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Angekommen in Berlin

Buchbesprechung: Viver em outra língua – ein Roman über brasilianische Migrant*innen
Gaby Küppers

4144 Brasilianer*innen lebten laut Business Location Center 2015 in Berlin. Das sind 0,7 Prozent der Berliner Bevölkerung, nicht gerade umwerfend viel. Erfasst hat das BLC aber wohl nur die für ein Business verwertbaren Menschen mit gültigen Aufenthaltspapieren. Tatsächlich leben deutlich mehr Bürger*innen des größten Landes Lateinamerikas in der jetzigen deutschen Hauptstadt. Viviane de Santana, Anfang der 90er-Jahre in Bonn in der Redaktion der ila-latina aktiv und später lange in der Kulturabteilung der brasilianischen Botschaft in Berlin tätig, beschreibt sie alle in ihrem ersten Roman „Viver em outra língua“ in portugiesischer Sprache. 

Vom Seitensprünge liebenden Gitarristen Ubirajara do Nascimento Ohnesorgen zur evangelikalen Restaurantbesitzerin Graça Maria da Silva Bitburger, vom vom Freund sitzengelassenen Schwulen Wanderson da Castro Silva Alves zur vom Ehemann sitzengelassenen spiritistischen Vanderlúcia Maria da Conceição Krombacher, vom Architekten und alleinerziehenden Vater Mário Escaravelho zur papierlosen Maiara Guaraní de Alencar, die als Babysitterin des Sohnes heimlich Mários Tagebuch liest und irgendwann nach einer Polizeikontrolle im Abschiebeknast landet: die Autorin durchstreift die Fauna der Brasilianer*innen in Berlin, leuchtet dabei eine Menge Milieus, Stadtviertel und Treffpunkte aus und zeichnet typische Gespräche auf.

Nach dem Serienprinzip der „Lindenstraße“ garantiert die Wiederkehr einiger der Protagonist*innen dabei den lockeren Zusammenhalt als „Roman“. Die Kapitel enthalten Episoden zwischen 2002 und 2006, als der Mauerfall noch in den Köpfen präsent und das Thema Migration noch nicht überlagert war von den aktuellen Schreckensszenarien hasserfüllter Gewalt. Die Autorin pendelt von der Hochzeitsfeier im brasilianischen Restaurant Tupininquim zum Auswahlgespräch in einer Wohngemeinschaft, vom arbeitslosen Zeitungsverkäufer, der in der U-Bahn die letzte Ausgabe von Motz anpreist, zu den Smalltalks (Pseudo-) Intellektueller bei Ausstellungseröffnungen, von der Wohnküche mit schreiendem Baby zum Bad im Wannsee.

Alle Brasilianer*innen essen und trinken dabei vom Köstlichsten aus der brasilianischen Küche, während die Deutschen fast ausschließlich Bockwurst und Kartoffelsalat zu mögen scheinen.

Für Brasilianer*innen hat sich die Autorin die skurrilsten Namen ausgedacht, oft in Anlehnung an berühmte Gestalten der brasilianischen Kulturgeschichte; die Deutschen heißen wie Biermarken, von Jever bis Veltins. Die Figuren sind tatsächlich allesamt Platzhalter zur Vermittlung von Kenntnis und Ansichten über die deutsche wie auch brasilianische Geschichte und Kulturszene. Das macht die Dialoge mitunter thesenhaft und wenig realistisch – wer wüsste schon auf Anhieb alle berühmten Architekten Berlins oder Maler Deutschlands aufzuzählen oder angesagte Romaninhalte zu zitieren.

Viviane de Santana bringt in ihrem Buch viel von dem unter, was sie weiß, vom Ausgang der brasilianischen Diktatur bis zur Stasi und den Fluchthelfern am Todesstreifen zwischen BRD und DDR. So bleibt unklar, wer das angezielte Lesepublikum sein soll. Auch das Leben in einer anderen Sprache, von ihrem Landsmann Zé do Rock so kongenial  und wörtlich „zur Sprache gebracht“, wird nicht wirklich reflektiert. Gelungen dagegen sind diejenigen Passagen, in denen Viviane de Santana zeigt, dass sie vor allem Dichterin ist. Wann immer Orte in Berlin beschrieben werden, wird deutlich, dass sie in ihrer Sprache zu Hause ist.

Bezug: A Livraria, Torstr. 159, 10115 Berlin
http://alivraria.de/