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Langer und holpriger Weg zum Frieden

In Kolumbien ist die Lage weiter äußerst kompliziert

Vor rund einem Jahr, am 26. September 2016, unterzeichnete die kolumbianische Regierung nach vier Jahren Verhandlungen in Havanna das Friedensabkommen mit der FARC-Guerilla. Doch in der Volksbefragung am 2. Oktober stimmte eine knappe Mehrheit gegen den ausgehandelten Vertrag. Nur 37 Prozent der Wahlberechtigten beteiligten sich an der Abstimmung. Im Vorfeld agitierte die extreme Rechte mit einer massiven Desinformationskampagne im Stil von Brexit und Trump gegen das Abkommen. Um dem Friedensvertrag doch noch den Anschein einer breiteren Zustimmung und Legitimität zu verleihen, verhandelte Santos mit den ultrarechten Vertragsgegnern um Ex-Präsident Uribe. Etliche Änderungsvorschläge insbesondere in Bezug auf die geplante Landreform flossen in den Vertragstext ein, zu Lasten der Rechte der Campesinos/as und zu Gunsten von Agrarkonzernen und Großgrundbesitzern. Am 24. November stimmte die FARC zu und am 30. November wurde der Friedensvertrag vom kolumbianischen Senat und dem Repräsentantenhaus einstimmig angenommen. Seitdem gab es einige Fortschritte im Friedensprozess, aber auch Rückschritte und neue Gewaltakte der ultrarechten Paramilitärs.

Jochen Schüller

Schon fünf Tage nach dem Inkrafttreten des Friedensabkommens am 1. Dezember 2016 begann die Demobilisierung der fast 7000 Guerilleros/as, die sich in von der Regierung bereitgestellten „Entwaffnungs- und Normalisierungszonen“ zusammenfinden sollten. Doch hier fehlte oft sämtliche Infrastruktur, sodass die Guerillakämpfer*innen sich selbst um Unterkünfte, Nahrung und medizinische Versorgung kümmern mussten. Dennoch demobilisierten sich rund 6800 Kämpfer*innen und gaben bis Ende Juni 7132 Waffen ab, also mehr als eine Waffe pro Kombattant*in. Außergewöhnlich im Vergleich zu den 31671 Paramilitärs, die seinerzeit lediglich 18051 Waffen abgaben. Die FARC-Guerilla hat mit der Entwaffnung und Demobilisierung einen wichtigen Teil der Vereinbarungen des Friedensvertrags erfüllt. Das kann die Regierung von Santos nur bedingt für sich in Anspruch nehmen.
Vieles läuft schleppend, insbesondere bei der Umsetzung der im Friedensvertrag vereinbarten Amnestie und Freilassung bzw. Strafaussetzung der 3336 FARC-Häftlinge. Erst ein wochenlanger Hungerstreik von 1500 inhaftierten FARC-Kämpfern und scharfe Kritik der UNO führten zu einem Agieren der Regierung. Vertrauensbildung geht anders. Nun soll ein Dekret des Präsidenten die bislang schleppende Amnestierung beschleunigen.

Auch um andere Teile des Friedensvertrags wird gerungen, der in Gesetzen und Verordnungen konkretisiert und geregelt werden muss.

Kernstück des Friedensabkommens ist das System für Wahrheit, Gerechtigkeit, Wiedergutmachung und Nichtwiederholung. Verbrechen sollen aufgeklärt und Täter*innen ermittelt und bestraft, Opfer entschädigt und eine Nichtwiederholung der Verbrechen garantiert werden. Dazu soll unter anderem die Sonderjustiz für den Frieden entstehen. Ihr sollen sich Guerilleros/-as, Angehörige der staatlichen Sicherheitskräfte aber auch in den Konflikt involvierte Dritte unterwerfen. Bei politischen Delikten soll eine Amnestie greifen, bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen besteht die Möglichkeit der deutlichen Strafminderung mit lediglich fünf bis acht Jahren Haft, wenn der oder die Täter*in zur Wahrheitsfindung beiträgt und umfassend aussagt und gesteht. Diese Sonderjustiz zielt insgesamt stärker auf restaurative Maßnahmen als auf Bestrafung.
In dem im März verabschiedeten Gesetz für die Sonderjustiz finden sich jedoch Einschränkungen bzw. Sonderregelungen für Militär- und Polizeiangehörige, die den ursprünglichen Gedanken des Friedensabkommens unterhöhlen und die Rechte der Opfer des Konflikts verletzen. So müssen sich Mitglieder der staatlichen Sicherheitskräfte lediglich zu Taten bekennen und dafür um Vergebung bitten und kommen dann frei, ohne dass weitere Ermittlungen angestellt würden. Das verhindert eine integrale Wahrheitsfindung und somit auch die Wiedergutmachung für die Opfer, die nur möglich ist, wenn Verbrechen aufgeklärt werden. Außerdem sollen die Täter aus Polizei und Armee nicht automatisch aus den Reihen der Sicherheitskräfte entfernt werden. Das ermögliche und begünstige Wiederholungstaten, so die berechtigte Klage von Opferverbänden und Menschenrechtsorganisationen.
Diese sehen auch das Römische Statut – also internationales Recht – verletzt, weil zusätzlich die Verantwortung von Befehlshabenden für die Verbrechen ihrer Verbände negiert wird – auch als Verantwortung der Befehlskette bekannt.
Ein Schlag ins Gesicht der Opfer ist auch, dass Privatpersonen – also zum Beispiel Unternehmer*innen – nur noch eingeschränkt zur Verantwortung gezogen werden, wenn sie als Hintermänner paramilitärischer Gewalttaten wie Vertreibung, Mord und Massakern mitverantwortlich sind und diese zum Beispiel finanziert und davon profitiert haben.

Daher befindet sich das Gesetz zur Sonderjustiz für den Frieden zur Zeit vor dem kolumbianischen Verfassungsgericht. Auch der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) hat ein verstärktes Interesse für Kolumbien entwickelt. Er hatte jüngst in einen Bericht auf die mögliche Verantwortung von 23 Generälen und sechs Obersten der Armee für fast 1300 außergerichtliche Hinrichtungen hingewiesen. Sollten diese – und wohl auch ähnliche – Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Kolumbien nicht umfassend ermittelt und angeklagt werden, könnte der IStGH seine Zuständigkeit erklären und die Strafverfolgung aufnehmen.

Während die Gewalt in Kolumbien allgemein abnimmt, verzeichnet das Land einen massiven Anstieg von Morden und Gewalt gegen Menschenrechtsverteidiger*innen und Aktivist*innen sozialer Bewegungen, darunter auch viele Umweltaktivist*innen. Täter*innen sind meist neo-paramilitärische Gruppen und Drogenkartelle.

Insbesondere in Regionen, in denen die FARC früher die Kontrolle ausübte, versuchen regional erstarkende Neo-Paramilitärs und mafiöse Strukturen diese zu übernehmen. Manche ehemaligen FARC-Gebiete okkupieren jedoch auch ELN oder EPL, die noch verbleibenden Guerilla-Gruppen. Hier kommt es insbesondere zu Auseinandersetzungen mit Paramilitärs und Armee – was im August im Chocó eine humanitäre Krise für die Zivilbevölkerung verursachte.
Widersprüchlich: Die Stiftung Paz y Reconciliación sieht auch erste Fortschritte in der Sicherheitspolitik, da nun langsam verschiedene Einheiten von Polizei und Armee aufgebaut werden zur Sicherung der ehemaligen FARC-Gebiete, zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität und zum Schutz der entwaffneten Ex-FARC-Kämpfer*innen.

Währenddessen macht die ELN-Guerilla weiterhin mit Sabotageakten und Entführungen auf sich aufmerksam. Seit Februar verhandelt sie mit der kolumbianischen Regierung im Nachbarland Ecuador. In der laufenden zweiten Runde erhoffen sich viele Beobachter*innen einen Durchbruch zu einem längerfristigen Waffenstillstand, insbesondere anlässlich des Papstbesuches Anfang September. Auch wenn sie eine relativ breite politische Basis hat, ist die ELN mit ca. 1500 Kämpfer*innen militärisch wesentlich unbedeutender, als es die FARC war. Das bestimmt natürlich ihre Verhandlungsstärke. Ihre Forderungen sind bisweilen zudem grundlegender, ihre Unterstützer*innen leben oft in rohstoffreichen Gebieten mit Bergbaukonflikten – ein Thema, das die Regierung nicht anrühren will. Daher wird ein Friedensschluss nicht einfach, auch wenn durch den Vertrag mit der FARC schon ein Rahmen vorgesteckt ist, der sicherlich kaum gesprengt werden wird. Außerdem drängt die Zeit, da der Ausgang der Präsidentschaftswahlen 2018 möglicherweise nicht förderlich für weitere Verhandlungen ist. Das Land ist polarisiert, Uribe und Konsorten wollen den Rollback. Die parteiübergreifende Allianz für den Frieden, auf die sich Santos noch im Parlament stützen kann, bröckelt. Mit einer Kampagne für die Fortführung des Friedensprozesses sind Wahlen nur schwer zu gewinnen. Das Ziel von ELN und Regierung wird daher sein, vorher zu einem Abschluss zu kommen.

Das hat die FARC hinter sich und will nun von der Guerillabewegung zur Partei werden: Am 1. September 2017 findet der Gründungsparteitag statt, an dem auch der Parteiname beschlossen wird, voraussichtlich soll sie „Esperanza del Pueblo“ heißen. Der letzte Versuch einer Parteigründung durch die FARC mündete im Massenmord an deren Mitgliedern: Rund 3000 Mitglieder der Unión Patriótica (UP) wurden von Paramilitärs und staatlichen Sicherheitskräften in den 80er- und 90er-Jahren ermordet, darunter etliche Bürgermeister, Parlamentarier und zwei Präsidentschaftskandidaten.

Der Menschenrechtler Padre Javier Giraldo hält ein solches Szenario auch heute für durchaus denkbar, während der Polo-Democrático-Abgeordnete Alirio Uribe Muñoz – ehemals bei der angesehenen Anwaltsvereinigung Colectivo de Abogados José Alvear Restrepo – eine solche Hexenjagd als unwahrscheinlich bezeichnet. (Vgl. die nebenstehenden Interviews)

Seit der Unterzeichnung des Friedensabkommens sind sieben Ex-Guerilleros und neun Familienangehörige von FARC-Mitgliedern ermordet worden, unter ihnen der ehemalige Milizen-chef der 18. Front der FARC Jesús Adán Mazo. Außerdem erklärte der Anwalt der FARC – Enrique Santiago – gegenüber der Presse, dass sie von einem Kopfgeld von je einer Million Dollar für die Ermordung jedes einzelnen der neun obersten (Ex-)Kommandanten der FARC erfahren hätten, das eine nichtidentifizierte kriminelle Gruppe ausgesetzt hätte. Die Ex-Guerilla forderte daher die Regierung auf, ihrer Schutzpflicht für die entwaffneten Kämpfer*innen nachzukommen und die Morde aufzuklären. Hoffentlich behält der Pessimist Javier Giraldo am Ende nicht doch Recht.