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Ein zweiter Blick zurück

Die Städtepartnerschaft Köln-Corinto/El Realejo, Nicaragua

Laut Datenbank der Städtepartnerschaften gibt es 29 Städtepartnerschaften zwischen deutschen und nicaraguanischen Kommunen, das sind gut zwei Drittel der gesamten Partnerschaften mit lateinamerikanischen Städten. Hintergrund ist der Aufbruch durch die sandinistische Revolution 1979, die auch hierzulande in den 80er-Jahren eine rege Soliszene hervorbrachte. Deren AktivistInnen engagierten sich zum Teil für Städtepartnerschaften. „Nun zog ein Stück Weltpolitik in die Kommunalparlamente ein“, erinnert sich Helmut Schaaf, der von Anfang an und zehn Jahre lang beim Verein Köln-Corinto/El Realejo mit dabei war.

Helmut Schaaf

Städtepartnerschaften sollten nach 1945 auf der kommunalen Ebene dazu beitragen, dass sich Menschen verschiedener vorher verfeindeter Nationen in ihren Lebensräumen kennen und schätzen lernen. Köln verdankt dieser Idee u.a. die Verbindungen zu den ehemaligen Kriegszielen Rotterdam und Liverpool. Mit der Zeit verkamen dann viele dieser Städtepartnerschaften zu einer Restaktivität von Honoratioren oder reiselustigen KommunalpolitikerInnen. Neue Partnerschaften, auch zunehmend mit „Entwicklungsländern“, schlugen sich im Stadtbild zwar in der Erweiterung von Straßennamen nieder, stießen in der Regel aber nicht auf großes Interesse in der Bevölkerung. Das änderte sich nachhaltig, als die Nicaraguabewegung ab 1982 auf dem Höhepunkt ihrer Breitenwirksamkeit die Städtepartnerschaften für ihre Ziele entdeckte. Vorbei waren die Zeiten der Einstimmigkeit, stattdessen zog ein Stück Weltpolitik in die Kommunalparlamente ein. 

Wie in der Bundespolitik verlief die Hauptauseinandersetzung zwischen den (auch schon) damaligen Regierungsparteien CDU und FDP und den noch überwiegend oppositionellen Grünen. Speziell in Köln bemühte die CDU neben dem nachgebeteten Schreckgespenst des drohenden Kommunismus (es gab noch die DDR und den Sozialistischen Block in der Welt) viel Prominenz, um „das blutende Herz“ Amerikas in Nicaragua zu verorten. Dies propagierte medienwirksam der Rechtsprofessor M. Kriele in einem von CDU-Kreisen (namentlich dem heutigen Attac-Promi Heiner Geißler) massiv beworbenen und verbreiteten Buch, nachdem er 14 Tage lang auf Kosten der Konrad-Adenauer-Stiftung Taxifahrer und ausgewählte Oppositionelle in Nicaragua befragt hatte. Die freiheitlichen USA ließen den wichtigsten Hafen Nicaraguas (Corinto) verminen, rüstetebn das wahrlich nicht demokratische Honduras hoch und die Contras aus, bis die NicaraguanerInnen die Sandinisten erstmalig abwählten, was in einer Diktatur nicht möglich gewesen wäre. 

Die Grünen unterstützten sehr namhaft die Entwicklung in Nicaragua und infrastrukturell die Solidaritätsbewegung. Die SPD der Kohl-Ära musste sich noch in ihre Bundesoppositionsrolle einfinden. Sie stand mit vielen Vorbedingungen „versöhnend und nicht spaltend“ (so der damalige Ministerpräsident in NRW, Johannes Rau) eher auf der Seite der Nicaragua-Engagierten, sicher auch als Angebot an das sie gefährdende Grüne Spektrum. 

So war die Anbahnung einer Partnerschaft mit einer Stadt in Nicaragua von Anfang an von Seiten der überwiegenden Mehrheit der Solidaritätsbewegung politisch und durchaus innenpolitisch motiviert. Dahinter stand die Überzeugung, dass sich emanzipatorische Politik nicht auf das eigene Land beschränken kann. Selbst wenn alle im Land zu gleichen Chancen kämen, bliebe immer noch die Frage, woher die dazu nötigen materiellen Voraussetzungen kommen. Die Beschäftigung mit dem sich von einer Diktatur befreienden Nicaragua bot die Möglichkeit, ein Stück Internationalismus am Beispiel eines Landes umzusetzen, das zumindest die Chance auf eine gerechtere Gesellschaft bot. Wie eingeengt die Möglichkeiten eines unterentwickelt gehaltenen Landes waren, konnte dabei ebenso thematisiert werden, wie der Krieg der USA gegen die bloße Möglichkeit der Veränderung angeprangert werden musste. 

So war die Auseinandersetzung gerechtfertigt und für Teile der Nicaraguabewegung auch noch mehr gewollt als eine konkrete Umsetzung der Städtepartnerschaft selbst. Gleichzeitig gab es relevante kirchliche Gruppen und auch Gewerkschaftsuntergliederungen, die weitestgehend unabhängig von der Regierung eher ihre Projektpartner in Nicaragua sahen und so ihre spezifische Arbeit auch nach der ersten Abwahl der Sandinisten aufrechterhalten haben.

Speziell in Köln war die Initialzündung für die Forderung einer Städtepartnerschaft ebenso politisch wie ein personalisierter Aufschrei der Empörung. So war der aus seiner Kölner Studentenzeit auch vielen mittlerweile prominent gewordenen Sozialdemokraten persönlich bekannte Enrique Schmidt-Quadra, damals Minister des sandinistischen Nicaraguas im Jahr 1984 von der Contra erschossen worden. Auf einer Veranstaltung zu seinem Gedenken beschlossen rund 300 Menschen, über Protestaktionen hinaus etwas Dauerhaftes zu schaffen. Im lokalen Rahmen sollte das Maximale durchgesetzt werden, eine Städtepartnerschaft zwischen Köln und dem Geburtsort Enriques, Corinto, später erweitert um die benachbarte Ortschaft El Realejo.

Konkret formuliert wurden folgende Ziele: Die Städtepartnerschaft wurde hervorgehoben als notwendiger Teil der politischen Arbeit in Köln, außerdem wurde sie als maximaler Beitrag dafür angesehen, um diplomatisch auch auf der kommunalen Ebene den Preis für die drohende US-Intervention in die Höhe zu treiben. Sie sollte ein konkretes Bezugssystem für die Nicaraguasolidarität sein sowie ein Mittel, um sie auf bis dahin nicht erreichte Bevölkerungsgruppen auszudehnen. Nicht zuletzt wollten wir eine bedeutende materielle Unterstützung erreichen.

Um dies zu ermöglichen, wurde der Zusammenschluss der verschiedensten in Köln arbeitenden Nicaraguagruppen zu einer gemeinsamen Koordination beschlossen. Zu Anfang war dies noch eine Koordination unterschiedlicher Organisationen von kirchlichen Gruppen über Parteienstrukturen bis hin zu Autonomen und Kleingruppen des linken Spektrums. Daraus bildete sich schnell eine klassische Bündnisstruktur, in der ein kleiner Kreis Verantwortlicher gewählt wurde. Damals durfte weder ein – wenn auch indirekter – Vertreter des Uni-AStA noch eine Vertreterin der Jusos oder der DKP fehlen. 

Mit dem Ziel, möglichst viele Menschen für Nicaragua zu interessieren, luden wir nahezu jeden ersten Dienstag im Monat zu einer Veranstaltung mit verschiedenen Themen zu Nicaragua ein. Diese reichten von der Revolution bis zum Sport, von Gewerkschafts-, Schul- und Religionsthemen bis zu Verfassungsdiskusionen, von der internationalen Weltwirtschaftsordnung bis zum Kaffeeverkauf hier. Hinzu kamen zwei bis drei Mal jährlich stattfindende Großveranstaltungen, wo sich nicaraguanische Bürgermeister, Parteiangehörige und andere Offizielle, vor allem aber die künstlerische Prominenz Nicaraguas die Klinke in die Hand gaben und nach Möglichkeit auch immer beim Kölner Oberbürgermeister vorbeigeschickt wurden. So konnten wir öfter Gioconda Belli einladen und Wolfgang Niedecken rockte mit der Godoy Gruppe „Mancotal“. 

Wir konnten dabei auf ein „Büro“ zurückgreifen, für das unsere engagierte Wohngemeinschaft ihr „Mittelzimmer“, ihre IBM-Schreibmaschine mit Korrekturband (!), später auch einen Computer und ein damals noch revolutionäres Faxgerät zur Verfügung stellte. Dabei kamen in zehn Jahren über 100 Rundbriefe für einen großen Verteilerkreis und zahlreiche Zeitungen zustande. Darin waren wir ebenso geübt, wie – auch große – Veranstaltungen und Demonstrationen zu organisieren. 

Schon ein Jahr später erwirkte der „parlamentarische Arm“ der Nicaragua-Koordination in Form von Grünen und ausreichenden Teilen der SPD einen Ratsbeschluss, der „über eine dauerhafte Beziehung eine Städtepartnerschaft mit Nicaragua herbeiführen sollte“. Ausführen musste das der anfangs nicht so begeisterte Oberbürgermeister N. Burger, der allerdings im Verlauf des langen Prozesses zu einem wichtigen Befürworter der Städtepartnerschaft wurde.
Dennoch führte kein Weg daran vorbei, dass man für eine Städtepartnerschaft eine Ratsmehrheit braucht. Dazu war es nötig, auf die – damals seit Jahrzehnten in Köln fest im Sattel sitzende – SPD zuzugehen und eine Mit- und Zuarbeit zu den städtischen Gremien und der Verwaltung zu leisten.

Spätestens ab dem Zeitpunkt wurden die ernsthaften Meinungs- und Handlungsunterschiede – nicht nur in Köln – deutlich. Latenten und offenen Streit gab es immer wieder um Fragen wie:  Wie halten wir's mit der SPD und wie weit müssen wir mit der von ihren Bürokraten verfilzten Stadtverwaltung gehen? Darf man mit einem SPD-Oberbürgermeister reden und auf dem Weg zum Ziel Kompromisse eingehen? Darf man an einem bundesweit ausgerufenen „3. Welt Tag“ teilnehmen, obwohl der vom Bundesministerium für Zusammenarbeit (BMZ) ausgerufen war und die Stadt uns eingeladen hat? Darf man zulassen, dass „ausgerechnet“ deutsche Sozialdemokraten – sicher auch als Antwort auf die heftig geführte Kommunismusdebatte – den VertreterInnen der Sandinisten bei öffentlichen Begegnungen erklären, wie Demokratie auszusehen habe?

Wenn man damals schon gewusst hätte, wie käuflich die Moral der regierenden Kölner Sozialdemokraten war, hätte die Empörung noch größer sein dürfen (2002 wurde bekannt, dass die Kölner SPD Spenden in Höhe von 480 000 DM von Unternehmen erhalten hatte, die Interessen am Bau der umstrittenen Müllverbrennungsanlage Köln-Niehl hatten. Weil Großspenden veröffentlichungspflichtig sind, wurden die Gelder als Kleinspenden von SPD-Mitgliedern deklariert. Der so genannte Kölner Spenden- bzw. Müllskandal beendete vorübergehend die politische Vorherrschaft der SPD in Köln, die inzwischen aber wieder hergestellt wurde – die Red.). Stellt man in Rechnung, wie viele der damals Aufrechten und Außerparlamentarischen heute für früher heftig bekämpfte Konzerne arbeiten, relativiert sich vielleicht einiges.

Die Fragen, die sich am Umgang mit den Städtepartnerschaften entzündeten, waren 1989 ein beherrschendes Thema zum 10. Jahrestag der Revolution, bei der man sich als Vertreter bestehender Städtepartnerschaften heftige Vorwürfe anhören musste. 

Teilweise haben wir uns in Köln damit geholfen, dass wir aus der Nicaragua-Koordination heraus einen „Verein zur Förderung der Städtepartnerschaft“ gegründet haben, der per Vorsitzendem mit der Stadt Abmachungen treffen konnte, die für beide dann auch verbindlich werden konnten.

Speziell für Köln war sicherlich mit entscheidend, dass mit Enrique Schmidt Quadra ein persönlicher Bezug zu auch überregionalen SPD-Größen wie H. J. Wischnewski bestand und auch ein Oskar Lafontaine auf Wahlkampftour – damals noch SPD – auf SPD-Versammlungen die Revolution hoch leben ließ. Günstig für die Entwicklung in Köln war, dass die SPD im Bund in der Opposition blieb. Hilfreich war sicher, dass die FSLN in der Sozialistischen Internationale assoziiert war.

Nach nur knapp vier Jahren wurde der Städtepartnerschaftsvertrag Ende 1988 trotz weiterer Widerstände der CDU und der FDP unterzeichnet. Vier Jahre sind für einen kommunalen Vorgang rasend schnell, für uns als Ein-Punkt-Gruppe war es eine sehr lange Zeit, die auch immer mehr den Erfolg brauchte. Entscheidend für den Erfolg war aus meiner Sicht, dass wir in diesem spezifischen Zeitabschnitt der Weltgeschichte nicht ausschließlich auf das außerparlamentarische Geschehen gesetzt haben, sondern nach einer Anlaufzeit zu und mit den städtischen Gremien gefunden haben. Dabei war die in der Nicaragua-Koordination versammelte, durchaus oppositionelle (damals „trotzkistische“) Erfahrung im Umgang mit der SPD ebenso entscheidend wie der Wille, internationalistische Forderungen konkret auf die vorhandenen kommunalen Verhältnisse und Möglichkeiten Kölns zu übersetzen. 

So tagten wir schon früh mit SPD-Funktionsträgern, Gewerkschaftsfunktionären, Schuloffiziellen und Kirchenvertretern. Später konstituierte sich eine feste Runde mit einem dem Projekt zugewiesenen städtischen Verantwortlichen, einem Referenten des Oberbürgermeisters und einem Vertreter der DGB-Jugend. Dabei ging es um die konkrete Umsetzung der Ratsbeschlüsse und praktische Fragen wie die Verschickung von Materialien in Containern.

Mit dem Erfolg der erreichten Städtepartnerschaft kam dann schon vor der Abwahl der Sandinisten für weite Teile der Gruppe die Schwierigkeit des „Wozu-noch“. Viele waren auch erschöpft und wünschten sich, dass die – damals noch verfügbaren – ABMler1 alles übernehmen sollten, wofür keine Kräfte mehr vorhanden waren, vor allem die Organisation der Containerverschickung, die Betreuung der zunehmenden Partnerschaften vor allem mit Schulen und die weiter anwachsenden „offiziellen“ Bedürfnisse an uns, die nicht mehr so fürchterlich viel mit unserem emanzipatorischen Impetus zu tun hatten. 

Die Zäsur stellte dann die Abwahl der Sandinisten 1990 dar. Natürlich haben auch wir nach der Wahlniederlage der Sandinisten 1990 bundesweit zum Weitermachen „jetzt erst recht“ aufgerufen. Gerade jetzt konnten die Städtepartnerschaften die notwendige Grundlage bieten. So haben denn auch die bis dahin umgesetzten Projekte, die teilweise schon Großprojekte waren, die Weiterarbeit geradezu bedingt, während sich die meisten anderen Nicaraguastrukturen bundesweit auflösten. Dennoch schrumpfte die Gruppe weiter auf wenige aktive Menschen, allerdings mit einem für Teilaspekte mobilisierbaren Umfeld. Trotzdem ist der nicaraguanische Partner – auch nach der Wiederwahl der Sandinisten – anders geworden, ebenso wie die Möglichkeit, Nicaragua als „den Kristallisationspunkt des Kampfes von Imperialismus und Möglichkeit auf eine emanzipatorische Entwicklung auch in der kommunalen Auseinandersetzung“ zu beackern. Positiv zu verbuchen bleibt, dass immer noch viel Geld aus Köln auch in emanzipatorische Projekte fließt. Das ist für nicaraguanische Verhältnisse relativ bedeutend, wenn es auch noch lange nicht so viel ist, wie durch die tägliche Weltwirtschaftsunordnung herausgezogen wird, aber das hatten wir auch ernsthaft nie geglaubt. 

Für mich persönlich war – aus der studentischen Basisgruppenarbeit kommend – das Engagement in der Kölner Nicaragua-Koordination für fast zehn Jahre Schwerpunkt meiner politischen Arbeit, eines großen Teiles meines Freundes- und Beziehungsgeflechtes und meiner WG-Wirklichkeit. Nach einem zunächst krankheits-mit-bedingten Bruch in meinem Leben bin ich aus beruflichen Gründen schon seit 1994 nicht mehr in Köln. Inzwischen verstehe ich die, die neben dem Beruf nicht mehr die Energie aufbringen, verantwortlich bei einem Projekt mitzumachen – nicht aber den Umstand, dass man die Engagierten nicht zumindest materiell unterstützt.

Erste Blicke zurück gibt es unter: 
H. Schaaf (1994): Städtepartnerschaften mit Nicaragua. Ein subjektives Resümee. Alternative Kommunalpolitik (AKP) 2/94, S. 42-44; H. Schaaf (1996): „Hundert Rundbriefe der Nicaragua-Kordination Köln (1984-1996). Viel Arbeit, viel Spaß und kleine Erfolge“. Bonn. ila 193, (1996), S. 52-54.

Literaturauswahl:
Hübner, H. u.a. (Hg.) (2004): Enrique Presente. Enrique Schmidt Quadra. Ein Nicaraguaner zwischen Köln und Managua. Köln: Schmidt von Schwind Verlag. S. 95-98 
Alessandro Colucci (2002): Interlokale Kooperation am Beispiel der Stadt Köln in Corinto/Nicaragua”, Diplomarbeit Universität Köln, ISBN 1616-9085
Erika Harzer und Willi Volks (Hg.) (2009): Aufbruch nach Nicaragua. Deutsch-deutsche Solidarität im Systemwettstreit. Ch. Links Verlag. 248 S., 1 Karte, ISBN: 978-3-86153-525-6 
Ch. Links (1992): Sandinismus – Ein Versuch mittelamerikanischer Emanzipation. Edition Der andere Buchladen, Köln

  • 1. ABM steht für Arbeitsbeschaffungsmaßnahme, seinerzeit ein Instrument der Bundesagentur für Arbeit, das in Solikreisen schon mal zur Bezahlung ihrer Kräfte umgewidmet wurde.