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Löwinnen gegen PepsiCo

Kampf gegen Entlassungen in Buenos Aires

Seit der Regierungsübernahme von Präsident Macri in Argentinien Ende 2015 stürzt eine Entlassungswelle Hunderttausende in Armut. Arbeiter*innen der Lebensmittelfabrik PepsiCo Alimentos wehren sich seit Juni 2017 gegen die Schließung des Betriebes. Sie sind mit heftiger Repression konfrontiert, erfahren aber auch große Solidarität.

Alix Arnold

Am 20. Juni 2017, einem Feiertag in Argentinien, standen die Arbeiter*innen, die an diesem Tag arbeiten sollten, vor dem verschlossenen Fabriktor und einem Zettel, auf dem ihnen mitgeteilt wurde, dass der Betrieb geschlossen und die Produktion verlagert werde. Sie seien bis auf weiteres von der Arbeit freigestellt und sollten weitere Nachrichten abwarten. Die Kolleg*innen riefen sofort per Handynachricht zu einer Versammlung vor der Fabrik auf, wo sie beschlossen, den Kampf um ihre Arbeitsplätze aufzunehmen. Drei Tage später gingen sie zur zuständigen Lebensmittelgewerkschaft STIA und forderten sie auf, den Kampf um die Wiedereröffnung der Fabrik materiell und mit Arbeitsniederlegungen in anderen Betrieben zu unterstützen. Deren Vorsitzender Rodolfo Daer, einer der altgedienten peronistischen „Gewerkschaftsbürokraten“ in Argentinien, lehnte dies rundweg ab. Der kämpferische Teil der Gewerkschaft konnte sich gegen seine Linie, die Abfindungen zu akzeptieren, nicht durchsetzen. Die Arbeiter*innen trafen sich daraufhin nach einer Demonstration zum Arbeitsministerium wieder vor der Fabrik, um eigenständige Maßnahmen zu beratschlagen. Neben den Parolen gegen die Schließung steht dort an der Mauer nun auch: „Verräter Daer“.

Am 26. Juni wollten die Kolleg*innen einen Teil der Autobahn Panamericana blockieren – eine durchaus übliche Protestmaßnahme im Industriegebiet Zona Norte im Norden von Buenos Aires. Aber die Militärpolizei war bereits mit großem Aufgebot vor Ort und drohte außerdem, während einer Blockade die Maschinen aus der Fabrik zu räumen. Daraufhin besetzten die Arbeiter*innen statt der Panamericana die Fabrik.

In dem Betrieb im Stadtteil Florida, der für den Multi PepsiCo Chips und andere Snacks herstellt, hatte es schon vorher Gerüchte über eine mögliche Schließung gegeben. Aufträge und Rohstoffe waren in eine Filiale des Unternehmens in Mar del Plata und an Zulieferer mit schlechteren Arbeitsbedingungen ausgelagert worden. Darauf angesprochen, versicherten die Chefs jedoch den 600 Beschäftigten, die Produktion sei für das ganze Jahr gesichert. Dass Überstunden gefahren wurden, schien diese Ansage zu bestätigen. Die plötzlich behauptete Krise des Standortes, mit der das Unternehmen die Schließung begründet, ist für die Arbeiter*innen nicht glaubhaft. Sie sehen darin nur einen weiteren Versuch, durchgesetzte Verbesserungen zurückzuschrauben, und an anderen Standorten mit billigerer Arbeitskraft noch mehr Profit zu machen. PepsiCo verzeichnet steigende Gewinne, gerade auch durch die Produktion von Snacks und Kartoffelchips. Die PepsiCo-Geschäftsführerin Indra Nooyi strich 2016 für ihre Tätigkeit 29,8 Millionen Dollar ein. Die Entlassenen müssten dafür bei ihrem derzeitigen Lohn 2200 Jahre arbeiten.

200 Frauen haben in der Fabrik gearbeitet. Viele von ihnen sind in ihrer Familie Allein- oder Hauptverdienerinnen. Dies ist in Argentinien bei mehr als 40 Prozent der Haushalte der Fall. Bei der Auseinandersetzung um die Arbeitsplätze stehen die „Löwinnen von PepsiCo“, wie sie von Aktivist*innen ehrfurchtsvoll genannt werden, in der ersten Reihe. Für Catalina „Katy“ Balaguer, die seit zwanzig Jahren bei PepsiCo Snacks arbeitet, ist dies bereits die zweite Entlassung. 2002 wurde ihr wegen angeblich mangelhafter Leistung gekündigt. Tatsächlich wollte PepsiCo eine engagierte Kollegin loswerden, die sich der trotzkistischen Partei PTS angeschlossen hatte und sich im Betrieb für die Rechte von Frauen und Befristeten einsetzte. Ein Jahr und sieben Monate dauerten die Kampagne und der Rechtsstreit, mit dem sie in letzter Instanz ihre Wiedereinstellung durchsetzen konnte. Seitdem haben sich die kämpferischen Kolleg*innen bei PepsiCo organisiert, sie konnten den Betriebsrat übernehmen und haben eine Menge erreicht: Mutterschutz, gleiche Lohngruppen für Männer und Frauen (was im Tarifvertrag der Gewerkschaft nicht vorgesehen war), Freistellung bei Krankheit der Kinder und bezahlte Kinderbetreuung, längere Pausen sowie Schonarbeitsplätze für Kolleg*innen, die durch die harte körperliche Arbeit verschlissen sind. Immer wieder ging es um die Festeinstellung der prekär Beschäftigten, die sich unter dem Druck ihrer ständig drohenden Entlassung zu 16-Stunden-Schichten und anderen Zumutungen genötigt sahen. Die Kolleg*innen haben bereits eine Menge Erfahrung mit schwierigen Situationen und Aktionen.

Am 13. Juli räumte ein Großaufgebot von Polizei und Gendarmerie mit Knüppeln, Tränengas, Pfefferspray und Gummigeschossen die besetzte Fabrik. 15 Kolleg*innen wurden dabei verletzt. Presse war bei der Räumung nicht zugelassen. Die Nachbar*innen solidarisierten sich mit einem Cacerolazo, dem Schlagen auf Topfdeckel. Noch für denselben Tag wurde zur Protestdemonstration bei der traditionellen Donnerstagsrunde der Mütter der Plaza de Mayo aufgerufen. Am 18. Juli gingen in Buenos Aires 30 000 Menschen mit den Arbeiter*innen von PepsiCo auf die Straße, und es gab weitere Solidaritätsdemonstrationen in Rosario und Santa Fé, bei denen es auch allgemein um die Entlassungswelle und die zunehmende Repression gegen Arbeiter*innen ging. Nach offiziellen Angaben (INDEC) lag die Arbeitslosigkeit 2017 in den ersten drei Monaten bei 9,2 Prozent. Hinzu kommen 9,9 Prozent Unterbeschäftigte. Das sind insgesamt 3,3 Millionen Betroffene. Dass sich Arbeiter*innen gegen ihre Entlassung wehren, ist für viele ein Lichtblick.

Nach der Demonstration bauten die Kolleg*innen vor dem Kongress in Buenos Aires ein Protestzelt auf. Außerdem organisierten sie sich in drei Schichten, um die geräumte Fabrik zu bewachen. Sie arbeiteten einen Vorschlag zur Enteignung aus, um die Produktion gegebenenfalls selbst weiterführen zu können. Dieser Vorschlag sollte bei einem weiteren Aktionstag am 26. Juli übergeben werden, was wiederum zu einem Polizeiangriff mit Knüppeln und Tränengas vor dem Kongress führte. Von der Lebensmittelgewerkschaft STIA, die in diesen Tagen in Buenos Aires eine Konferenz abhielt, ist auch weiterhin keine Unterstützung zu erwarten. Der Konflikt um PepsiCo wurde dort noch nicht einmal erwähnt. Aber das Protestzelt wird zunehmend zu einem Kristallisationspunkt. Der Aktionstag endete dort mit einem Frauentreffen. Die „Löwinnen“ sind selbst in der Bewegung gegen sexistische Gewalt #NiUnaMenos aktiv und bekommen nun viel Unterstützung für die neue Parole „Ni Una Menos sin Trabajo“ (Keine weitere Arbeitslose). Solidaritätsadressen kommen auch von Arbeiter*innen aus anderen Ländern, und Aktivist*innen verbreiten die Boykottkampagne gegen Produkte von PepsiCo.

Am 3. August organisierten die Kolleg*innen einen Autokorso, der an verschiedenen Orten im Großraum Buenos Aires startete und die Hauptzufahrtsstraßen zeitweilig lahmlegte. Ziel war wiederum der Kongress, um den Enteignungsantrag abzugeben, und eine weitere Station das Arbeitsministerium, wo sie aber weder Stellungnahme noch Termin bekamen. Macris Politik, den Multis beste Ausbeutungsbedingungen anzubieten, bekommen die Arbeiter*innen von PepsiCo mit voller Härte zu spüren. Trotz erneuter Polizeiprovokationen gelang es der Demonstration jedoch, durch das für Demonstrationen eigentlich unübliche Büro- und Bankenviertel Microcentro wieder zum Kongress zu gelangen, wo der Tag mit einer Kundgebung am Zelt beschlossen wurde. Am folgenden Sonntag trafen sich dort 10 000 Leute bei einem Solidaritätskonzert.

Am 22. August nutzten die Kolleg*innen eine Demonstration des Gewerkschaftsverbandes CGT für eine eigene Mobilisierung. Sie begannen den Tag mit einer Blockade der Hauptverkehrsstraße am Obelisk. Danach sammelte sich an ihrem Protestzelt der Block kämpferischer Gewerkschafter*innen für einen eigenen Demozug. Von der CGT fordern sie einen sofortigen Generalstreik und von Macri das „Wiederauftauchen“ des verschwundenen Santiago Maldonado (siehe Kasten). Die CGT kündigte auf ihrer Kundgebung jedoch lediglich an, Ende September (!) über weitere Maßnahmen beraten zu wollen. Die Arbeiter*innen von PepsiCo suchen jetzt politische Unterstützung für die Enteignung der Fabrik. Seit mehr als zwei Monaten kämpfen die Löwinnen gegen ihre Entlassung. Um in dieser repressiven Zeit die Übernahme und Selbstverwaltung der Fabrik eines Multis durchzusetzen, werden sie noch viel Kraft und Solidarität brauchen.