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Der Wechsel

Ollanta Humala hat in Peru die Regierung übernommen

Am 28. Juli 2011 hat Ollanta Humala offiziell die Präsidentschaft Perus übernommen. Im entscheidenden zweiten Wahlgang am 6. Juni hatte der von der Linken und Teilen des Zentrums unterstützte Ex-Militär knapp gegen Keiko Fujimori, die Tochter und Bannerträgerin des ehemaligen Diktators Alberto Fujimori, gewonnen. Zwar war damit die Gefahr einer Regierungsübernahme der extremen Rechten abgewendet, einen „Linksruck“ bedeutet das aber keineswegs, wie die ersten Ankündigungen und die Zusammensetzung der Regierung Humala zeigen.

Daniel Silva

Mittlerweile scheinen wir uns in Peru daran zu gewöhnen, unsere Regierungen durch demokratische Wahlen zu bekommen, zumindest im herkömmlichen, offiziellen Sinn. Zwischen den Wahlen von 1980, als Belaunde Terry nach zwölf Jahren Militärherrschaft zurückkehrte, bis zum Jahr 2011 blicken wir auf 30 Jahre ohne Militärputsche zurück. Traumhaft! Vorher traten Staatsstreiche des Militärs in Peru zyklisch auf. Es gab mehrere Rechtsextremisten, Sánchez Cerro, Benavides oder Odria, die mit den Reichen des Landes und dem militärischen Oberkommando paktierten, und es gab 1968 auch einen linksgerichteten Putsch, der für sieben Jahre General Velasco Alvarado an die Macht brachte, ehe der konservative General Morales Bermúdez für fünf weitere Jahre die Macht übernahm. Allein die Tatsache, dass Militärputsche in den letzten drei Jahrzehnten ausblieben, lässt einen leichter atmen in Peru.

Interessanterweise gab es bei den jüngsten Putschversuchen aus dem Militär zwei unter direkter Beteiligung der aktuellen Präsidentenfamilie. Der neue Präsident Ollanta Humala rebellierte 2000 gegen Fujimori in Locumba – eher symbolisch und nicht wirklich realistisch – und sein Bruder Antauro proklamierte im Jahr 2005 in Andahuaylas die Revolution gegen die Regierung Toledo. Bei diesem Aufstand wurden mehrere Polizisten getötet, wofür Antauro derzeit eine Gefängnisstrafe absitzt.

Der letzte erfolgreiche Putsch in Peru war nicht militärisch. Es war ein „Selbst-Putsch”. Im April 1992 löste der damalige gewählte Präsident Alberto Fujimori das Parlament auf, regierte erst ohne Kontrolle, ließ dann ein ihm höriges Parlament wählen, verkündete eine neue Verfassung und ermöglichte sich damit die Wiederwahl, was in Peru bis dahin nicht möglich war. Er tat das alles anscheinend mit der Unterstützung der Mehrheit der Bevölkerung. Heute wissen wir, wie korrupt und damit illegitim die Wahlen und Volksabstimmungen waren, die versuchten, seinen Maßnahmen einen demokratischen Anstrich zu geben. Was nicht geleugnet werden kann, ist, dass der Chino (Chinese – so wurde Fujimori wegen seiner japanischen Herkunft genannt – die Red.) in Teilen der Bevölkerung eine Basis hatte, die ihm bis heute treu geblieben ist. Eine Treue zu einem korrupten System und dem, was dieses anbot: gelegentliche Geschenke und Almosen für die Armen und Verträge für die großen Unternehmen. Die treue Basis ihres Vaters brachte Alberto Fujimoris Tochter Keiko in diesem Jahr 20 Prozent der Stimmen und sie damit in die Stichwahl.

Wir Peruaner neigen dazu, ein sehr kurzes Gedächtnis zu haben. Wir haben 2006 Alan García wiedergewählt, trotz des Fiaskos seiner ersten Präsidentschaft (1985-90), und hätten fast eine zweite Regierung Fujimori gewählt (Alberto Fujimori verbüßt zur Zeit wegen der schweren Menschenrechtsverletzungen während seiner De-Facto-Diktatur eine lebenslange Freiheitsstrafe). Doch soweit kam es zum Glück nicht. Humalas Sieg war eine starke Botschaft und das sollte nicht so einfach vergessen werden. Damit wird offenbar bestätigt, dass das politische System von der Mehrheit der PeruanerInnen akzeptiert oder zumindest toleriert wird. Ob das System wirklich demokratisch ist, in dem Sinne, dass es gerecht ist, steht auf einem anderen Blatt.

In seiner ersten Rede als Präsident kündigte Ollanta Humala die Beibehaltung des auf Rohstoffexporten basierenden Wirtschaftsmodells an. Gleichzeitig soll die soziale Integration verbesert werden, was nichts anderes heißt, als dass der Reichtum etwas besser verteilt werden soll. Er kündigte eine Erhöhung des Mindestlohns und die Umsetzung von sozialen Programmen für Ernährung, Gesundheit und Kinderbetreuung an. Dagegen vermied er es, auf Themen einzugehen, bei denen das Regierungsprogramm noch nicht ausdiskutiert zu sein scheint, wie z.B. Ausbildung/Erziehung oder Dezentralisierung. 

Humala lobte den Erfolg der Wirtschafts- und Währungspolitik des scheidenende Päsidenten. Inzwischen bestätigte er Julio Velarde für weitere fünf Jahre als Präsident der Zentralbank. Die einzige Provokation Humalas bei seiner Amtseinführung war, den offiziellen Eid auf die Grundsätze und Prinzipien der Verfassung von 1979 zu schwören und nicht auf diejenigen der aktuellen Verfassung (die 1993 während der De-facto-Diktatur Fujimoris verabschiedet wurde – die Red.). Die Fujimori-Parlamentarier regten sich auf, ließen die Verfassung von 1993 hochleben und riefen Parolen wie: „Wir haben keinen kommunistischen Präsidenten gewählt.” Was natürlich Blödsinn ist: Weder haben sie für Ollanta gestimmt, noch ist dies eine kommunistische Regierung. Allerdings ist tatsächlich ungeklärt, welche Verfassung denn der Leitfaden für die nächsten fünf Jahre sein wird. 

Wer bei der Amtseinführung nicht präsent war, war Alan García. Mit dieser feigen und unhöflichen Geste weigerte er sich, die Präsidentenschärpe an seinen Nachfolger zu übergeben. Bei einem Treffen im vergangenen Jahr hatte er versucht, potenziellen Investoren zu garantieren, dass Humala nie Präsident des Landes sein würde. Dabei erklärte er, in Peru könne der amtierende Präsident zwar nicht denjenigen zu seinem Nachfolger machen, den er wünsche, er könne aber verhindern, dass jemand sein Nachfolger wird, den er ablehne. Anders als 1990, als García die Wahl von Vargas Llosa verhinderte und Alberto Fujimori ins Amt half, hat es diesmal nicht funktioniert.

Die scheidende Regierung hat im letzten Jahr ihrer Amtszeit mehr investiert als in den ersten vier. Doch daran sind wir gewöhnt. Baustellen und Bauwerke sieht man normalerweise ein Jahr vor den Wahlen und die Politiker besuchen im Wahlkampf die abgelegenen und verarmten Regionen, wo sie sich sonst nie blicken lassen. García hat in den letzten Monaten seiner Amtszeit noch langfristige Aufträge ohne die entsprechenden Konsultationen erteilt, Gesetze gebrochen, sehr hohe Provisionen bezahlt und dies natürlich fast ausschließlich an befreundete Firmen. Als Gipfel der Frechheit und Schamlosigkeit haben García und das brasilianische Unternehmen Odebrecht, das sich die meisten dieser Aufträge sichern konnte, in Lima eine Nachbildung der Christusstatue von Rio de Janeiro finanziert. García beteiligte sich mit 100 000 Soles (23 264 Euro) aus seinem „persönlichen” Vermögen. Woher dieses Geld kommt, weiß wirklich niemand.

Die García-Administration wird durch die Erinnerung an die Petroaudios noch lange leben. Diese Bänder belegen, wie einer seiner Minister, sein ehemaliger Anwalt und andere Freunde Bestechungsgelder für Ausschreibungen im Bereich der Ölförderung verlangen. Die Art und Weise, wie sie dabei auftraten, macht jedem klar, was diese Regierung in den letzten Jahren geleistet hat. Die enorme Korruption war für die meisten BürgerInnen und Medien offensichtlich, Konzequenzen werden sich erst noch zeigen.

Als die Ergebnisse des ersten Wahlgangs vom 9. April vorlagen – Humala lag mit 30,6 Prozent der Stimmen auf dem ersten Platz – kehrte der offene Rassismus in unsere Gesellschaft zurück, vor allem in den Medien und sozialen Netzwerken. Es wurde argumentiert, Humalas gutes Ergebnis sei durch die Stimmen der Unwissenden zustandegekommen, die Armen aus der Provinz verstünden nicht, was sie tun. Es war ein Glück, dass jemand mit gesunden Menschenverstand und Anstand darauf antwortete und das Offensichtliche sagte: Es hätten nicht die Ignoranten gewonnen, sondern die Ignorierten. Diejenigen, für die sich dringend etwas ändern müsse, seien die Gewinner.

Nach dem ersten Wahlgang war plötzlich vieles anders. Mario Vargas Llosa, der vorher noch erklärt hatte, eine Stichwahl zwischen Humala und Keiko Fujimori sei wie die Wahl zwischen Krebs und Aids im Endstadium, erklärte nun seine Unterstützung für Humala. Die politischen Lager standen Kopf: Konservative, die ihn nie gelesen, ihm aber die Füße geküsst hatten, als er den Nobelpreis bekam, lehnten ihn nun ab und beschuldigten ihn, seine Haltung sei nur eine billige Rache an Fujimori, der ihn 1990 besiegt hatte. Die anderen, die ihn stets als einen kompromisslosen Verteidiger des neoliberalen Imperialismus kritisiert hatten, meinten plötzlich, er sei einer der wichtigsten politischer Denker, nur weil er ihren Kandidaten unterstützte.

Verändert hat sich auch das Programm von Humala. Es gab im Laufe der gesamten Wahlkampagne bis zu vier verschiedene. Humalas Wahlkampfstab versuchte mit immer moderateren Positionen neue WählerInnen im Zentrum und der gemäßigten Rechten anzusprechen, ohne die Freunde von links zu verlieren. Hatte man ihn zunächst beschuldigt, stur und ideologisch zu sein, weil er sich nicht ändere, nannten ihn dieselben Leute plötzlich unklar und opportunistisch. 

Trotz der Unterstützung der meisten Medien und auch derjenigen Alan Garcías und weiter Teile des Establishments konnte Keiko Fujimori nie aus dem Schatten ihres Vaters treten. Ihr Problem war zudem, dass sie kaum moralisch integre Personen fand, die zu ihrer Wahl aufriefen. Ihre öffentlichen Unterstützer waren Fußballer, SchauspielerInnen und Besitzer von riesigen Unternehmen, fast keiner glaubte ihnen. Trotzdem kam sie erschreckend nah an die Präsidentschaft herran.

Nicht nur in seiner Antrittsrede, sondern auch mit vielen politischen Gesten ging Humala auf seine GegnerInnen in den Machteliten zu. Er kündigte an, nicht die Polarisierung, sondern den Ausgleich zu suchen. Dies gelte auch für die vielen ungelösten Konflikte, bei denen es überwiegend um die Proteste von BewohnerInnen gegen die Zerstörung ihrer Umwelt- und Lebensbedingungen durch Bergbauunternehmen geht. Der Nationale Verband der Exporteure (ADEX) kündigte neue Richtlinien an. Der Präsident der Wirtschaftsvereinigung (CONFIEP) stimmte dem Präsidenten zu und nannte seine Antrittsrede „umsichtig” und „beruhigend”.

Humalas Kabinett ist ebenso wie seine Antrittsrede sehr heterogen. Es gibt darin Rechte und Linke, Liberale und Sozialisten. Man bemühe sich um das „Vertrauen der internationalen Kapitalmärkte”. Ministerpräsident Salomón Lerner ist Großunternehmer und altgedienter Politiker in verschiedenen Regierungen. Außenminister Rafael Roncagliolo ist Soziologe und Journalist „mit linken Ideen, aber nicht militant”. Kurt Burneo, Minister für Produktion, und Arbeitsminister Vega gehörten wie Lerner bereits der Regierung Toledo (2001-2006) an. Beide gehörten auch bei dieser Wahl zur Mannschaft von Toledo, der im ersten Wahlgang aber nur 15,6 Prozent der Stimmen erreichte. Als einziger der unterlegenen Kandidaten hatte er im zweiten Wahlgang Humala unterstützt, der als Gegenleistung Toledos Leute in sein Kabinett berief. 

Aída García Naranjo, die Ministerin für Frauen und Entwicklung, ist Vorsitzende der Sozialistischen Partei und war früher in verschiedenen NRO tätig. Verteidigungsminister Daniel Mora ist ein pensionierter General, der ebenfalls aus dem Team von Toledo stammt. Umweltminister Ricardo Giesecke hat eine sehr saubere Vergangenheit und war in mehreren Umweltorganisationen tätig. Enrique Descalzi, Minister für Energie und Bergbau, ist der ehemalige Präsident des College of Engineering. Finanzminister Luis Miguel Castilla ist ein Vertreter des Bankensektors und orthodoxer Neoliberaler. Er war stellvertretender Finanzminister unter García und weigerte sich verschiedentlich, soziale Reformen zu unterstützen. Es gilt als wahrscheinlich, dass es zwischen ihm und Humala über kurz oder lang zu Konflikten kommen wird. Innenmister Dancuart Oscar Valdés war beim Militär einer der Ausbilder Humalas und gilt als Mann seines Vertrauens. Bildungsministerin Patricia Salas ist ehemalige Präsidentin des Nationalen Erziehungsrates und Professorin an der Universität Antonio Ruiz Montoya. Sie hat den Ruf einer progressiven Intellektuellen und versteht sich gut mit Humala. René Cornejo, Minister für Wohnungswesen, kommt auch aus Toledos Partei Perú Posible, viel mehr ist von ihm nicht bekannt. Landwirtschaftsminister Miguel Caillux ist Agrarunternehmer und war u.a. Präsident des Verbands der Viehzüchter. Er ist Unternehmer, aber nicht unbedingt ein Vertreter des Großkapitals. José Luis Silva, Minister für Außenhandel und Tourismus, ist der ehemalige Präsident des Verbandes der Exportwirtschaft ADEX. Obwohl Unternehmer, hat er eine progressive Vision und war auch ein scharfer Kritiker der Bergbaukonzessionen der letzten Regierung. Zum Schluss haben wir noch den Unternehmer Carlos Paredes, nunmehr Minister für Verkehr und Kommunikation, den Verfassungsrichter Francisco Eguigure, Justizminister, die grammygekrönte afroperuanische Sängerin Susana Baca im Ministerium für Kultur und den ehemaligen Fußballschiedsrichter, Bürgermeister und Urologen Alberto Tejada im Ministerium für Gesundheit.

Jenseits des Kabinetts sind einige der Berater des Präsidenten in der Öffentlichkeit umstritten. Dazu gehören der Anwalt der in den Petroaudios-Skandal (s.o.) Verwickelten sowie Ollantas Bruder Alexis, der nach Russland gereist war, um mit der dortigen Regierung zu verhandeln, bevor sein Bruder offiziell die Macht übernahm. Es gibt auch die Sorge, dass es zuviele Militärs im Umfeld des Präsdenten gibt. Problematisch ist auch, dass ein ehemaliger Angehöriger des Werkschutzes eines Bergbauunternehmens die Koordination der Geheimdienste übernommen hat. Das lässt befürchten, dass Leute, die sich gegen Bergbauunternehmen zur Wehr setzen, weiter von den Sicherheitsorganen als Staatsfeinde betrachtet weden. Leiter der Zivilschutzzentrale wurde ein Freund Humalas, der vor einigen Jahren alle Daten über Humalas Zeit beim Militär verschwinden ließ. Die Personenschützer der Präsidentschaft sind nun auch Militärs und nicht mehr Polizisten wie in früheren Regierungen.

Umfragen zufolge wird der Präsident von 60 bis 70 Prozent der Bevölkerung akzeptiert. Eine erste Erhöhung der Mindestlöhne ist bereits erfolgt, ebenso wurden die Gehälter von Beamten angehoben. Auf der Tagesordnung stehen höhere Steuern für Bergbauunternehmen und auch die mögliche Neuverhandlung internationaler Handelsabkommen. Auch ein Dialog mit den Streitkräften und der Polizei, wo es viele Probleme gibt, steht an.

Wir Peruaner und Peruanerinnen hoffen das Beste, bleiben aber wachsam!