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Erinnerung im Netz

Der vor zwei Jahren verstorbene Ernesto Kroch ist auf einer neuen Website präsent
Gert Eisenbürger

Wie soll man an einen politischen Kämpfer und Freund erinnern, der über Jahrzehnte mit seinem Engagement, seinen klaren Analysen, seinem historischen Optimismus, seiner bescheidenen Art und seinem Humor Menschen fasziniert und zum Handeln motiviert hat? Diese Frage stellten wir, seine Freunde und Freundinnen, uns nach dem Begräbnis von Ernesto Kroch, der am 11. März 2012 im Alter von 95 Jahren gestorben war. Wir suchten nach einer Form, das Gedenken an den deutsch-uruguayischen Widerstandskämpfer, Gewerkschafter und Schriftsteller zu bewahren – als Beispiel und Ermunterung auch für diejenigen, die ihn nicht kannten.

Ernesto war seit seinem 15. Lebensjahr politischer Aktivist. In der Weimarer Republik, der Nazidiktatur, in seinem Exilland und der späteren Wahlheimat Uruguay, in seinem zweiten Exil in der Bundesrepublik Deutschland und seinen letzten beiden Lebensjahrzehnten wieder in Uruguay kämpfte er immer für soziale Gerechtigkeit und gegen Diktaturen. Die stetige Auseinandersetzung mit allen, die für ähnliche Ziele kämpften, und die Neugier, welche Handlungsoptionen sie vorschlugen, prägten seine einzigartige Herangehensweise.

Aber wie erinnert man an einen solchen Menschen? Mit einer Gedenkplatte? Wo sollte sie stehen? In Wroclaw (früher Breslau), wo er geboren wurde und im Untergrund gegen die Nazidiktatur gekämpft hat? Dort kennt ihn niemand mehr. In Montevideo, wo er 1939 Zuflucht fand und den größten Teil seines Lebens verbrachte und immer für Demokratie und soziale Verbesserungen eingetreten ist? Den Leuten in seinem Barrio ist er ohnehin noch präsent als emsiger Nachbar mit dem deutschen Akzent, der häufig vorbeikam. Einmal, um Unterschriften für ein Volksbegehren zu sammeln, dann wieder, um die von ihm redigierte Stadtteilzeitung Comité Andresito zu bringen, oder um die NachbarInnen zum Mitmachen bei einem Projekt im Stadtteil zu gewinnen. Oder sollte die Platte nach Frankfurt/M., wo er zwischen 1982 und 1985 in seinem zweiten Exil war und wohin er später, als er wieder in Uruguay leben konnte, häufig und gerne zurückkehrte? Doch da gibt es keinen bestimmten Ort, Ernesto und seine Frau Eva haben gelebt, wo sie gerade unterkamen. Außerdem waren sie ohnehin meistens unterwegs, um in Schulen, Gewerkschaftshäusern, Kultureinrichtungen, Kneipen und politischen Zentren zu lesen, zu sprechen und zu diskutieren oder, wenn es sein musste – und es musste häufig sein – auf der Straße zu demonstrieren.

Mit einer Gedenktafel wäre es also schwierig geworden, und ganz ehrlich, sie hätte auch nicht zu Ernesto gepasst. Er war nicht versteinert, sondern immer in Bewegung. Als weit über 80-Jähriger hat er sich noch mit dem Internet vertraut gemacht, um mit seinen Genossen und Genossinnen in Uruguay, Israel und Deutschland kommunizieren zu können. Bei unseren Überlegungen hatte Theo Bruns vom Verlag Assoziation A dann die Idee, eine Website mit Beiträgen von und über Ernesto Kroch könnte eine adäquate Form sein, sein Andenken zu pflegen. Denn so können sich Menschen aus unterschiedlichen Generationen und Zusammenhängen weiter mit seinen Gedanken beschäftigen und auseinandersetzen

Die ila, zu deren AutorInnen Ernesto fast dreißig Jahre gehörte, übernahm die Koordination des Projektes. Wir haben kurze Texte geschrieben, Fotos herausgesucht, einiges korrigiert, manches verworfen, anderes ergänzt. Für die Gestaltung der Site hat uns die Rosa-Luxemburg-Stiftung einen Zuschuss bewilligt, so dass wir mit Kalle Staymann einen professionellen Webdesigner beauftragen konnten. Ende März 2014, als das Bertolt-Brecht-Haus in Mondevideo, in dem Ernesto seit seiner Gründung aktiv war, seinen 50. Geburtstag feierte, wurde die Seite www.ernesto-kroch.com dann freigeschaltet.

Sie ist zunächst auf Deutsch. Wir möchten aber baldmöglichst die Texte auch ins Spanische übersetzen, damit die Site zweisprachig betrieben werden und auch von Ernestos lateinamerikanischen FreundInnen und GenossInnen genutzt werden kann.

Mittelfristig sollen alle wichtige Schriften Ernestos in insgesamt fünf Bänden auf der Website in freien Downloads zugänglich sein. Der erste Text, seine Autobiographie „Exil in der Heimat – Heimat im Exil“, steht bereits auf der Site und kann vollständig heruntergeladen werden. Derzeit arbeiten wir daran, seinen bisher unveröffentlichten Roman „Wo auch immer“ in Buchform zu bringen. Er soll im Juni eingestellt werden. Parallel werden wir ihn in kleiner Auflage drucken lassen, denn viele möchten einen Roman doch lieber als Buch lesen. Als weitere Bände bereiten wir sein historisches Buch „Uruguay zwischen Diktatur und Demokratie“, seinen Erzählungsband „Südamerikanisches Domino“ sowie eine Sammlung seiner politischen und journalistischen Texte vor.

Die Website ist als work in progress konzipiert, das heißt, sie soll kontinuierlich erweitert und verbessert werden. Dafür sind Ideen, Vorschläge und aktive Mitarbeit willkommen. Und natürlich wünschen wir der Site viele BesucherInnen!