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Die Landfrage steht im Zentrum des Konflikts

Interview mit dem Europaabgeordneten Jürgen Klute zu Paraguay

Im Juli besuchte eine Delegation des Europäischen Parlaments (EP) Paraguay. Dem Zustandekommen der Delegation gingen heftige Kontroversen voran. Die Rechte im EP, insbesondere die spanische PP und Abgeordnete der französischen UMP, hatten sich zunächst jedwede Kritik am Putsch in Paraguay verbeten, stattdessen von der Absetzung des rechtmäßigen Präsidenten Lugo als einem normalen parlamentarischen Verfahren geredet. Die Mission wurde in letzter Minute von der Konferenz der Fraktionsvorsitzenden gegen den Widerstand rechter Abgeordneter bewilligt. Doch der erste Programmvorschlag, gemeinsam erarbeitet von offiziellen Stellen des EP und der EU-Botschaft in Asunción, sah fast nur Treffen mit Putschunterstützern vor. Dies wurde von den Delegationsmitgliedern aus der sozialdemokratischen, grünen und linken Fraktion kritisiert. Sie forderten, auch PutschgegnerInnen und VertreterInnen der Regierung Lugo zu treffen und stellten selbst die entsprechenden Kontakte her. Aus Deutschland nahm der Europaabgeordnete Jürgen Klute (Die Linke) an der Reise teil. Gaby Küppers fragte ihn nach seinen Eindrücken.

Gaby Küppers

Das ursprüngliche Programm der EP-Delegation sah fast nur Treffen mit den Putschisten und ihren UnterstützerInnen vor. Ist es den Abgeordneten gelungen, andere Akzente zu setzen und auch PutschgegnerInnen zu treffen?

Ja, das ursprüngliche Programm konnte ein wenig modifiziert werden. Zwar blieb es bei einer Dominanz der Treffen mit Lugo-Gegnern. Aber auf Druck der linken MEPs fanden auch offizielle Treffen mit Lugo selbst statt, mit Vertretern linker Parteien, mit kritischen bzw. alternativen Medienleuten einschließlich Vertretern ihrer Gewerkschaft sowie mit Vertretern mehrerer NRO, die den Putsch kritisieren. 

Man kann also schon sagen, dass es trotz aller Ungleichgewichte in der Zusammensetzung des Delegationsprogramms gelungen ist, die Positionen der PutschgegnerInnen deutlich zu Gehör zu bringen. Für sie ist das Amtsenthebungsverfahren nicht durch die Verfassung als Ganze gedeckt und für sie ist das vorzeitige Beenden einer Amtsperiode eines (linken) Präsidenten aus historischen Gründen das Charakteristikum eines Putsches.

Habt ihr Proteste mitbekommen?

Ja, am 17. Juli gab es eine Demonstration von Gewerkschaften vor unserem Hotel. Ich habe mit Repräsentanten der DemonstrantInnen gesprochen und sie haben mir einige Papiere überreicht, die dokumentieren, dass der Druck auf Gewerkschaften und linke Arbeitnehmer, die sich für ihre Rechte engagieren, nach der Amtsenthebung von Lugo deutlich zugenommen hat. Dies haben uns auch die alternativen Medienleute berichtet und VertreterInnen von Menschenrechtsorganisationen, die ich nach dem Ende der offiziellen Delegation getroffen habe.

Wie schätzt du die Rolle der europäischen Botschaften und der EU-Vertretung in dem augenblicklichen politischen Richtungswechsel ein? Was haben sie euch gegenüber geäußert?

Die diplomatischen Vertreter aus Deutschland, Spanien und der EU-Vertretung (EAD) spielen den Putsch herunter. Aus ihrer Sicht gab es – wie sie süffisanterweise anmerkten: im Gegensatz zum Putsch in Honduras 2009 – keinen Militäreinsatz und keine gewalttätigen Ausschreitungen im Rahmen des „Präsidentenwechsels“. Alles sei doch im Rahmen der Verfassung abgelaufen. Und es gebe ja durchaus ein Sicherheitsproblem auf dem Lande – gemeint sind die Konflikte mit Landlosen, die in der Tat zum Teil mit altertümlichen Waffen ausgestattet sind, um sich zu verteidigen. Das habe Lugo nicht in den Griff bekommen. Der spanische Botschafter hielt es sogar für überlegenswert, die Landlosen in die Städte zu schicken, um die Landkonflikte zu beenden. 

Angesichts dieser Haltung sollte man vielleicht besser von einer neuen Art von Putsch, vielleicht von einem parlamentarischem Putsch sprechen. Offensichtlich haben sich die Strategien der Rechten in Lateinamerika geändert und sie versuchen zur Durchsetzung ihrer Interessen offene Gewaltanwendung zunehmend zu vermeiden.

Haben europäische Diplomaten auf die offene oder verdeckte Unterstützung des Putsches durch das Agrobusiness (Gensoja) und die Aluminiumindustrie (Rio Tinto)1 verwiesen? Wurde dies überhaupt thematisiert? 

Soweit ich es mitbekommen habe, wurde das nicht direkt angesprochen. Wobei Rio Tinto ein paar Mal erwähnt wurde, aber mehr am Rande. Deutlich geworden ist aber in den Treffen, dass die Landreform, die Lugo auf den Weg bringen wollte, im Zentrum des Konfliktes steht. Daran gibt es keinen Zweifel für mich. Mit der Amtsenthebung soll die Landreform gestoppt werden! Profitieren werden davon Konzerne wie Monsanto oder Rio Tinto. In deutschen Medien war ja kürzlich zu lesen, dass Monsanto unter Franco ungehindert seine Gensoja-Projekte in Paraguay realisieren kann.

Das Abschlusskommuniqué unter Federführung des Delegationsleiters Luis Yañez von den spanischen Sozialdemokraten (PSOE) ist butterweich. Es ist keine Rede von einem Putsch, aber davon, dass das EP eine Beobachtermission zu den Wahlen im April 2013 entsenden wird. Ist das keine indirekte Unterstützung des Putsches?

Nun, Yañez ist als Leiter der Delegation natürlich in einer unangenehmen Lage. Er hat eine Position zu vertreten, die das gesamte Spektrum der Delegation unter Berücksichtigung der Größe der beteiligten EP-Fraktionen widerspiegeln muss. In seiner mündlichen Ergänzung zu dem schriftlichen Kommunique hat er sich dann doch etwas kritischer geäußert.

Der Vorschlag zur Entsendung einer Beobachtermission zu den Wahlen 2013 wurde von Vertretern der Colorado-Partei gemacht. Insofern sehe ich eine solche Mission auch sehr kritisch, denn sie soll ohne Zweifel der Legitimation dessen dienen, was zur Zeit in Paraguay abläuft. Deshalb würde ich mich einer solchen Mission nicht anschließen. Etwas anderes wäre es, wenn NRO oder linke Parteien um eine solche Mission bitten würden, um Wahlbetrug zu verhindern 
oder auch Gewalttätigkeiten gegenüber Wählerinnen und Wählern. 

Im Falle von Honduras haben die Putschisten ihr Ziel erreicht: Der Putsch von 2009 ist schnell aus den internationalen Schlagzeilen verschwunden. Honduras sitzt wieder mit an jedem politischen Verhandlungstisch. Keine Regierung redet mehr von Ächtung, obwohl die Menschenrechtsverletzungen astronomisch zugenommen haben. Wie siehst du die Zukunft Paraguays?

Nun, wir haben für diese Delegation nach Paraguay gestritten, damit der Putsch nicht einfach unter den Teppich gekehrt werden kann. Gerade ein EP, das jährlich den Sacharov-Preis an Verteidiger von Menschenrechten und politischer Meinungsfreiheit verleiht, steht in der Verantwortung, einen solchen verdeckten Putsch wie den in Paraguay ans Tageslicht zu zerren und diese offensichtlich neuere Form eines weniger mit offener Gewalt einhergehenden Putsches zu analysieren, natürlich mit dem Ziel, allen Putschisten deutlich zu machen, dass sie aus dem EP keine Unterstützung erwarten können! Ich hoffe, dass das gelingt.

  • 1. Der kanadische Konzern Rio Tinto möchte in Paraguay ein Aluminiumwerk errichten. Paraguay hat zwar keine Bauxitvorkommen, aber die Wasserkraftwerke Itaipú und Yacyretá. Wegen des hohen Energieaufwands werden Aluminiumwerke zunehmend dort errichtet, wo es preisgünstigen Strom gibt (vgl. Beitrag „Statt rotem Gold nur roter Schlamm“ in dieser ila)

Jürgen Klute ist evangelischer Theologe und Europaabgeordneter der Linken. Er hat die Interviewfragen von Gaby Küppers schriftlich beantwortet.