bessere Perspektiven zu suchen. So hat etwa die Provinz Havanna ein Defizit an Bildungspersonal und das liegt in erster Linie an den geringen Löhnen.

Aber keine Währungsreform?

Das ist ein anderes Thema. Als wir die doppelte Währung eingeführt haben, hat sie uns geholfen und das Überleben gesichert. Das war im Sommer 1993. Danach hat sich die Situation langsam verändert. Die doppelte Währung macht auch eine doppelte Buchführung nötig, sie sorgt für viel Bürokratie. Und obwohl wir letztlich mit dem US-Dollar als Referenz leben, ist Cuba einiges der wenigen Länder, wo die heimische Währung mehr wert ist als der US-Dollar. Wenn ich hier einen US-Dollar wechsle, erhalte ich 87 CUC-Cent, er wird de facto abgewertet. Das ist ein harter Eingriff.

Gleichwohl gibt es keine Pläne, die Reform anzuschieben, obwohl es in Cuba quasi ein Fluch ist, für den Staat zu arbeiten, denn der staatliche Lohn ist oft nicht ausreichend. Es gibt keinen Ausweg, wir müssen wieder zur einheitlichen Währung zurückkommen.

Das Gespräch führte Knut Henkel im September 2017 in Havanna.