ila

Veränderungen beginnen bei jedem selbst

Rezension: Theater der Unterdrückten als Methode der Konflikttransformation
Hjalmar Jorge Joffre-Eichhorn

Die von Harald Hahn herausgegebene Serie „Berliner Schriften zum Theater der Unterdrückten” gehört zu den weltweit wichtigsten regelmäßigen Veröffentlichungen zu einer in den letzten Jahren ständig an Beliebtheit wachsenden Methode der Dialogförderung, dem Theater der Unterdrückten (TdU). Das TdU wird im deutschsprachigen Raum immer häufiger mit dem Konzept der zivilen Konfliktbearbeitung in Verbindung gebracht, in der speziell die theoretischen und praktischen Erkenntnisse der beiden Friedens- und Konfliktforscher Johan Galtung (Norwegen) und John Paul Lederach (USA) als allgemein anerkannt gelten.

In ihrem Buch „Darstellende Kunst und zivile Konfliktbearbeitung – Das Theater der Unterdrückten als kreative Methode der Konflikttransformation“ untersucht Linda Ebbers, inwieweit das TdU in Abgleich mit den grundlegenden Annahmen Galtungs und Lederachs konflikttransformativ wirken kann. Ihre Recherche basiert auf einer gründlichen Analyse der Konzepte der beiden Forscher, verbunden mit einem mehrwöchigen Besuch am brasilianischen Centro do Teatro do Oprimido (CTO, „Zentrum des Theaters der Unterdrückten“), das bis zu seinem Tod 2009 von TdU-Begründer Augusto Boal geleitet wurde.

Während ihrer Zeit in Brasilien unterhielt sich Ebbers intensiv mit den TheatermacherInnen des CTO und erhielt wertvolle Einblicke in ihre konkrete Arbeit, insbesondere mit der Frauengruppe Marias do Brasil, die sich ausschließlich aus Hausangestellten zusammensetzt, die in wohlhabenden Familien arbeiten, und die ihre verschiedenen Unterdrückungserfahrungen durch interaktive Techniken wie dem Forumtheater zum Thema macht.

Dabei fand Ebbers heraus, dass zwar den meisten die Ideen Galtungs und Lederachs völlig unbekannt waren, sie diese aber in ihrer alltäglichen Theaterarbeit kontinuierlich in die Tat umsetzten. So gab es sowohl im TdU als auch bei Lederach und Galtung ein „grundsätzlich positives Menschenbild, in dem der Mensch unentdeckte Potenziale in sich trägt und als Ressource für Veränderungen an dem Transformationsprozess beteiligt wird“. Darüber hinaus sind sich die Friedensforscher und die TheatermacherInnen einig, das Gesamtsystem in den Blick zu nehmen und Transformationen auf verschiedenen Ebenen anzustreben, wobei die „persönliche Transformation Ausgangspunkt und notwendige Voraussetzung für Veränderungen auf der Beziehungsebene sowie auf struktureller und kultureller Ebene ist.“ Schließlich ist für alle eine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit als Grundlage für die Erschaffung einer Zukunftsvision von handlungsleitender Bedeutung. Das Medium für diese Auseinandersetzung mit Vergangenheit und Zukunft ist der Dialog. Den größten Unterschied fand Ebbers bei den handelnden Akteuren. So sollte für Galtung die Konfliktbearbeitung von beiden Konfliktparteien ausgehen, während im traditionellen TdU-Verständnis die Überwindung der Unterdrückung nur von der unterdrückten Konfliktpartei ausgehen kann.

Dem theoretischen Vergleich folgen die Überlegungen Ebbers, ob das TdU auch in der Praxis als Methode der zivilen Konfliktbearbeitung geeignet ist. Sie stellt fest, dass eine diskursive Öffentlichkeit und ein ästhetischer Raum, der der Bewusstseinsbildung dient, geschaffen werden. Auch betont sie die Möglichkeit des Ausdrucks von Gefühlen und Erlebnissen, der Erarbeitung von Handlungsalternativen, den Beziehungsaufbau sowie einen kollektiven Visionsbildungprozess.

Potenziell heikel hingegen sieht sie die Tatsache, dass im TdU komplexe Situationen auf eine individuelle Ebene gebracht werden und die Methodik daher möglicherweise vielschichtige Zusammenhänge reduziert. Auch die Parteilichkeit zugunsten der Unterdrückten sowie die Tatsache, dass das CTO angesichts unzureichender finanzieller Mittel nur selten auf mehreren Ebenen agiert, sind kritische Punkte. Am schwerwiegendsten ist aber wohl, dass nicht belegt werden kann, ob das im Theater Gelernte auch wirklich von den TeilnehmerInnen in der Realität umgesetzt wird.

Letzterer Sachverhalt wird von Ebbers leider nicht weiter erörtert, da die Teilnehmerinnen der von ihr begleiteten Theateraktivitäten nicht direkt zu Wort kommen, sondern nur über sie berichtet wird. So bleibt der Leserin letztlich nichts Anderes übrig, als den dargestellten, ausschließlich positiven Erfahrungen Glauben zu schenken. Von dieser verpassten Chance abgesehen ist das Buch von Linda Ebbers aber eine kompakte, lesenswerte Einführung in die Theorie und Praxis des TdU, so wie es von Augusto Boal und seinen MitstreiterInnen jahrelang praktiziert wurde und wird. Der direkte Vergleich mit den international immens geschätzten Friedensforschungen von Galtung und Lederach stellt obendrein einen wichtigen Versuch dar, die Methodik TdU interdisziplinär zu stärken und sich neben den subjektiven Erfolgserlebnissen der Praktizierenden auch mit eher wissenschaftlichen Konfliktbearbeitungskonzepten zu messen.

Das Theater der Unterdrückten als kreative Methode der Konflikttransformation – diesem Thema werden in der Zukunft mit Sicherheit noch einige problematisierende Zeilen gewidmet werden. Linda Ebbers hat einen lobenswerten Anfang gewagt.

Linda Ebbers: Darstellende Kunst und zivile Konfliktbearbeitung – Das Theater der Unterdrückten als kreative Methode der Konflikttransformation. Ibidem Verlag, Stuttgart 2014, 134 Seiten, 19,90 Euro