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Die Kuh ist nicht das Problem...

Die Tierärztin Anita Idel rehabilitiert Rindvieh und Co.

In der öffentlichen Diskussion ist alles ganz einfach: Die Kuh ist ein Klimakiller. Punkt! Landwirte und ihre Betriebe sind nach dieser Logik ebenfalls CO2-Schleudern, die man eigentlich aus dem Verkehr ziehen sollte. Hauptproblem der Landwirtschaft, so hören und lesen wir: Das klimaschädliche Rindvieh rülpst riesige Mengen Methan in die Atmosphäre. Und gelegentlich furzt es auch noch. Wegen dieser Emissionen werden Kühe gern mit Autos verglichen – und verlieren, denn ihr Ausstoß besteht nicht aus Kohlendioxid, sondern aus Methan, das vielfach schädlicher ist fürs Klima als das simple CO2.

Anita Idel

Weil die Rinder aufgrund ihres Methanausstoßes extreme Klimakiller seien, wird in zahlreichen Medien zur Lösung des Problems ernsthaft gefordert, dass Landwirte mehr Schweine und Hühner halten sollten. Die VerbraucherInnen sollten mehr chicken wings und Schweineschnitzel essen statt Rindersteaks. Soweit der Sachstand des durchschnittlichen Spiegellesers („Das Rülpsen der Rinder“, Ausgabe 42, Seite 68).

Was ist an dieser Diskussion falsch? Beinahe alles. Erstens wirft man einen sehr oberflächlichen und folglich pauschalen Blick auf die Landwirtschaft, statt zwischen den verschiedenen Agrarsystemen zu unterscheiden – von nachhaltig und ressourcenschonend bis energieaufwändig industrialisiert. Zweitens beschränkt sich der Blick auf nur ein Klimagas, das Methan, ohne das viel relevantere Lachgas einzubeziehen und über den Tellerrand zu schauen. Denn drittens zählen zum Gesamtbild auch die positiven Effekte grasender Wiederkäuer. Ihr Beitrag für die Humusbildung und damit für die Klimaentlastung wird in Gänze unterschlagen. Deshalb meine Gegenthese: Bei näherem Hinsehen erweisen sich manche Kuh und mancher Bauernhof mit nachhaltiger Grünlandnutzung plötzlich als lupenreine Klimaschützer!

Zunächst zeigt sich, dass die Fixierung auf das Methan aus dem Pansen von Kuh und Co. zu kurz greift. Nicht vom Methan, sondern vom Lachgas geht die größte agrarische Bedrohung für das Klima aus: 75 Prozent des gesamten Lachgasausstoßes in Europa wird von der Landwirtschaft verursacht. Methan ist 25mal klimaschädlicher als CO2, aber Lachgas ist 296mal schädlicher. Lachgas wird vor allem beim Ausbringen von Kunstdünger für das Turbowachstum der Monokulturen freigesetzt. Gerade die Futterpflanzen für Abermillionen Schweine, Hühner, Puten und Rinder aus der Massentierhaltung werden intensiv gedüngt. Bereits mehr als ein Drittel der weltweiten Getreideernte wird an das sogenannte Nutzvieh verfüttert.

Stelle ich in nachhaltiger Landwirtschaft die Kühe aber auf die Weide, sprich aufs Grünland, dann fressen sie eben keine mit Kunstdünger gemästeten Futterpflanzen. Und es passiert noch sehr viel mehr bei diesem Weidegang. Kühe und andere Graser pflegen unsere Landschaft und halten jenes Grün-, Weide- und Steppenland intakt, das rund 40 Prozent der weltweiten Landfläche ausmacht. Dauerbegrüntes Land speichert große Mengen Kohlenstoff, nicht nur in den oberflächlichen Graspflanzen, sondern vor allem im Boden. Nachhaltige Beweidung fördert die Humusbildung. Und jede Tonne zusätzlicher Humus im Boden entlastet die Atmosphäre um mehr als 1,8 Tonnen CO2. Gleichzeitig ist dieser Humus Garant der Bodenfruchtbarkeit, laut Weltagrarbericht die Basis unserer künftigen Versorgung mit Lebensmitteln.

Eine tragende Rolle für die Humusentstehung spielen die Wurzeln der Gräser. Man könnte vereinfacht sagen: Die Wurzeln von heute sind der Humus von morgen. Die Wurzelbildung hängt direkt vom Rhythmus der Beweidung ab. Ganz entscheidend ist dabei, dass dem Grasland bei der Beweidung immer wieder eine Pause gegönnt wird. Die Tiere ziehen weiter, das abgefressene und mit ihren Exkrementen versorgte Grasland regeneriert und kann neue Wurzeln ausbilden, die frisches Gras wachsen lassen. Ein Musterbeispiel für diesen Prozess sind die einst von riesigen Bisonherden beweideten Prärien Nordamerikas, wo meterdicke Humusschichten entstanden. Heute weisen die nordamerikanischen Böden Humusverluste von über 25 Prozent auf.

Die Klimabilanzen nachhaltiger Grünlandkühe ergeben ein völlig anderes Bild als die der in Massentierhaltung intensiv gefütterten Rinder. Je nach System ist Kuh eben nicht gleich Kuh. Kühe, Schafe und Büffel besitzen aber die großartige Fähigkeit, in Symbiose mit ihren Mikroorganismen im Pansen Weidefutter in Milch und Fleisch umzuwandeln. Sie sind deshalb zur Nutzung derjenigen Flächen prädestiniert, die nicht beackert, aber wie Almen oder Grassteppen durch nachhaltige Beweidung vor Erosion geschützt werden.

So betrachtet entsteht nicht nur eine andere Klimabilanz, sondern auch ein völlig anderer Blick auf die Landwirtschaft. Nicht die Kuh ist der GAU, sondern landwirtschaftliche Systeme, die unsere Nutztiere vom Grasland aussperren und mit immer eiweißreicherem Kraftfutter aus Mais, Soja und Getreide zu Nahrungskonkurrenten des Menschen machen. Milch und Fleisch aus Intensivproduktion sind nur scheinbar billig. Die Rechnung kommt später. Auf dieser Rechnung stehen auch die verdrängte biologische Vielfalt und der für den Futtermittelanbau gerodete (Regen-) Wald.

Ja, Kühe rülpsen Methan. Dennoch sind Rinder unverzichtbar für die Welternährung – durch ihren Beitrag zur Erhaltung der Bodenfruchtbarkeit und zur Begrenzung des Klimawandels in nachhaltiger Weidehaltung. Deshalb müssen wir nicht nur die Kuh rehabilitieren, sondern auch die Systemfrage stellen. Die Entscheidung, ob wir mit Kühen das Klima killen oder das Klima schützen, liegt bei uns.

Der Beitrag, den uns Anita Idel freundlicherweise zur Verfügung gestellt hat, ist zuerst in der Ausgabe 1/2011 der von der Deutschen Umwelthilfe herausgegebenen Zeitschrift ZEO2 erschienen.